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Radikale Kürzungen im Musikschulbereich bedeuten Zukunftsverhinderung

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Offener Brief des Rektors der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, Prof. Jürgen Weimer, an die kommunalpolitischen Entscheidungsträger zur Situation der Jugendmusikschulen:

Die Staatliche Hochschule für Musik Trossingen beobachtet die Entwicklung der Jugendmusikausbildung in den Städten Villingen-Schwenningen und Trossingen mit größter Sorge. Obwohl allen an der derzeitigen Sparpolitik beteiligten Kommunalpolitikern die Bedeutung von Musikunterricht bekannt ist oder - zwingend - bekannt sein müsste, wird bspw. in Villingen-Schwennigen gehandelt, als sei das Profi-Eishockey-Spiel wichtiger als Instrumentalunterricht für Kinder und Jugendliche.

Bitte, meine sehr geehrten Herren Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeinderäte unserer Region, vergegenwärtigen Sie sich einige bekannte Grundwahrheiten:

Musik ist nicht allein, wenn auch wesentlich, um ihrer selbst willen für die Menschen von Bedeutung, für die Sie Verantwortung tragen. Es sollte gewusst und berücksichtigt werden, dass darüber hinaus Musikunterricht im Kindesalter erhebliche Transfereffekte freisetzt, die intellektuelle und soziale Kompetenzen stärker fördern als jeder andere Unterrichtsinhalt. Musik lässt Kinder mehr erleben, als sie noch begreifen können. Kunst hilft Kindern, sich auf die prinzipielle Offenheit der Zukunft einzustellen.

Diese Faktoren in der Prioritätensetzung der kommunalen Sparpolitik nicht zu berücksichtigen, ist im besseren Fall kurzsichtig und fahrlässig, im schlimmeren verantwortungslos. Die explodierenden finanziellen Probleme der Gemeinden waren seit Jahren absehbar. Warum ist offenbar in Trossingen spät, in Villingen-Schwenningen wohl keineswegs ernsthaft über vernünftige Spar- und Änderungskonzepte für die Jugendmusikschulen nachgedacht worden, die in einem angemessenen Zeitraum umzusetzen gewesen wären?

In Trossingen werden künftig, falls nicht Arbeitsprozesse die bestehenden Pläne zu Makulatur machen werden, künftig nur noch freie Arbeitsverträge für Musikschullehrer vorhanden sein. In Villingen-Schwenningen wird es ähnlich, allerdings wesentlich schlimmer kommen, denn der dortige Gemeinderat hat einer Schließung der Jugendmusikschule nicht zugestimmt, allerdings eine Kürzung der Zuschüsse in Höhe von ca. 50 % beschlossen. Dies wird bei der bekannten anteiligen Höhe der Personalkosten an Musikschulen ohne eine Kündigungsflut nicht umzusetzen sein.

Baden-Württemberg ist stolz darauf, ein Musikland zu sein. Im bundesweiten Vergleich verfügt es über die meisten Jugendmusikschulen und ist das Bundesland, aus dem regelmäßig die meisten Preisträger des Bundeswettbewerbs Jugend Musiziert kommen. Diese Fakten sind eigentlich zu bekannt, als dass sie zitiert werden müssten. Zu befürchten ist, dass die Trossinger und Villinger Beschlüsse nicht nur hier einen Dominoeffekt erzeugen werden, sondern vor allem in Bundesländern mit geringerer Musikausbildungsdichte.

Der Beruf des Jugendmusikschullehrers, bereits jetzt zu wenig attraktiv, um genügend wirklich begabte deutsche Studienbewerber mit diesem Ziel an die Musikhochschulen zu locken, wird fast jede Anziehungskraft verlieren. Die Musikschulen werden für eine gewisse Zeit noch von Musiklehrern zehren können, die aus Ländern mit deutlich weniger wirtschaftlicher Substanz kommen. Aber auch das wird sich u. a. mit neuen EU-Mitgliedschaften und der dort erwarteten Prosperität vermutlich mittelfristig, ganz sicher längerfristig ändern.

Zu glauben, wie dies in Villingen-Schwenningen geäußert wird, dass Musikvereine die jetzt provozierten und zukünftig sich potenzierenden Unterrichtslücken werden füllen können, zeugt von Ahnungslosigkeit. Die Leistungen dieser Vereine sollen nicht klein geredet werden. Doch es handelt sich hier um eine begrenzte Auswahl an Instrumenten und um Strukturen, die nicht auf Professionalität ausgerichtet sind.

Unsere Kinder werden Träger unserer Zukunft sein. Nichts ist wesentlicher, als sie so zu fördern, dass sie dieser Erwartung werden gerecht werden können. Dies wird misslingen, wenn die immanente Tendenz zu einer Mac Donalds- und Playstation-Generation durch Gemeinderatsbeschlüsse stabilisiert wird. Was sich hier musikpolitisch anbahnt, ist Zukunftsverhinderung und einer "Gewinner-Region" nicht würdig.



s. auch:
http://nmz.de/kiz/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=8705