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Der Spätheimkehrer Isaac Stern

Untertitel
Ein Meisterkurs als „Begegnung“ in der Musikhochschule Köln
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Im Programmheft der Kölner Philharmonie konnte man schlicht und in kleinen Buchstaben ausgedruckt die frohe Botschaft lesen: „Isaac Stern in Köln!“ Für viele „Adabeis“ des internationalen Musikbetriebs sicher eine Meldung von nachrangiger Bedeutung, denn wen schon, außer einer handverlesenen Minderheit von Fachbesessenen, mochte es schon aus dem kulturellen Halbschlaf reißen, wenn ein angesehener Geiger knappe zwei Wochen mit jungen Kammermusikensembles zusammenarbeiten würde, ohne selber bekräftigend die Geige in die Hand zu nehmen, geschweige denn als einer der Stammväter heutigen Violinspiels selber in den Konzertbetrieb einzugreifen. Und dennoch war die Zusage Sterns, in Köln – also auf deutschem Boden! – tätig zu werden, eine Sensation. Ähnlich wie seine großen Kollegen Rubinstein oder Horowitz hatte Stern unter dem Eindruck des Nationalsozialismus’ und der organisierten Judenvernichtung geschworen, nie wieder deutsche Erde zu betreten. Franz Xaver Ohnesorg, der Direktor der Kölner Philharmonie, hatte sich seit Dezember 1986 bemüht, den illustren Musikanten, den gewieften Drahtzieher des internationalen Musiklebens und den Retter der Carnegie Hall nach Köln zu locken. Knapp zehn Jahre später war es in New York soweit: Stern versprach zu kommen, wobei sich heute in Kenntnis der Begleitumstände leicht zusammenreimen läßt, daß Ohnesorgs wachsendes Nahverhältnis zur berühmten New Yorker Konzerthalle zur Beschwichtigung alter Abneigungen entscheidend beitrug. Ohnesorg verläßt bekanntlich ab nächster Saison die Kölner Heim- und Ideenstätte, um als künstlerischer Leiter der Carnegie Hall noch einmal Neuland zu beackern. Isaac Stern – schmächtig von Gestalt, stark und unerschrocken in musikalischer Aussage und pädagogischer Hilfestellung – hatte sich für den Kölner Meisterkurs unter dem Motto „Begegnungen“ drei renommierte Kursbegleiter ausbedungen. Das bedeutete: der Geiger James Buswell von der Harvard University, der Cellist Joel Krosnick vom Juilliard Quartet und der Pianist Joseph Kalichstein lauschten zusammen mit Stern den Vorträgen junger Kammermusikensembles (wie des Anima Quartetts), wechselten einander ab in kritischen Einwänden, förderlichen Hinweisen und natürlich in verbalen Soloauftritten von selbstgefälliger Eloquenz, denn der Konkurrenzkampf der Magister läßt sich kaum verhindern, wenn man nicht nur zu den instrumenten Patienten spricht, sondern via Mikrophon auch in Richtung einer musikbegeisterten Öffentlichkeit agiert. Natürlich hatte Isaac Stern, der späte Gast auf germanischem Territorium, über weite Strecken das ästhetische und aufführungspraktische Heft in der Hand. Er steckt über beide Ohren und mit Leib und Seele in der Musik. Stets vergißt er das Mikrophon zur Hand zu nehmen – wichtiger sind ihm phraseologische Mißtritte, unausgewogene Balance, das Woher und Wohin eines Brahms-Themas und, im Anschluß an solche handwerklichen Überlegungen, das Wesen einer musikalischen Mitteilung. Stunden und Tage mithin, die mit musikalischen Momentaufnahmen und ausgefuchsten Redseligkeiten reiche Einblicke in das Metier der hauptberuflichen Musik und in jenes der überprofessionellen Berufenheit ermöglichten. Umso begreiflicher ist der Wunsch, Stern in Kürze doch noch als Geiger in deutschen Landen zu erleben.

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