Man gibt sich heutzutage gern vernetzt. Aus der Anzahl unserer Verbindungen und Kontakte wachsen uns Optionen zu. Je mehr, desto besser – und die eigene Bedeutung wächst gleich mit. Man wird attraktiver, zieht andere an, die ihrerseits ebenfalls an Beziehungsnetzen knüpfen und ihre Möglichkeiten zu erweitern trachten. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der wir das heute tun, ist alles andere als selbstverständlich.
Denn noch weit ins 20. Jahrhundert hinein assoziierte man Netzwerke eher mit geheimnisvollen Organisationen, undurchschaubaren Beziehungen, Seilschaften und mafiösen Strukturen. Grund genug also für den Mitveranstalter des Symposiums, das „netzwerk junge ohren“, sich in eigener Sache beraten zu lassen. Hierzu hatte man eigens den Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter nach Bludenz geladen, der derzeit die Abteilung „Kulturelle Quellen von Neuheit“ am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung leitet. Und er leistete ganze Arbeit!
Sorge um Ideenklau
Da half zunächst die Analyse: Das „netzwerk junge ohren“ steht noch am Beginn seiner Arbeit. Noch bietet es wenig Mehrwert für seine potentiellen Nutzer. Als Plattform will es einen lebendigen Austausch über Musikvermittlung und Konzertpädagogik ermöglichen, doch der steht und fällt mit dem Engagement der Akteure. Denn als Netzwerk lebt es schließlich nicht von den „Saugern“, die sich lediglich bedienen und auf die Schnelle Ideen und Konzepte abgreifen wollen. Es ist vielmehr angewiesen auf Impulsgeber. Also wird viel davon abhängen, diese zur Mitwirkung zu gewinnen und ihnen das Vertrauen zu geben, dass ihre Beiträge und Projektskizzen im Netz gut aufgehoben sind – und eben nicht einer leichtfertigen Übernahme anheim gestellt werden. Das Urheberrecht im Bereich der Konzertgestaltung ist unübersichtlich und schwach genug. Allzu viele Rechte überlagern sich, und letztlich stehen die der Komponisten und Texter immer über denen der Vermittler.
Es wären, so lautete Hutters Rat, zunächst Formen der Projektpräsentation anzustreben, die einen Diebstahl unmöglich machen oder zumindest eine allzu offensichtliche Nachahmung als peinlich erscheinen lassen. Hier aber gilt: Nur wer seine Ideen veröffent-licht, kann auch eine Urheberschaft für sich reklamieren. Und nur er kann kopiert werden – was ihn wiederum auch auszeichnet.
Ein entscheidendes Argument gegen die Sorge um Ideenklau könnte zudem sein, dass Musikvermittlungsprojekte ohnehin stark von der eigenen Erfahrung, den jeweiligen Rahmenbedingungen und dem Prozess abhängen. Sie lassen sich weder verbindlich darstellen noch eins zu eins übertragen. Was beim einen gut funktionieren mag, kann bei einem anderen scheitern. Auf jeden Fall aber wird es zu weitgehend anderen Ergebnissen führen. Wer nun letztlich beim vom Netzwerk mit dem „junge ohren preis“ ausgezeichneten Projekt „Windrose“ der Urheber ist – ob nun der Komponist Mauricio Kagel, der mit seinem offenen Werk zur Auseinandersetzung einlädt, ob die Konzertpädagogin Irena Müller-Brozovic, die diese Einladung aufgriff und mit Baseler Kindern gestaltete, ob das Kölner Büro für Konzertpädagogik, das Materialien für die Beschäftigung mit dem Stück bereitgestellt hatte, ob die britische Education-Idee des „Response“, auf der das Material wiederum basiert … – entscheidend ist die geleistete künstlerische Arbeit und Vermittlungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen vor Ort.
Attraktivität und Akquise
Noch wirksamer allerdings dürfte die Konkurrenz um Aufmerksamkeiten sein. Es besteht zwar nicht wirklich ein lukrativer Markt für Musikvermittlungskonzepte, auf dem freiberuflich tätige Konzertpädagogen in echten Wettbewerb miteinander treten. Ihre Tätigkeit ist zumeist durch benachbarte und halbwegs stabile Arbeitsverhältnisse abgesichert (im Ausgleich zwischen Standbein und Spielbein entspricht die Musikvermittlung letzterem). Zudem werden Projektaufträge in der Regel innerhalb enger regionaler Beziehungssysteme angeschoben und vergeben. Aber der Bereich boomt. Und bald schon könnte es von Bedeutung sein, wie man über eine Platzierung der eigenen Arbeit etwa durch ins Netz eingestellter Projekte breit auf sich aufmerksam zu machen versteht. Denn nur wenn man im Wust der Informationen auffällt, wenn sich der eigene Name mit dem Thema verbindet, werden potentielle Auftraggeber auch aufmerksam. Die vorangegangene Investition in Form preisgegebener Ideen könnte sich so als aktive Kundenakquise erweisen.
Geben und Nehmen
Für ein lebendiges Netzwerk und die Sache der Musikvermittlung ist der Austausch notwendig. Dieser entsteht jedoch nur bedingt, wenn sich die Nutzer einseitig als Geber oder Nehmer verhalten. Dann nämlich verlaufen die Impulse in kommunikativen Einbahnstraßen. Hutters Theorie der Netzwerke machte demgegenüber auf eindrückliche Weise deutlich, dass wir nicht allein die Wahl haben, uns entweder als Knotenpunkt im Netzwerk oder als Verbindung zu verstehen, entweder als Impulsgeber oder als Empfänger, sondern dass wir zudem auch zwischen den Rollen und Funktionen wechseln können. Angelegt sind solche ausbalancierten Verhaltensweisen des Gebens und Nehmens beispielsweise in den Ideen des Filesharing, der Open Source, des Copyleft oder der Tauschbörsen im Internet. Im Ideal stellt man sich diese Systeme als symmetrische Netzwerke vor, in denen alle Knoten über gleich viele Verbindungen verfügen. Solche Netze erscheinen deshalb als „gute“ Netze, weil in ihnen die Beteiligten einen gleichberechtigten Austausch pflegen: Sie geben und nehmen in gleichem Maße. Das funktioniert jedoch meist nur in sehr kleinen Netzwerken. Oft bleibt auch hier der demokratisierende Anspruch hinter den Realitäten zurück. In der Regel halten 10 Prozent der Nutzer ein Netzwerk durch ihre Beiträge aktuell und attraktiv, während 90 Prozent lediglich „absaugen“. Hier wären im „netzwerk junge ohren“ weitere Anreize zu schaffen, die dezidiert zu einem Rollenwechsel einladen oder diesen auf sanfte Weise sogar erzwingen.
Vom Knoten zum Drehkreuz
Ganz überwinden lässt sich die Tendenz zur Asymmetrie jedoch nicht. Denn stets verfügen einzelne Knoten im Netzwerk über mehr Verbindungen als andere. Sie sind nicht nur gut vernetzt, sondern im Vergleich zu anderen auch besser. Und weil das so ist, ziehen sie weitere Verbindungen an. Von einer direkten Verbindung mit ihnen suchen weniger gut vernetzte Knoten von deren guten „Beziehungen“ zu profitieren. Die Verbindung verspricht und sichert diesen einen schnellen Zugang zu mehr Vernetzung auf dem kürzest möglichen Weg. Die ohnehin schon gut vernetzten Knoten werden derart zu Drehkreuzen.
Noch ist das junge Netzwerk selber bloß ein Knoten im allgemeinen Netz der Musikvermittlung, der musikpädagogischen Diskussion oder des Konzertlebens. Diesen gilt es auszubauen und aktiv zu vernetzen. Hier also ergeht es ihm nicht anders als seinen gewünschten Akteuren – nur auf einer anderen Ebene. Mit der eigenen Vernetzung wächst wiederum zugleich der Anreiz für Musikvermittler, sich mit ihm und über es zu vernetzen. Langfristig muss es also das Ziel sein, für das Thema Musikvermittlung zu einem Drehkreuz zu werden. Kurzfristig kann es genügen, die Nähe zu anderen Drehkreuzen anzustreben. In der Darstellung Hutters eine sehr anschauliche und anregende Theorie mit nahe liegenden pragmatischen Lösungsansätzen. Und das netzwerk junge ohren ist nur noch einen Klick entfernt: www.jungeohren.com!