„Das Jahr 2001 ist das Jahr der Musikwissenschaft.“ Es liegt nahe, sich im Zusammenhang mit dem internationalen Symposium, das die Hochschule für Musik und Theater Hannover anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung durchführte, auf den Satz zu beziehen, mit dem Siemens-Preisträger Reinhold Brinkmann im Mai seine Dankesrede eröffnete. Hatte doch eines der Schwerpunktthemen der Tagung („Musikwissenschaft 2001: Lehre und Forschung im institutionellen Kontext“) neugierig gemacht darauf, wie die als universitäres Fach nicht ganz sorgenfreie Disziplin ihren Standort am Beginn des neuen Jahrtausends definieren würde.
„Das Jahr 2001 ist das Jahr der Musikwissenschaft.“ Es liegt nahe, sich im Zusammenhang mit dem internationalen Symposium, das die Hochschule für Musik und Theater Hannover anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung durchführte, auf den Satz zu beziehen, mit dem Siemens-Preisträger Reinhold Brinkmann im Mai seine Dankesrede eröffnete. Hatte doch eines der Schwerpunktthemen der Tagung („Musikwissenschaft 2001: Lehre und Forschung im institutionellen Kontext“) neugierig gemacht darauf, wie die als universitäres Fach nicht ganz sorgenfreie Disziplin ihren Standort am Beginn des neuen Jahrtausends definieren würde.Der Tagungsort gab dabei eine Richtung der Diskussion vor: die Besonderheiten des musikwissenschaftlichen Studiums an Musikhochschulen und die Chancen von Kooperationen zwischen Hochschulen und Universitätsinstituten. Ob es dabei von Nutzen gewesen war, den Horizont für internationale Vergleiche zu öffnen, erwies sich im Nachhinein als fraglich. Denn wo sollte über die nicht mehr ganz neue Feststellung der Nicht-Übertragbarkeit von ausländischen Studiensystemen hinaus der Erkenntnisgewinn liegen? Dass in den Vereinigten Staaten die Möglichkeiten der Selektion und das – gemessen an der viel beklagten deutschen „Massenuniversität“ – paradiesische Zahlenverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ein ganz anderes Studium ermöglichen, ließ man sich vom Harvard-Kollegen Brinkmanns, Christoph Wolff, gerne ein weiteres Mal vorführen. Wo aber die inhaltlichen Konsequenzen für ein stärker mit der Musikpraxis verzahntes Studieren etwa nach englischem Vorbild lägen und was hiervon in die deutsche Diskussion miteinfließen könnte, blieb weitgehend außen vor.Auch die notwendige Auseinandersetzung mit den Ergebnissen einer Studie, die Ende 2000 im Fachorgan „Die Musikforschung“ erschienen war, ging an der eigentlichen Sache vorbei. Jan Hemming, Brigitte Marcuse und Wolfgang Marx hatten dort in einer Initiative des Dachverbands der Studierenden der Musikwissenschaft (DVSM) Lehrangebot und Fachstruktur an deutschen Ausbildungsinstituten erfasst und waren zu dem ernüchternden Schluss gekommen, dass der interdisziplinäre, praxisbezogene und innovative Anspruch, den das Fach 1999 in einem Memorandum für sich reklamiert hatte (siehe nmz 9/99, S. 19), in der Realität der Lehre kaum eine Entsprechung findet. In Hannover wurde die Aussagekraft der Studie allerdings wegen der statistischen, an den Veranstaltungstiteln orientierten Methode grundsätzlich angezweifelt, wodurch eine weiterführende Diskussion im Sande verlaufen musste.
Dabei hätte der Veranstaltung die ein oder andere echte Kontroverse durchaus gut getan. Über weite Strecken vermittelte die Publikumsbeteiligung aber kaum etwas von der Aufbruchsstimmung, die das Tagungsmotto suggeriert hatte. Auch dass sich der Anteil von Professoren im Auditorium in engen Grenzen hielt, war nicht eben ein ermutigendes Zeichen für den Willen zur Selbstbefragung eines Faches, das zu Recht zum Kernbestand der Geistes- und Kulturwissenschaften gezählt werden will.
Größer war dann die professorale Beteiligung an der Wahl Detlef Altenburgs zum neuen Präsidenten der Gesellschaft für Musikforschung, die derzeit etwa 1.650 Mitglieder zählt. Altenburg, Jahrgang 1947, ist nach den Stationen Detmold, Paderborn und Regensburg seit Ende 1999 Professor an der Weimarer Musikhochschule und seit Anfang 2000 Direktor des dort neu gegründeten gemeinsamen Instituts für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik Franz Liszt und der Friedrich-Schiller-Universität Jena – ein Modell, dass er in Hannover als einen möglichen institutionellen Zukunftsweg vorstellte. In dieser Art von Kooperationen sieht Altenburg neben inhaltlichen Bereicherungen und Synergien auch eine hochschulpolitische Chance: „Eine Annäherung könnte darin bestehen, dass sich die Universitäten leisten können, Studierende, die für das Studium nicht geeignet sind, rechtzeitig richtig zu beraten. Solange allerdings die Studentenzahlen für die Mittelvergabe überbewertet werden und die Universität mit einem Durchlauferhitzer der Bildung verwechselt wird, ist es schwierig, dies wirklich durchzusetzen.“
So ist die Wahl Altenburgs vielleicht auch als Signal für eine weitere Intensivierung des Dialogs zwischen Schulmusik und Musikwissenschaft zu werten, der in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Dieser müsste neben Fragen der Institutionen aber eben auch das Thema Praxisbezug und die – kapazitätsbedingt – nicht unbedingt florierenden Zweige der Systematischen Musikwissenschaft und der Musikethnologie stärker mit einbeziehen. Dies könnte der vielbeschworenen gesellschaftlichen Relevanz des Faches nur gut tun und damit als Argument eingesetzt werden gegen drohende Institutsschließungen oder Umstrukturierungen etwa in Münster, Rostock oder Chemnitz. Dazu Detlef Altenburg selbstbewusst: „Die Musikwissenschaft lässt sich kaum ohne Schaden für die Dynamik des Systems geisteswissenschaftlicher Fächer und letztlich für die Gesellschaft insgesamt aus den Universitäten wegrationalisieren. Die Musikwissenschaft ist ein wesentlicher Schlüssel zu unserer kulturellen Identität.“
Bleibt nachzutragen, dass die Hannoveraner Hochschule mit einem aus eigenen Kräften hochkarätig bestrittenen Konzertprogramm dem zweiten Thema der Tagung („Klavier- und Orgelmusik im industriellen Zeitalter“) die willkommene musikalische Bodenhaftung verlieh.