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Später Aufbruch in die Identität

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Die wichtigsten Curricula in Zimbabwe sind Radio und Fernsehen
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Einen großen Teil ihres Umsatzes mit Noteneditionen machen Verlage im Exportgeschäft. Das ist nichts Neues. Wie aber sieht Musikunterricht im Primarbereich oder in der musikalischen Grunderziehung woanders aus? Zwei Reiseberichte werfen ein Schlaglicht auf pädagogische Trends in Zimbabwe und der Mongolei. Land der balancierenden Steine und der Wasserfälle. Allen voran die Victoriafälle, die mit ihrer Breite von 1,7 km und dem beeindruckenden Schauspiel von Gischt und Sonne zu den sieben Weltwundern zählen. Ein Land, das waldreiches Hochgebirge, fruchtbares Ackerland und Savanne geographisch vereint: Zimbabwe, wie man es aus dem Reiseführer kennt. Bevölkert wird Zimbabwe (auf deutsch: „Stadt aus Stein") von einem Gemisch verschiedener ethnischer Gruppen. Die meisten Afrikaner gehören zum Kulturkreis der Shona und der Ndebele. Daneben gibt es Minderheiten, wie die Tonga, Sotho und Venda, sowie einige Nachkommen asiatischer Einwanderer. Die weiße Bevölkerung beträgt derzeit etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Entwicklung, Lebensart und Bildungssystem des Landes wurden durch rund 100 Jahre englische Kolonialherrschaft geprägt. Erst seit 1980, also 19 Jahren ist Zimbabwe unabhängig. Tradition goes Pop Kein Wunder also, dass diesem Völkergemisch ein Sammelsurium kulturellen Erbes zu eigen ist. Für die Afrikaner gehören Musik und Tanz zum täglichen Leben. So kann man zum Beispiel erleben, wie eine Großmutter ihren kleinen Enkel spontan singend und tanzend begrüßt. Traditionelle Feste, Hochzeits- und Bestattungszeremonien wären ohne Musik und Tanz undenkbar. Oft werden für solche Feiern professionelle Musiker engagiert. Diese sorgen nicht nur für die richtige Umrahmung des Festes, sondern haben zum Teil auch einen religiösen Auftrag. Die für uns selbstverständliche Abgrenzung von Bühne/Zuschauerraum und Musiker/Zuhörer ist dabei nicht vorhanden. Im Gegenteil, die Feiernden beginnen zu tanzen, ergänzende Rhythmen zu klatschen und die Melodien mitzusummen oder zu singen. Professionelle Musiker haben ihren Beruf entweder vom Vater geerbt oder haben sich eigens einem bekannten Musiker im Sinne eines Lehrling-Meister-Verhältnisses als Schüler angeschlossen. Ungewohnt für den westeuropäischen Betrachter ist, dass dabei keine Unterscheidung zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen gemacht wird. Wesentlich ist, dass traditionelle Lieder zwar übernommen werden, jeder Spieler jedoch improvisatorisch und kompositorisch damit umgeht und so seinen eigenen Stil entwickelt. Allerdings gingen während der Kolonialzeit aufgrund der Geringschätzung seitens der weißen Bevölkerung viele kulturelle und somit auch musikalische Schätze verloren. Erst im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung besannen sich schwarze Musiker wieder auf kulturelle Werte und Instrumente. Es entstanden die Chimurenga-Lieder, die den Freiheitskampf moralisch unterstützten. Nachträglich revolutionierte die Informationsflut aus Radio und Fernsehen, gleichwohl mit den technischen Möglichkeiten der Musikkonservierung in Form von Aufnahmen, die lokale Musikszene. Heute wird diese zweifellos von Musikern bestritten, die die Textbezogenheit der Chimurenga-Lieder oder andere Elemente ihrer Kultur mit Reggae- und Popelementen vermischten und so einen neuen Stil entwickelten. Der Vormarsch der Medien, die weltweit gängige Verquickung von Musikstilen und die Komposition mit elektronischen Mitteln (sprich: alles Neue) birgt allerdings auch die Gefahr, die ursprünglichen Wurzeln zu vergessen. Zimbabwes traditioneller Musik einen höheren Stellenwert in den Gedanken der allgemeinen Bevölkerung zu geben, ist ein Ziel von Chris Timbe, Leiter der Abteilung für Musikpädagogik am „Zimbabwe College of Music" in Harare. Dies verbessere nicht nur das Selbstbild und somit die kulturelle Identität der Einwohner Zimbabwes, deren musikalisches Talent gegebenermaßen in der traditionellen Musik liege, sondern wäre auch ein interessanter Blickfang für europäische Komponisten, die in der reichen Kultur Zimbabwes Anregungen für ihre eigene Arbeit finden könnten. Aufgrunddessen versucht zur Zeit Paul Renan, Komponist und zuständiger Leiter für die Klassikausbildung am College, durch Kontakte zur Yehudi Menuhin-Stiftung und dem englischen Komponisten Alexander Gerr Aufmerksamkeit auf die Musik Zimbabwes zu lenken. Ehemals spielte die klassische Musik am College durch die Bindung an London eine große Rolle. Gerade in der weißen Gesellschaft sind klassische Konzerte nach wie vor sehr beliebt. Das Identitätsprinzip in Form von Rückhalt trifft auch in diesem Falle zu. Der Großteil der Bevölkerung hat jedoch keinen Bezug dazu. Im Zuge der Absonderung zum anderen Kontinent wurden traditionelle englische Musikwurzeln ebenso unpopulär. P. Renan sieht jedoch in beiden Wurzeln eine Chance. Er möchte der Bevölkerung Zimbabwes den Vergleich beider Kulturen als Ausgangspunkt für die eigene Kreativität vermitteln. Um seinem Ziel näher zu kommen, arbeitet das College zur Zeit an einem offiziellen Lehrplan für Musik an öffentlichen Schulen, da dieses Fach bis jetzt als unwichtig betrachtet wird. Erst nach der Unabhängigkeit 1980 wurde das Fach in manchen Schulen eingeführt, wird bis heute jedoch kaum ernst genommen. Helfen soll dabei auch die pädagogische Ausrichtung der Collegeausbildung. Für Schullehrer gibt es einen zweijährigen Aufbaukurs, in dem musikalische Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden. Das Fächerangebot des College reicht von Instrumenten westlichen Ursprungs, über Popmusik, musiktheoretischen und pädagogischen Fächern bis zu traditionellen afrikanischen Instrumenten (wie Mbira und Marimba) und afrikanischem Tanz. Die Leitung des Colleges hofft, dass durch derart ausgebildete Personen ein Multiplizierungssystem entsteht und Musik auch in den Schulen auf dem Land eingeführt wird. Leider schaut nach Aussagen C. Timbes die Wirklichkeit derzeit noch anders aus. Umfragen ergaben, dass kaum einer der Absolventen im Kampf gegen Geldmangel und Desinteresse die Möglichkeit bekam, Musik als Fach zu unterrichten. Erklärbar ist diese Tatsache aus der Rolle, die der Schulbildung momentan in Zimbabwe zukommt. In erster Linie sollen Schüler Dinge lernen, die sie im wirtschaftlichen Sinne existenzfähig machen und dies fängt bei Themen wie Schreiben und Rechnen an. Schulgeld und Uniformen sind für die meisten Familien ein wesentlicher Kostenfaktor. Und da schließt sich der Teufelskreis. Schüler und Eltern, die den Wert eines guten Musikunterrichts noch nicht schätzen gelernt haben, treten auch nicht für die Einführung desselben (der ihnen die Musik ja nahebringen soll) ein. Chris Timbe und P. Renan wollen versuchen als nächsten Schritt, zusammen mit der Zimbabwe Academy of Music und dem Kwanongoma College in Bulawayo (welches vor allem auf die traditionelle Musik Zimbabwes spezialisiert ist) ein großes musikpädagogisches Netzwerk schaffen.

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