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Zuhören um wirklich zu hören

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Wie Offenes Singen zu einem Propädeutikum für Kinderkonzerte werden kann
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Kinder sind in ihrem spontanen Verhalten allen Lebenssituationen gegenüber und so auch in einer Konzertsituation von einem ständigen „Mitmach-Impuls“ gesteuert. Dies fällt bei jüngeren Kindern besonders auf und ist ein normaler Vorgang innerhalb ihres gesamtkörperlichen Entwicklungsstandes.

Kinder sind in ihrem spontanen Verhalten allen Lebenssituationen gegenüber und so auch in einer Konzertsituation von einem ständigen „Mitmach-Impuls“ gesteuert. Dies fällt bei jüngeren Kindern besonders auf und ist ein normaler Vorgang innerhalb ihres gesamtkörperlichen Entwicklungsstandes.Der Fall einer fiktiven Kinderpersönlichkeit wie „Momo“ aus dem Roman von Michael Ende wird dagegen eher als Seltenheit erlebt: „Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören ... Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme.“

Sicherlich geben inzwischen viele Konzepte von Kinderkonzerten dem weithin verbreiteten Mitmach-Impuls Raum und dies oftmals auf durchaus sinnvolle Weise. Und dennoch: wünschen wir uns nicht auch im Sinne der ästhetischen Ganzheit eines Musikstückes oft ein wenig mehr von Momos Zuhörer-Haltung?

Fast überflüssig, darauf hinzuweisen, dass eine derartige Haltung geübt, ja gelernt werden muss: „Aktives Zuhören ist keine Methode, es ist eine Art des Daseins.“ Nun ist aber Zuhören im Gefolge der rasanten technischen Entwicklung gleichzeitig immer schwieriger geworden. Ob es nun die atemberaubend schnelle Abfolge von Bildsequenzen am Computer, Fernseher oder auch im Kino (Zeichentrickfilme) ist, Pausen zwischen einem visuellen und akustischen Reiz und der Möglichkeit seiner Verarbeitung gehen immer mehr gegen Null.

Ruhe, langsames Geschehenlassen, Verweilen, Staunen, Lauschen, Selektieren sind Begriffe, die allmählich immer mehr ihre praktische Bedeutung verlieren, wenn sie nicht bewusst in einen pädagogischen Kontext als quasi didaktische Prämisse integriert werden. Hierbei kann das Singen auch in der Form des Offenen Singens vielleicht gute Hilfestellung leisten und sollte sich stärker als eine Form des Kinderkonzertes etablieren und viele Institutionen wären aufgerufen, hierbei vielfältig mitzuwirken wie zum Beispiel Kindergärten, Grundschulen, Musikschulen, Kirchengemeinden.

Das Offene Singen ist eine animative Veranstaltung, die im Wesentlichen die Singbereitschaft im zunächst völlig „ungebildeten“ Stadium wecken möchte. Aber schon auf dieser Ebene wird der akustische Eindruck auf den eigenen Körper gelenkt und somit gebündelt, dadurch wird Selektion möglich und Konzentration gefördert. Singen und Hören sind zwei Bereiche, die auch physiologisch eng aufeinander bezogen sind, so dass sich Gehörtes im Gesungenen immer verstärkt. Was hier beim Singen der eingängige Refrain eines Liedes darstellt, ist später im Konzert das sich wiederholende Thema, aber auch die Charakteristik bestimmter Instrumente oder Instrumentengruppen und auch das Behalten bestimmter Klangfarben, die aus der Instrumentation resultieren.

Im Umgang mit selbstgesungenen Liedern werden kleine, aber musikalisch bereits formbildende Strukturen erfahren und wirklich erfasst. Und was hier auf elementarer Ebene kennen gelernt wird, kann im Konzert zu immer kompetenterem Verstehen auch größerer musikalischer Zusammenhänge führen.

So wie viele Lieder in ihrer melodischen Gestalt unabhängig vom Text einen bestimmten musikalischen Gestus repräsentieren, der sich dem Gehör einprägt und so zu einem echten „Ohrwurm“ wird, kann diese Erfahrung auch den Höreindruck im Konzert spezifischer machen. So verstandene musikalische Bildung kann dann zum Hören- und Verstehen-Wollen führen, da die Grammatik klingender Ereignisse im Lied und eigenen Singen bereits grundlegend erlebt, erfahren und gelernt wurde. So entsteht allmählich Interesse an den immanenten Gesetzen und Bauprinzipien der Kunstform Musik – vergleichbar einem fesselnden sprachlichen Kontext. Damit wäre ein wichtiger Schritt in eine Hördimension erreicht, die auf falsche „Äußerlichkeiten“ verzichten kann und direkt in die Musik hineinführt. Dem Leiter eines Offenen Singens mit Kindern sind damit Aufgaben gestellt, die über die bloße Funktion eines Animateurs weit hinausgehen. Er muss in der Lage sein, gültiges Liedmaterial zu finden und die melodischen Aussagequalitäten zu erkennen und in seiner Präsentation darzustellen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Inflation an seichtester Liederproduktion, mit ihrer Verbreitung auf Kassette und CD in vielen Kinderzimmern. Daher stellt sich auch die Frage, ob das Offene Singen in diesem Verständnis eine Massenveranstaltung sein kann – ein Ruf, der dieser musikalischen Veranstaltungsform ja immer noch vielfach kritisch anhaftet.
Die Antwort kann nur lauten: Nein! Es geht vielmehr darum, kleine überschaubare Gruppen (die Kinder aus zwei Kindergärten, zwei Grundschulklassen, zwei Gruppen aus der Musikalischen Früherziehung) in nicht zu langen zeitlichen Einheiten (max. 45 Min.) zu erfassen und zu erreichen. Dann wird viel von dem gelingen können, was musikpädagogisch weiterwirken kann und positiv auf die Hörhaltung des „kleinen Konzertbesuchers“ ausstrahlt.

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