Mitte September hatte die Arbeitsgemeinschaft der Leitenden musikpädagogischer Studiengänge (ALMS) zu einem Symposium anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens in die Musikhochschule Freiburg eingeladen. Seit den 1970er Jahren ist dem Zusammenschluss von Hochschullehrenden die Qualität der musikpädagogischen Studiengänge ein Anliegen, immer auch in Verbindung mit den jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernissen und Rahmenbedingungen an Musikschulen und im freien Beruf. So stand die Veranstaltung folgerichtig unter der Überschrift „Artistic Citizenship“. Erfreulicherweise waren zwei Drittel der 120 Teilnehmenden Studierende. Dies wirkte belebend, da viele Beiträge zu Dialog, Partizipation oder tätiger Mitwirkung einluden.
Zu Beginn der Tagung ordnete der Sprecher der ALMS, Wolfgang Lessing, den Begriff „Artistic Citizenship“ und seine Ursprünge zunächst grundlegend ein. Früher als in Deutschland, wo vielfach noch die Zweckfreiheit von Kunst verteidigt wird, wurde im amerikanischen Kulturraum sowohl das Recht als auch die Pflicht betont, Musik und andere Künste mit sozialem Engagement und politischer Einflussnahme zu verbinden.
Wolfgang Rüdiger verwies in seiner Keynote eindringlich auf die Chancen des emotionalen Ausdrucks im Musizieren, auf gemeinschaftliches Erleben, auf das Recht jedes Menschen, das Glück, das in den kommunikativen Klängen der frühesten Kindheit erfahren wurde, im späteren Leben wiedererleben zu dürfen. Im Mittelpunkt des Beitrags von Ulrich Mahlert und Ivo Berg wiederum stand der Klimanotstand, den der Akademische Senat der UdK Berlin schon 2020 ausgerufen hatte. Unter engagierter Beteiligung von Studierenden finden seitdem Aktionen zum Thema statt. Der Beitrag verdeutlichte einprägsam, dass manche Situationen im Unterrichtsraum oder Seminarraum ein Umgehen mit entsprechenden Sorgen und Nöten einfordern. Studierende der Freiburger Musikhochschule spitzten im Rahmen eines „Dramoletts“ die Positionen zu: Konkrete Beispiele für die Umsetzung der Idee von „Artistic Citizenship“ wurden aufgezeigt und genauso schnell wieder einer gnadenlosen Kritik unterzogen. Zwischen der ironischen Frage „Nun auch noch die Welt retten müssen?“ und dem selbstbewussten Hinweis, schon immer persönlichkeitsbildend wirksam gewesen zu sein, vermittelte am Ende eine mit Erich Kästners „Zeitalter der Empfindlichkeit“ illustrierte Position des selbstkritischen und vorwärtsgewandten Mutes zu Infragestellung und Veränderung.
Hier schloss sich der Vortrag von Andreas Pfeifer organisch an, indem er zeigen konnte, dass die Arbeit mit Videoaufzeichnungen ein ideales Werkzeug für Selbstwirksamkeitserfahrungen und Selbstermächtigung im Musikunterricht darstellt. Katharina Bradler und Andrea Welte gaben (in Anlehnung an ein von den beiden geleitetes hochschulübergreifendes Master-Seminar) theoretische Impulse und interessante Praxiseinblicke, die in ein World Café mündeten, an deren Tische alle Teilnehmenden schnell und intensiv miteinander ins Gespräch kamen.
Den eigentlichen Anlass, nämlich die Gründung der ALMS vor 50 Jahren griff Theresa Merk auf, indem sie das Professionalisierungsbemühen der Musikpädagogik seit den 1960er-Jahren aufzeigte. Schon 1965 wurde der Mangel an geeigneten Musikschullehrenden beklagt, die dringende Notwendigkeit beschworen, für breite Angebote im Bereich Gruppen- und Laienmusizieren zu sorgen und den Musiklehrenden die ihnen zustehende gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. So bezeichnete dann Friedrich-Koh Dolge, Bundesvorsitzender des VdM, die ALMS in seinem Grußwort als wichtigen ‚Think-Tank‘ in Sachen musikschulischer Entwicklung. Er stellte die Forderungen nach Festanstellung und angemessener Honorierung in den Kontext des Rechtsanspruchs von Grundschulkindern auf Ganztagsbetreuung ab 2026, der den Fachkräftemangel – besonders im Bereich EMP – in den kommenden Jahren verschärfen wird. Reinhard von Gutzeit ließ den streitbaren Geist der 1968er-Jahre vor dem inneren Auge des Publikums aufleben und wünschte der ALMS bezüglich der Idee von „Artistic Citizenship“ eine gelingende Anknüpfung an die damaligen „Go-Ins“. Im dritten Grußwort weitete Stefan Gies vom Zusammenschluss der europäischen Musikhochschulen AEC den Blick auf dessen gesellschaftliche Aktivitäten. Aus seiner Sicht hat Deutschland hier noch Potenzial, wird doch die Frage nach gesellschaftlicher Verantwortung der Kunst stellenweise als Zumutung empfunden.
Auf einem anschließenden Podium wurden Aspekte wie die hohe Attraktivität eines Musikstudiums sowie das oft ernüchternde Berufsbild diskutiert und die Frage aufgeworfen, ob Aufnahmeprüfungen in ihrer jetzigen Form sinnvoll seien. Vor der Verlagerung der Teilnehmenden in Richtung des Food-Trucks rundeten Studierende der HfM Trossingen den Tag mit einer eindrucksvollen Performance aus dem Bereich der Rhythmik ab. Ebenso inspirierend startete der zweite Tag mit einer künstlerischen Darbietung aus dem Bereich EMP der Musikhochschule Freiburg.
Danach veranschaulichte Dierk Zaiser, wie musikalisches Tun im Jugendstrafvollzug mit seinen Möglichkeiten zur Selbstermächtigung einen Kontrast zu den dort vorherrschenden Machtverhältnissen voller Zwang, Bestrafung und Ohnmacht bildet. Eindrucksvoll illustriert mit Fotos und Videos präsentierten Renate Reitinger und Daniel Valeske ihre künstlerische Arbeit mit wohnungslosen Jugendlichen, die die große Herausforderung enthielt, den Betroffenen – beispielsweise im Songwriting – auf Augenhöhe zu begegnen.
Bevor Michael Dartsch, Renate Reitinger und Barbara Stiller schließlich auf den überarbeiteten Bildungsplan des VdM für die Grundstufe neugierig machten, bezog Corinna Eikmeier das gesamte Publikum in eine farbige, spannungsreiche Großgruppenimprovisation ein. Am Ende der Tagung konnten (und sollten) die Teilnehmenden nicht eine abschließende Erkenntnis mit nach Hause nehmen, sehr wohl aber einen Eindruck von Möglichkeiten, Chancen und Notwendigkeiten gesellschaftlich relevanter Kunstausübung.