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Ein Porträtfoto Fritz Kreislers aus der Zeit seiner Australientournee, auf dem er 1925 in Brisbane ein – heute leider nur noch am Original schwach leserliches – Autogramm gab. Foto: privat
Ein Porträtfoto Fritz Kreislers aus der Zeit seiner Australientournee, auf dem er 1925 in Brisbane ein – heute leider nur noch am Original schwach leserliches – Autogramm gab. Foto: privat
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Das Beste aus zwei Welten

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Gedenkkonzert anlässlich des 50. Todestags von Fritz Kreisler
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Atonal und frei-fließend erklingt die virtuose Solo-Introduktion der Violine. Sie mutet ernst und betrübt an, ergeht sich in ausgeprägter Chromatik und übergibt den Ton wie einen Staffelstab an die einsetzende Klavierstimme. Gemeinsam öffnen darauf beide eine Tür, die geradewegs in eine andere Welt zu führen scheint: in das „Alte Wien“. Sext- und Terz-Doppelgriffe der Violine verzaubern in Verbindung mit Glissandi und Vibrato, der Dreivierteltakt ist mehr zu erspüren als zu hören, einfache Melodik verbindet sich mit Richard-Strauss-Anklängen, und die süß-melancholische, wienerische Atmosphäre geht unter die Haut.

Es ist kurz nach 19 Uhr am 29. Januar 2012, als Benjamin Schmid an der Violine und Andrea Linsbauer, Klavier, ihr Publikum im festlichen Wiener Rathaus mit dieser knapp zehnminütigen „Viennese Rhapsodic Fantasietta“ wie auch mit anderen Werken musikalisch zu fesseln wissen und auf eine Zeitreise mitnehmen. Sie lassen ihre Zuhörer in Musik und Worten nachempfinden, was die emotional-künstlerische Welt eines „schmächtigen Mannes mit gütigen Augen“ – wie er in den einführenden Worten beschrieben wird – wohl ausgemacht hat: die Welt des Violinvirtuosen und Komponisten Fritz Kreisler. Ihm wird an diesem Abend, seinem 50. Todestag, mit einem kleinen Querschnitt durch sein Œuvre gedacht. 

Gerade seine berühmtesten Kompositionen aus den „Alt-Wiener Tanzweisen“ dürfen dabei nicht fehlen, „Schön Rosmarin“, „Liebesfreud“ und „Liebesleid“. Werke wie „Tambourin Chinois“, „Danse espagnole“ und „La Gitana“ zeugen von der Freude des Komponisten und seiner Zeit an Exotismus und Folklore, verschiedene kulturelle Elemente beeinflussen einander, wie die vielen Völker in der österreichisch-ungarischen k.u.k-Monarchie, in die Fritz Kreisler hineingeboren worden war. 

Zum Gedenkkonzert geladen hat, im Namen der Fritz Kreisler Gesellschaft, die Pianistin und künstlerische Leiterin des Abends: Andrea Linsbauer, Wienerin, Kreisler-Enthusiastin und -Expertin. Mit ihrer Publikation „Das ,Wienerische Moment‘ in den Kompositionen Fritz Kreislers“ wie auch diesem Konzert stellte sie das kompositorische Schaffen eines Mannes in den Vordergrund, der in erster Linie als berühmter Geiger in die europäische und amerikanische Musikgeschichte eingegangen ist. Vielleicht auch deshalb, weil der als bescheiden geltende Musiker manche seiner eigenen Kompositionen zunächst barocken Meistern zugeschrieben und sich selbst nur als Arrangeur seiner „Klassischen Manuskripte“ tituliert hatte, solange, bis er in der New York Times „entlarvt“ wurde und es zu einem Skandal kam. Aber der Reihe nach.

Fritz Kreisler wurde am 2. Februar 1875 als Sohn eines jüdischen Arztes und einer katholischen Mutter in Wien geboren und zeigte früh überragendes musikalisches Talent. Bereits mit sieben Jahren wurde er am Wiener Konservatorium aufgenommen und von Joseph Hellmesberger jun. sowie von Anton Bruckner unterrichtet, mit zehn begann er sein Studium am Conservatoire de Paris bei Joseph Massart, Léo Delibes und Jules Massenet, drei Jahre später war der junge Violinist erstmals auf einer Tournee in den USA. Der bis heute für das „Wienerische“ in seiner Musik verehrte Künstler wurde 1896 vom „ersten“ Orchester seiner Heimatstadt, den Wiener Philharmonikern, abgelehnt. Vielleicht kam es gerade deshalb in dieser Zeit zu Kreislers erster Schaffensperiode als Komponist. Der Durchbruch als Musiker sollte ihm 1899 mit seinem Debüt bei den Berliner Philharmonikern gelingen, worauf zahlreiche internationale Tourneen und Konzerte folgten. Nach der Machtergreifung Hitlers verließ Kreisler Berlin und emigrierte 1939 in die USA, wo er im Jahre 1962 in New York verstarb.

Kreislers Virtuosität, gepaart mit einer unverwechselbaren Spielweise, hatte ihn um die Jahrhundertwende in Kürze große Berühmtheit erlangen lassen. Sein Geigenton war von einer besonderen Wärme, konnte lieblich bezaubern und war dennoch nicht überladen, blieb vielseitig. In seinem Doppelgriffspiel konnte Kreisler über mehrere Takte hinweg auf beiden Tönen vibrieren und deutlich artikulieren. Bei seinem Vibrato selbst baute er auf der Technik belgisch-französischer Meis-

ter auf und entwickelte es zu einem eigenen „Reflexvibrato“, bei dem ein bestimmter Teil des Unterarms sowie gleichzeitig die Fingerspitze (mit sehr geringem Kontakt zur Saite) schwingt. „Er vereinte in seinem Geigenspiel das Beste aus beiden Welten, aus Wien und Frankreich“, fasst es der erfolgreiche und gefeierte Violinsolist der Gegenwart, Benjamin Schmid, zusammen. Ihm gelingt es gemeinsam mit Andrea Linsbauer an Kreislers 50. Todestag warm und uneitel, einfühlsam und unprätentiös, zugleich verschmitzt und unvergleichlich wienerisch die Faszination Fritz Kreisler weiter zu nähren. Dass und wie Kreislers Vermächtnis im besten Sinne fortlebt, zeigte sich auch, als in der Mitte des Gedenkkonzerts eine Preisträgerin des letzten Fritz Kreisler Violinwettbewerbs, Ekaterina Frolova, Kreislers „Präludium und Allegro im Stil von Pugnani“ virtuos und äußerst überzeugend vortrug. 

Am meisten hallte am Ende dieses Abends die „Viennese Rhapsodic Fantasietta“ nach, Fritz Kreislers letzte Komposition, die er in den Jahren 1941 und 1942 schuf und in der er von New York aus auf das Wien seiner Kindheit und Jugend zurückblickte, während es unter den Bomben des Zweiten Weltkrieges gerade in Schutt und Asche zu zerfallen schien. 

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