Die Edition Peters in Frankfurt zählt zu den großen und traditionsreichen deutschen Musikverlagen. Von den Wänden im Büro des Geschäftsführers Karl Rarichs und im Konferenzzimmer blicken mehr als zwei Jahrhunderte mitteleuropäischer Musikgeschichte. Nachwuchsförderung, sagt Rarichs, war immer ein besonderes Anliegen des Hauses, weil Nachwuchsförderung nichts Anderes ist als Arbeit für die eigene Zukunft.
Aber die Arbeit des Verlags hat sich in den vergangenen Jahren strukturell stark verändert und mit ihr die Idee von Zukunft, die man sich in einem Musikverlag macht. Das so genannte „Papiergeschäft“, also das Verlegen und Vermarkten von Notentexten über die klassischen Infrastrukturen der Branche, ist stark zurück gegangen. Es leidet unter den zeitgenössischen Kopiertechniken und Speichermedien, es kann keine Verbreitung der verlegten Werke mehr garantieren und wird weiterhin an Bedeutung verlieren. Man müsse, sagt Rarichs, sich also fragen, ob man um dieses traditionelle Kerngeschäft auf Dauer wirklich noch den Verlag gruppieren kann. Dementsprechend müsse auch der Zugang zur Nachwuchsförderung sich verändern. Und schließlich: „Wer ist denn der Nachwuchs“, fragt Rarichs und gibt sich selbst die Antwort: „Natürlich die jungen Leute, für einen Musikverlag also die jungen Komponisten. Und natürlich die Interpreten, die die Musik dieser Komponisten spielen sollen. Und selbstverständlich das Publikum, das in ihre Konzerte kommt.“ Was also kann man sich ausdenken, damit man den Nachwuchs so fördern kann, dass es auch etwas nutzt? Und zwar dem und dem Verlag und möglichst vielen anderen auch, weil der Verlag nur als Teil im Organismus des Musikbetriebes funktioniert? Man kann Wettbewerbe veranstalten, Preise ausloben, junge Komponisten verlegen, das sind die klassischen Handlungsmöglichkeiten eines Verlages. Man sollte das allerdings am besten tun, ohne irgendwo das Etikett „Nachwuchsförderung“ drüber zu kleben, denn dann meint die Öffentlichkeit: Hier tut endlich mal jemand was! und niemand hört mehr hin. Und was soll man machen, wenn niemand die jungen Komponisten spielen und hören will? Diese Frage beschreibt recht gut den Status quo. Aber dann fängt Karl Rarichs plötzlich an, über etwas ganz Anderes zu reden: Amateurwettbewerbe. In Frankfurt, sagt er, habe man sich das ausgedacht, in einem Verbund aus verschiedenen Institutionen des Musikbetriebes: Man schreibt einen Wettbewerb aus und ermuntert Amateure zum Vorspielen, sie können in der Endausscheidung öffentlich auftreten und bekommen einen Preis. „Was wir da für Musiker zu hören bekommen“, sagt Rarichs, „das ist wunderbar!“ Und was für eine Resonanz, die Bewerbungen gehen in die Hunderte, und da ist kein schlechter Musiker dabei! In Leipzig hat man diese Idee jetzt auch übernommen, in Stuttgart wird das vielleicht auch bald geschehen. Das ist Arbeit am und mit dem Publikum, sagt Rarichs. Amateurmusiker sind das allerbeste Publikum; ihr Können anzuerkennen, das ist Musik- und also auch Nachwuchsförderung. – Man sieht: Es ist schwierig, mit Karl Rarichs über ein isoliertes Thema zu sprechen. Das Arbeitsfeld des Verlages ist für ihn der Musikbetrieb insgesamt, und den kann er nach all den Jahren, in denen er dazu gehört, nur als ein kompliziertes Ganzes mit komplexen Vorgängen und Abhängigkeiten begreifen. Darum rücken Probleme nie als Einzelne in sein Blickfeld, und der Verlag, dessen Geschäftsführer er ist, ist für ihn keine isoliert handelnde Institution und nicht nur Teil eines anonymen Marktes, sondern einer unter mehreren, teils kooperierenden, teils konkurrierenden Partnern – was sich nicht ausschließt –, die zusammen einen guten Teil des Frankfurter Musiklebens ausmachen. Der informelle Verbund selbst ist entstanden durch jahrelange Arbeit, durch Projektideen, durch Höflichkeit, Kontaktpflege und durch die Abschaffung von Berührungsängsten. Zu ihm zählen in Frankfurt neben der Edition Peters der Hessische Rundfunk, die Musikhochschulen der Stadt, die Arbeitsgemeinschaft der Frankfurter Chöre, die Museumsgesellschaft – die Träger des Orchesters der Frankfurter Oper ist und zudem ein reger Konzertveranstalter der Stadt –, das Konzerthaus Alte Oper, die Oper Frankfurt, das Ensemble Modern, verschiedene Bekanntenkreise, Förderer und überhaupt potenziell jeder, der mitmachen will und etwas zu bieten hat. Etwas Ähnliches, findet Rarichs, müsse auch unter den deutschen Musikverlagen entstehen. „Wir müssen“, findet er, „viel mehr gemeinsam machen, koproduzieren, Programmpolitik besser abstimmen“.
Das wird einerseits immer dringlicher, andererseits immer einfacher: Schließlich gebe es gar nicht mehr allzu viele Musikverlage im Lande. Jede sinnvolle Nachwuchsförderung müsse kooperativ aufgebaut sein. Die Arbeit eines Verlages aber verändert sich stark, wenn man sie so begreift, und sie verlässt die herkömmlichen professionellen Bahnen und das Umfeld der landläufigen gesellschaftlichen Ereignisketten des Musikbetriebs zwischen dem Verlegen einer Partitur und ihrer Aufführung. Der Musikbetrieb, das seien nicht die durchreisenden Eliteorchester und großen Solisten, der Musikbetrieb sei vor allem das, was in der Stadt seine Wurzeln und seine Praxis habe. Nachwuchsförderung, das heiße zum Beispiel, sich mit den Defiziten zu befassen, die der insgesamt rarer werdende Musikunterricht produziert.
Nur wer früh und einigermaßen gründlich mit Musik in Berührung komme, werde ihr später einen wichtigen Platz im Leben einräumen, als Musiker oder als Hörer. Man müsse, fasst Karl Rarichs zusammen, jungen Komponisten auf den Markt verhelfen, also ihre Arbeiten verlegen und auch dafür sorgen, dass sie gespielt und gehört werden. Der E-Musik-Betrieb ist heutzutage darauf eingestellt, dass die Konzerthäuser kaum mehr selbst Programme erstellen und Ensembles engagieren, sondern auf Angebotslisten reagieren, die wiederum von Agenturen mit prominenten Namen bestückt werden. Musikverlage müssen zukünftig wie Agenturen auftreten. Sie müssen Konzertprogramme entwerfen, um selbst komplette Angebotspakete für die Konzerthäuser schnüren zu können. Eine sinnvolle und wirklich zukunftsträchtige Nachwuchsförderung, findet Karl Rarichs, könne nur bedeuten, dass der ganze gegenwärtige Musikbetrieb verändert werden müsse – unter anderem, solange und weil ihm Nachwuchsförderung als isoliertes Phänomen erscheint.