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Tanzende Stimme, singender Körper, unerschöpfliche Kreativität: Meredith Monk macht Pause. Foto: John Rogers /ECM
Tanzende Stimme, singender Körper, unerschöpfliche Kreativität: Meredith Monk macht Pause. Foto: John Rogers /ECM
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Den Weg der Stimme gehen

Untertitel
Über die Welt der Komponistin, Sängerin, Tänzerin und Choreografin Meredith Monk
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Meredith Monks vielschichtiges Schaffen als Komponistin, Sängerin, Performerin und interdisziplinäre Künstlerin steht erratisch in der amerikanischen Musikgeschichte der vergangenen sechs Jahrzehnte.

Sie war Zeitgenossin von John Cage und Philip Glass, den Cohen-Brüdern, die ihren „Walking Song“ als Soundtrack für „The Big Lebowski“ verwendeten, sowie weltmusikalisch experimentellen Künstlern wie dem in den 80ern auf einer deutschen Autobahn tödlich verunglückten Perkussionisten und Sitarspieler der Kultband Oregon, Collin Walcott. Monks Werk ist eng verflochten mit der Zeitgeschichte und dennoch zeitlos geblieben. Aus Anlass ihres 80. Geburtstages am 20. November ist jetzt eine Box mit 12 Alben erschienen, die Meredith Monk  zwischen 1981 und 2015 beim Münchener Label Edition of Contemporary Music (ECM), veröffentlicht hat.

Man schiebt die CDs in den Player – sofern man so etwas noch besitzt – und ist augenblicklich in eine Klangwelt versetzt, in der die Zeit nicht unbarmherzig voranschreitet, sondern im ewigen Augenblick zu verharren scheint. Meredith Monks Songs weisen keinerlei Altersspuren auf, haben nicht die Patina angesetzt wie andere, bei ihrer Uraufführung bereits epochale Gültigkeit einfordernde Werke. Das liegt unter anderem daran, dass die Monk mit ihrer Kunst komplexer Einfachheit, der Reduktion auf die ursprünglichsten aller Instrumente, den Körper und die Stimme, etwas Universelles im Zuhörer anspricht. Monks Musik ist zeitgenössisch und archaisch zugleich. „Ich mache Volksmusik von einem anderen Planeten“, sagt sie selbst dazu. In einem gängigen Zitat erläutert die Komponistin konzis, was sie antreibt: „Ich arbeite mit einer tanzenden Stimme und einem singenden Körper.“

Meredith Monk wurde am 20. November 1942 in New York City geboren. Ihre Musikerkarriere schien vorprogrammiert: Die Großmutter mütterlicherseits war Konzertpianistin, die in Harlem ein Konservatorium leitete, der Großvater ein Bariton, ihre Mutter trat als Popsängerin auf. Musik galt also viel im familiären Umfeld mit russischen, polnischen und jüdischen Wurzeln. Sie erhielt früh Unterricht an Klavier und Keyboard. Ein Grund dafür, dass sie trotz dieser Anlagen und intensiven Förderung nicht den klassischen Konservatoriumsweg gegangen ist, mag in einer Sehstörung liegen, die Bewegungsbeeinträchtigungen zur Folge hatte und die Eltern dazu veranlasste, sie in einen rhythmisch-musikalischen Unterricht nach Émile Jaques-Dalcroze zu geben. So kam sie in jungen Jahren intensiv mit der Gedanken- und Bewegungswelt des Erfinders der Rhythmik als künstlerisches Fach in Kontakt.

In diesen Rhythmikstunden wurde der Grundstein zu Monks herausragenden interdisziplinären Kompetenzen gelegt. Später erhielt sie Unterricht bei der deutsch-amerikanischen Tänzerin und Choreografin Bessie Schönberg, sang als Teenager in Rock und Folkbands und ging nach Abschluss ihres Studiums 1964 nach Downtown New York, wo sie anfangs Engagements als Tänzerin und Sängerin in Off-Off-Theatern und Kirchen hatte, doch bald mehr und mehr mit eigenen Choreografien und als Sängerin eigener Kompositionen in Erscheinung trat.

Ihr künstlerisches Umfeld war geprägt von feministischer Performancekunst, den Nachwirkungen von Fluxus, dem Einfluss von John Cage und der damals aufkommenden Minimal Music, einer spezifisch amerikanischen Spielart der zeitgenössischen Musik. Mit 14 entdeckte Monk, dass sie nicht als Interpretin geboren war, sondern ihr Temperament eindeutig dahin ging, Eigenes zu kreieren und aufzuführen. Sie spricht von einer inneren Notwendigkeit, diesen Weg der Stimme gehen zu müssen.

Auch wenn sie sich auf Klassisches, Folkloristisches, Archaisches oder auch Jazziges bezieht, ist die von ihr entwickelte Gesangs- und Kompositionstechnik ihr Erkennungsmerkmal bis heute und unlösbar mit der Künstlerin verbunden.

Singen, Bewegen und nicht Sprechen

Am Anfang habe es Anfeindungen gegeben, erinnert sie sich, „Ist das Singen oder Krächzen“ – doch sie ließ sich nicht davon abbringen, alle Möglichkeiten ihrer Stimme zu entdecken und auszuloten. Sie sagt: „Die menschliche Stimme ist das Instrument, das uns am nächsten ist, und das uns auf direktem Weg zu dem universellen Instrument führt, für das wir keine Worte haben.“ Bei allen Entwicklungen und Neuerungen, die ihr umfangreiches Œuvre ausmachen, war bereits 1966 mit der Uraufführung von „16 mm earrings“ alles da, was Monks Kunst heute noch ausmacht: das Visuelle, das erste Mal eine komplett ausgeschriebene Partitur der 24-jährigen Komponistin, die originelle Stimmbehandlung sowie ihre virtuosen, textlosen Vokalisen.

Mitte der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre arbeitete Meredith Monk allein, schrieb vor allem A-cappella-Songs und Stücke für Stimme und Keyboard. Mitte der 70er formte sie erstmals ein Ensemble junger Sänger, die sie auf ihrem künstlerischen Weg begleiteten und dazu ermutigten, ihre Musik farbiger und mehrstimmiger zu gestalten.

Die Künstler, die damals in ihren frühen zwanziger Jahren waren, mussten offen dafür sein, sich Monks musikalische Sprache zu eigen zu machen. Diese Monk-Ensembles veränderten sich je nach Werk und Jahrzehnt. Protagonisten waren neben vielen anderen der Perkussionist und Sitarspieler  Collin Walcott, die Sängerin Andrea Goodman und die Sänger Robert Een oder Julius Eastman. Namen aus der Zeit der letzten 15 Jahre wären etwa die Sänger*innen Theo Bleckmann, Katie Geissinger oder Sidney Chen.

Live ist die Performerin erst März 2020 mit Workshop und Konzert in der Elbphilharmonie zu erleben gewesen. Doch ihre Auftritte werden altersbedingt seltener. Auch wenn Live-Performance und Szene unabdingbarer Bestandteil ihrer Arbeiten sind, in die Tiefe und Magie der Monk’schen Klänge kann man zurzeit am unmittelbarsten dank ihrer jetzt wiederveröffentlichten Tonträger eintauchen.

Die Künstlerin hatte bis Ende der 70er-Jahre nur wenige Schallplatten veröffentlicht – vor allem bei Wergo. Dann begegnete Monk Manfred Eicher, dessen Label ECM zu dieser Zeit schon ein Jahrzehnt lang die moderne Jazzwelt dokumentiert hatte. Eine enge, bis heute währende Zusammenarbeit zwischen der amerikanischen Komponistin und dem deutschen Produzenten begann, die sich seit 1981 bis heute in 12 Langspielplatten beziehungsweise CDs niederschlug. Die Zwölf in der Box sind „Dolmen Music“, „Turtle Dreams“, „Do You Be“, „Book of Days“, „Facing North“, „ATLAS“, „Volcano Songs“, „mercy“, „impermanence“, „Songs of Ascension“, „Piano Songs“ und „On Behalf of Nature“ – sie decken bis auf wenige ältere Aufnahmen bei anderen Labels sämtliche Epochen von Monks Schaffen ab.

Im Vorwort dieser Gesamtwiederveröffentlichung unter dem Titel „Meredith Monk: The Recordings“ sagt Eicher:­ „Das ist die Story bis heute. Andere ECM-Projekte dieser rastlosen kreativen Künstlerin – ihre Cellular Songs eingeschlossen – zeichnen sich am Horizont ab.“ Und er macht das Versprechen: „Ich sehe ihrer Realisierung entgegen.“

Es gibt nichts Vergänglicheres als eine Theaterinszenierung oder eine Performance. Auch wenn heute filmische Dokumentationen relativ leicht zu realisieren sind, so schlummern diese meist in den Regalen der Dramaturgie. Für an Bild und Ton Interessierte bietet sich auf YouTube eine gute Möglichkeit, über die CD-Produktionen hinaus und ohne aufwändige Archivrecherchen bruchstückhafte Einblicke in etliche ihrer Performances und Musiktheater zu erhalten. Es wäre sicher eine lohnende Herausforderung für Theater und Opernhäuser, das Monk’sche Musiktheater mit eigenen Kräften auf die Bühne zu bringen.

Schildkrötenträume und Klavierlieder

Wer wissen will, wo und in welcher Atmosphäre die meisten ihrer Werke entstanden sind, kann mittels des YouTube-Clips „Meredith Monk’s Tortoise Dreams and Folk Music from Another Planet“ des Online-Formats Q2 einen Rundgang durch ihr Studio im New Yorker Stadtteil Tribeca machen. Vor fünf Jahrzehnten gab es in Monks Nachbarschaft gerade mal fünf Künstler, einen Coffee Shop und ein paar Werkstätten. Heute lebt die Künstlerin mitten in dem angesagten Stadtteil mit unzähligen Bars, Restaurants und Kunstgalerien. In diesem Film kann man auch die aktuelle Schildkröte Monks sehen: Schildkröten als Haustiere waren ihre Antwort auf eine Katzen- und Hundehaarallergie.

Sie haben aber auch mythische Bedeutung für die dem Buddhismus nahestehende Künstlerin: Schildkröten spielen in den Mythen des Buddhismus oder auch der nordamerikanischen Ureinwohner eine Rolle. Die altertümlichen Tiere, die ein übermenschlich hohes Alter erreichen können, scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen und sich in anderen Zeitzonen zu bewegen als der gewöhnliche Sterbliche. „Turtle Dreams“ heißt nicht umsonst ihre zweite ECM-CD aus dem Jahr 1983.

Der Widerschein von Transzendenz ist das eine in Monks Musik, in aktuellen Werken wie „Cellular Songs“ scheinen aber auch Themen wie Umwelt, Ökologie und Natur auf. Die Beschäftigung mit immer wiederkehrenden gesellschaftlichen Phänomenen wie dem Faschismus, der in ihrer jüdischen Familiengeschichte Spuren hinterlassen hat, gehört untrennbar zu den Performances von Meredith Monk. In einem Interview mit dem Videokanal  TateShots sagt sie: „Ich glaube, Kunst bildet keine Mauern, sie lässt sie verschwinden. Ich glaube an die heilende Kraft der Musik.“

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