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Der Sache dienender Mensch und Musiker

Untertitel
Zum Gedenken an den Pianisten Jürgen von Oppen
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„Dem Manne muss die Musik Feuer aus dem Geist schlagen. Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie … Wem meine Musik sich verständlich macht, der muss frei werden von all dem Elend, womit sich die andern schleppen.“ Diese Worte richtete Ludwig van Beethoven im Jahre 1810 an Bettina von Arnim, die Schwester des romantischen Dichters Clemens Brentano, mit deren Familie Beethoven seit längerem befreundet war.
Wie für Beethoven gilt dieses Bekenntnis auch für den großen deutschen Pianisten Jürgen von Oppen, der im vergangenen Jahr nach langer schwerer Krankheit verstorben ist. Musik als Offenbarung einer höheren Wahrheit – dies war sein Anliegen als Pianist und bedeutender Lehrer, der Generationen von Schülern geprägt hat.

Geboren wurde Jürgen von Oppen, der einer Pfarrersfamilie entstammte, im Jahre 1931 in Bernburg/ Sachsen-Anhalt. Von frühester Jugend an fesselte ihn die Musik, im Alter von sechs Jahren gab er seine ersten Konzerte. Sein Elternhaus, das 300 Jahre alte Pfarrhaus von Fischbeck, befand sich gegenüber der Stiftskirche. Die Klänge der dortigen Orgel waren die Klänge seiner frühen Kindheit. Bereits im Alter von elf Jahren wurde er in Stellvertretung für den zum Krieg eingezogenen Organisten selbst Stiftsorganist in Fischbeck und blieb es bis zu seinem 19. Lebensjahr.

Wie Wilhelm Kempff, der in seiner Jugend ebenfalls als Organist tätig war und den er später sehr gut kennenlernte, prägten auch Jürgen von Oppen die-se frühen Erfahrungen an der Königin der Instrumente und vor allem die Auseinandersetzung mit den Werken Johann Sebastian Bachs. Sie legten ein unerschütterliches musikalisches Fundament.

Ingeborg von Oppen, selbst eine hervorragende Pianistin und Ehefrau von Jürgen von Oppen, erinnert sich augenzwinkernd daran, wie in den Jahren des gemeinsamen Musikstudiums eine Typeneinteilung unter den Studenten und Lehrern immer anhand der Frage vorgenommen wurde: „Bist Du mit Bach aufgewachsen oder mit Mozart?“ Im Falle von Jürgen von Oppen ließ sich diese Frage eindeutig mit Bach beantworten, sein musikalischer Ausgangspunkt war und blieb die „hohe Kunst dieses Urvaters der Harmonie“, um eine Formulierung Beethovens aufzugreifen.

Glück hatte Jürgen von Oppen von Anfang an mit seiner pianistischen Ausbildung. Schon als Kind erhielt er Unterricht bei Erika Oppermann-Freidanck, einer Pianistin, die wie Claudio Arrau bei dem Liszt-Schüler Martin Krause in Berlin studiert hatte. Neben Orgel und Klavier spielte er in diesen Jahren auch Geige und übte sich mit großer Leidenschaft in einer Kunst, die für die Interpreten des 19. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit war, heute jedoch kaum mehr beherrscht wird: die Kunst der Improvisation. Diese schöpferische Art zu musizieren hat sicher wesentlich zu Jürgen von Oppens späteren Interpretationen und seinem Werkverständnis beigetragen.

Im Jahre 1950 machte Jürgen von Oppen sein Abitur am Schiller-Gymnasium von Hameln. Am Tage der Abiturfeier gab er einen Klavierabend – um den Mitschülern eine Abiturreise zu ermöglichen. Ein Jahr später begann seine Studienzeit.

Jürgen von Oppen entschied sich für ein Klavierstudium bei der deutschen Cembalistin und Pianistin Edith Picht-Axenfeld an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau. Verheiratet mit dem Religionsphilosophen Georg Picht, war sie eine der großen Bach-Interpretinnen und Pädagoginnen der Nachkriegszeit. Nach vier Jahren schloss Jürgen von Oppen sein Studium bei ihr mit einer Arbeit über „Die Sinfonien Ludwig van Beethovens“ ab. Seine folgende Aufnahme in die Hochbegabtenförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte es ihm 1955 nach Wien zu gehen – und zwar in die Meisterklasse des legendären Bruno Seidlhofer. Immer wieder gibt es in der Geschichte der Hochschulen Konstellationen, in denen sich in einem engen Zeitfenster die Elite einer ganzen Generation an ein und demselben Ort begegnet, zusammen in einer Klasse studiert, dem Beispiel eines verehrten Lehrers folgt und sich gegenseitig zu Höchstleistungen inspiriert. Dies war in Moskau in der Klasse von Heinrich Neuhaus der Fall, in der sich unter anderem Svjatoslav Richter und Emil Gilels begegneten. Und dies gilt auch für die Klasse von Bruno Seidlhofer an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, in der sich in den 50er- und 60er-Jahren Pianisten wie Friedrich Gulda, Martha Argerich, Nelson Freire und Rudolf Buchbinder gegenseitig im Unterricht zuhörten. In dieser Klasse lernte Jürgen von Oppen auch 1957 seine spätere Ehefrau kennen, Ingeborg von Oppen, die als junge Pianistin von Maria Landes-Hindemith aus München nach Wien zu Seidlhofer gekommen war. 1958 legte er in Wien seine Konzertreifeprüfung mit Auszeichnung ab, sein Abschlusskonzert spielte er mit dem Orchester der Wiener Hochschule für Musik und Theater unter der Leitung von Claudio Abbado – der damals selbst noch Student in Wien war. Es folgte die Teilnahme an zahlreichen internationalen Wettbewerben, unter anderem dem Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau im Jahre 1960. Obwohl erfolgreich, bedeuteten ihm Wettbewerbe als eine Form äußeren Erfolgs nicht wirklich etwas, man fühlt sich ein wenig erinnert an Beethovens Äußerung gegenüber Gering: „Ich habe niemals daran gedacht, für den Ruf und die Ehre zu schreiben: Was ich auf dem Herzen habe, muß heraus und darum schreibe ich.“

Zeitlebens rang Jürgen von Oppen um den inneren Gehalt der Werke. Dieser war ihm weit wichtiger als die Technik, die für ihn bloß eine unabdingbare Voraussetzung für musikalischen Ausdruck für ihn darstellte. Oft sprach Jürgen von Oppen über die Werke, bevor er sie spielte, und nahm somit die moderne Form des Gesprächskonzertes vorweg, um seinen Zuhörern noch mehr vom musikalischen Inhalt und den Geheimnissen künstlerischen Schaffens nahe zu bringen.

Heilende Musik

„Musik als etwas Heilendes, das den Menschen gründlich läutern und erheben sollte und letztlich als Vorbereitung auf den Tod, das war sein Anliegen und das gab er mir mit. Aus dieser Geisteshaltung heraus spielte er auch seine Konzerte. Ich habe ihn mit großartigen Beethoven-Abenden erlebt. Mit dessen Musik, Biographie und Gedankenwelt war er auf das Innigste verbunden.“ Mit diesen Worten erinnert sich Angela-Charlott Bieber an ihren einstigen Lehrer.

Jürgen von Oppen machte sich insbesondere um das Spätwerk Beethovens, etwa die Sonate op. 90, die „Große Sonate für das Hammerklavier“ op. 106 und die Sonate op. 111 verdient, die zu seinem künstlerischen Kernrepertoire gehörten. Aber auch der unbekanntere Beethoven interessierte ihn: der Humor Beethovens, seine Ironie, seine Spielfreude. So hielt Jürgen von Oppen 1970 auf dem großen internationalen musikwissenschaftlichen Kongress anlässlich des 200. Geburtstages von Beethoven in Bonn einen Vortrag über ein Werk
Beethovens, das bis heute eher selten zu hören ist: die Klavierfantasie op. 77. In einer brillanten Analyse zeigte Jürgen von Oppen die Bezüge zum im gleichen Jahr entstanden 5. Klavierkonzert von Beethoven auf und schaute dem Improvisator Beethoven und seiner musikalischen Ironie mit einem Lächeln über die Schulter.

Im Jahre 1962 wurde Jürgen von Oppen Lehrer am Richard-Strauss-Konservatorium in München. Er blieb es bis zum Jahre 1991. Dessen heutiger Direktor und Präsident des deutschen Musikrates Martin Maria Krüger spricht in Erinnerung an Jürgen von Oppen von der außergewöhnlichen „Noblesse seines Charakters“, seine Schüler erinnern sich an ihn als einen „bescheidenen und vollkommen der Sache dienenden Menschen und Musiker“.

Am Unterrichten lag ihm viel, er wollte seinen Studenten Bedeutendes mitgeben. Musik betrachtete er als etwas, das den ganzen Menschen angeht, und dies vermittelte er in seinem Unterricht.

Schon in der ersten Unterrichtsstunde, so erzählt Eva Schieferstein, ehemalige Schülerin und jetziges Mitglied des Münchener Flötentrios, habe ihr Jürgen von Oppen dringend die Lektüre von Eugen Herrigels Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ ans Herz gelegt. Es ging ihm um die Vertiefung der Konzentration, das Loslassen von einer Ichbezogenheit, die das Interpretentum auch oft mit sich bringt. „Es muss heißen ‚es spielt‘, nicht ‚ich spiele‘“, sagte Jürgen von Oppen immer wieder. Den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Werke zu kennen hielt er für unabdingbar. Seine Schüler forderte er auf, sich mit Shakespeares „The Tempest“ auseinanderzusetzen, wenn sie Beethovens sogenannter Sturm-Sonate einstudierten, die Biographien der Komponisten zu kennen, ihre Briefe zu lesen. An eine Atmosphäre menschlicher Geborgenheit erinnern sich die Schüler, wenn sie an die Konzerte im Hause Ingeborg und Jürgen von Oppen zurückdenken. Konkurrenzdenken spielte keine Rolle, es ging um die gemeinsame Begeisterung für die Musik. Aus diesem Grunde lag Jürgen von Oppen auch viel daran, dass seine Schüler viel Kammermusik machten. Eine schwere und jahrzehntelange Krankheit machte ihm nach dem Konzertieren aber schließlich auch das Unterrichten unmöglich. Schon in den 1960er-Jahren traten erste Lähmungen auf. Lange hoffte man, dass nicht wahr sei, was sich dann doch als wahr herausstellte: Es handelte sich um Multiple Sklerose. Lange arbeitete Jürgen von Oppen noch als Pianist und Hochschullehrer, aber schließlich ging es nicht mehr. In den letzten Jahren, in denen er nicht mehr das Haus verlassen konnte, wurde es still um ihn. Kraft dieses Leiden zu erdulden schöpfte Jürgen von Oppen aus der Hingabe seiner Frau, die ihn bis zuletzt pflegte und die ihm die gemeinsame Liebe zur Musik tagtäglich zum Geschenk machte durch gemeinsames Musikhören und Gespräche über die Musik.

„Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie … Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die andern schleppen“ hat Beethoven geschrieben. Diese Freiheit hat Jürgen von Oppen für sich, seine Schüler und seine Zuhörer errungen.

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