Musikkritik heute! – Nein, das ist auch nicht mehr das, was es einmal war; möchte man meinen, zumal sie in ihrer Sachbezogenheit kaum auf eine Leser- beziehungsweise Hörerschaft trifft, die nicht ebenso wie jene, die sich professionell kritisch zu Werken, zu Interpretationen, zu Neuem und Neuartigem, zu Fragen des Musiklebens und Problemen unserer musikalischen Institutionen in öffentlichen Medien äußern, sehr unterschiedliche Positionen und Interessen vertreten und verfolgen.
Musikkritik heute! – Nein, das ist auch nicht mehr das, was es einmal war; möchte man meinen, zumal sie in ihrer Sachbezogenheit kaum auf eine Leser- beziehungsweise Hörerschaft trifft, die nicht ebenso wie jene, die sich professionell kritisch zu Werken, zu Interpretationen, zu Neuem und Neuartigem, zu Fragen des Musiklebens und Problemen unserer musikalischen Institutionen in öffentlichen Medien äußern, sehr unterschiedliche Positionen und Interessen vertreten und verfolgen.Ein diffuses Bild und als solches durchaus Abklatsch einer kulturellen, gesellschaftlichen Situation, bei der man inzwischen nicht mehr weiß, ob es überhaupt noch eine Verbindlichkeit des öffentlichen Consensus darüber gibt, was uns kulturelle Traditionen, ihre Statthalter, die Institutionen, was uns endlich die Kunst und die Künstler noch wert sind. Das muss automatisch die Frage nach sich ziehen, welcher Wert dann wohl heute musikkritischer Arbeit zukomme und vor welchem Bedeutungshorizont wohl das Geschäft, die Leistung und die Existenz des Musikkritikers verstanden werden dürften.Es war einmal, da Musikkritik im Sinne von Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ von 1788 sich als eine Instanz verstand, welche die abstrakte Welt der Ideen und deren Emanationen und Manifestationen in den Kunstwerken begreifbar für eine „Allgemeinheit“ zu machen suchte und zugleich die Eigengesetzlichkeit, die Subjektivität und Egozentrik der künstlerischen Arbeit und des künstlerischen Selbstverständnisses aus dem Anspruch auf eine intersubjektive Struktur der gesellschaftlichen Kommunität zu verstehen und zu werten suchte. Das funktionierte gewiss nicht so ohne weiteres nach idealtypischem Muster. Nicht zufällig spielte für viele Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts, zumal für solche, die sich mit ihrem künstlerischen Schaffen dem „Fortschritt“ verbunden wussten, die schriftstellerische Arbeit, das Feuilletonistische und die kritische Stellungnahme zu Phänome- nen der Musik und des Musiklebens eine wichtige Rolle. Der Künstler selbst als Anwalt eigengesetzlicher Subjektivität; im Dienste von Musik, deren gesellschaftliche Legitimität „durchzusetzen“ war! Gerade hieraus lässt sich feststellen, welche Bedeutung dem Schreiben über Musik zukam, indem es darauf ankam, nicht nur eine öffentliche Diskussion über künstlerische Erscheinungen und kulturelle Ereignisse zu führen und somit die Geschehnisse als öffentliche zu definieren, sondern insbesondere auch gegenüber der Öffentlichkeit ein Kunst-Urteil zu begründen und darzulegen, dessen begrifflicher Erkenntniswert gegenüber der sinnlich erfahrenen ästhetischen Realität eine öffentliche „Verbindlichkeit“ erhalten sollte.
Ich bin überzeugt, in vielen Musikkritikern und Musikschriftstellern von heute lebt ein ähnlicher Anspruch und Wunsch – wahrscheinlich aufgrund sehr elementarer Erlebnisse aus der Jugendzeit, da man einen Sinn für die eigene Existenz und für die eigene Lebensperspektive aus der Berührung und der Getroffenheit durch die Begegnung mit Kunstwerken und ihren Schöpfern erfuhr. In vielen Beiträgen professionell-kritischer Zeitgenossen wird denn auch durch die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung spürbar, dass man weiß um die große Rolle der Vermittlung und Kommunikation, nämlich Licht zu werfen auf die Kunstwerke selbst, auf die ästhetischen Wirklichkeiten und deren Hintergründe und Bedingungen. Aber nicht zum Zwecke ihrer Verklärung in einem Abgehobensein und in Selbstgenügsamkeit; vielmehr mit dem Ziel, bewusst zu machen, dass letztlich und immer wieder die Kunst selbst in ihren konkreten Erscheinungsformen mit ihren Folgen der öffentlichen Anerkennung und Ablehnung es ist, welche die Substanz unserer Kultur und damit auch ihrer Zukünftigkeit bildet.
Nun wissen wir seit langem, dass allerdings die Bedingungen und Strukturen, in denen sich die Musikkritiker von heute bewegen, sich erheblich verändert haben und eine Schnelllebigkeit insgesamt um sich gegriffen hat, welche die „große“ Aufgabe zur flüchtigen Angelegenheit verkümmern lässt beziehungsweise in Medienbereiche und -winkel verbannt, wo von Öffentlichkeit nicht mehr die Rede sein kann. Insgesamt aber leidet das Thema „Kultur“ in den Medien daran, dass es zu einer Nebensache geworden ist, was genau dem entspricht, dass die Dimensionen des Kulturellen im öffentlichen Leben und Bewusstsein sowie im Kontext des politischen Handelns von ausgesprochener Nachrangigkeit sind, zusammen mit dem Thema „Bildung“. Man gewinnt heute immer wieder den Eindruck, dass letztlich doch alles, worüber da von künstlerischen Ereignissen, von Neuheiten, von Neuauslegungen und so weiter gesprochen, berichtet, geschrieben wird, belanglos bleiben wird, auch oder gerade wenn dabei in der Emphase der Kritik erkennbar wird, hier gelten die Worte einer Entdeckung, einem Phänomen von kulturhistorischem Rang, dem sich die öffentliche Aufmerksamkeit nicht verweigern darf. Apropos Aufmerksamkeit! Ja diese benötigt der Kritiker in dem wüsten Gewirr des kritischen Geschäfts allemal, und er unterliegt nicht selten jener Sucht nach Profil, die heute generell so verbreitet ist und als Markttendenz kritisch zu sehen wäre. Problematisch wird es hierbei, wenn völlige Unangemessenheit in Darstellung und Wertung insbesondere bei jungen Künstlern oder auch gegenüber „Unvertrautem“ (z. B. Neue Musik aus Island, Aserbaidschan u. a.) herrscht und der Kritiker seine Rolle verkennt, wenn er sich zum Maßstab aller Dinge macht. Der kritische Umgang mit jungen Künstlern, mit Neuem und Anderem verlangt Erfahrung und Vor-Sicht. Das kann nicht austauschbar einem jeden abverlangt werden. Auch nicht, wenn es um kulturpolitische Themen geht, die heute interessanterweise die Themen der Kunst und ihrer Entwicklung verdrängt zu haben scheinen. Hier ist Kompetenz und anerkannte sachbe- zogene Autorität des Kritikers von höchster Bedeutung. Denn hier ist eine Verantwortung gefordert, an deren Einlösung die auch heute noch wichtige Funktion der kritischen Stellungnahme schlagend deutlich wird. Wenn Orchester und Theaterbetriebe verkleinert, fusioniert oder gar „abgewickelt“ werden sollen, dann hat das Ursachen und Gründe. Aber das hat auch Folgen, und dies nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern für die Gesamtheit einer kommunalen Lebensstruktur; und selbst dabei bleiben die Folgen nicht stehen. Sie werden weiter greifen. Wenn nicht alles täuscht, vollziehen sich zur Zeit Veränderungen und Wandlungen in unserem Musikleben und dessen Strukturen, die einerseits Folgen sind eines bereits seit längerem sich vollziehenden Wandels im kulturellen Bewusstsein unserer Gesellschaft, deren erhebliche Veränderungen seit drei Jahrzehnten die Bedingung dazu bilden; andererseits entwickeln sich mit diesen Veränderungen im Bereich der Institutionen neue Strukturen und Wertevorstellungen, deren Tragweiten wir noch gar nicht ermessen können, allenfalls da- ran erspüren, dass der gesamte Musikbetrieb inklusive seiner scheinbar dagegen stehenden Spezifika mehr und mehr zu einem Servicebetrieb tendiert – mit allen Erscheinungen, die der „Markt“ in seiner Abhängigkeit vom Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage fordert. Solche Erscheinungen reichen vom Starkult bis zum kultisch-religiösen Grundbedürfnis des spätmodernen Bürgers, von Purismus bis zum interessebestimmten Wohlgefallen an einer Musik, die sich wunderbar einpasst ins Gefüge bestimmter genormter Lebensansprüche; und so fort.
Vor diesem Hintergrund und Zukunftsbild, das allzu gerne in katastrophischen Farben gesehen wird, fällt dem kritischen Begleiter der Entwicklungen eine hohe und schwere Verantwortung zu, insofern als seine Überlegungen, Analysen und Einschätzungen durch das Gewicht des Öffentlichen, das ihnen zukommt, auch eine besondere Wertigkeit zukommt. Die kann durch persönliche Authentizität getragen, aber auch durch die dahinter stehende Medieninstitution bedingt sein. So ruft unter Umständen eine kurze Meldung in „BILD“ mehr Echo und Wirbel hervor als ein sorgfältig recherchierter und reflexiv gehaltener Bericht in einer seriösen Tages- oder Wochenzeitung.
Man möchte angesichts dieser Situation oftmals verzweifeln und die Lust, sowie jeden Mut zur Initiative verlieren. Denn was dann geschieht und man geschehen lassen muss, trägt oftmals Züge des Paradoxen und Absurden. Aber auch darin gleicht diese Musikszene offensichtlich der Welt, ihrem Getriebe und der Geschichte, deren vermeintlich logische und vernünftige Strukturen immer wieder die Fratze des Absurden und Irrationalen hervorkehren. Was aber bleibt dann bei diesem Sisyphos-Geschäft? Vielleicht doch ein zähes Festhalten am bestmöglichen kritischen Diskurs, der Glaube an die existenzielle Notwendigkeit von Kunst für den Menschen und an die Chance, in der Begegnung mit musikalischer Produktion und schöpferischer Kraft einen Weg des Selbsterkennens zu finden. Dies zu vermitteln, ob wenigen oder vielen, bleibt immer lohnend, auch als sich stets wiederholender Versuch.