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Die Entwicklung der Informationsgesellschaft

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...ist hauptsächlich eine kulturelle Frage
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Die einschneidende Entwicklung von der Industrie- zur Informationsgesellschaft wird von manchen mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft verglichen. Ebenso wie im 19. Jahrhundert im Zuge der Entwicklung von der Agrar- zur Industriegesellschaft die Veränderung der Produktionsweisen und der Produktionsschwerpunkte in alle gesellschaftliche Bereiche wirkt, wird heute das Zusammenleben, das Arbeiten und das Wirtschaften durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien fundamental verändert. Durchaus vergleichbar geht die Veränderung heute wie damals mit – nur zu gut begründeten – Ängsten, aber auch mit Euphorie einher. Ebenfalls radikal setzt der Wandel eine wirtschaftliche Expansion, ein verändertes Verständnis von Staat, Verwaltung und Bürger in den Gang. Und noch eine Parallele: es handelt sich heute wie vor mehr als 150 Jahren um einen über mehrere Jahrzehnte andauernden Prozeß. Kunst und Kultur haben heute bei der Entwicklung der Informationsgesellschaft wie in allen Epochen zuvor entscheidenden Anteil an der Veränderung der Gesellschaft. Die Entwicklung von Kunst und Kultur steht immer schon in enger Wechselwirkung mit den technologischen Möglichkeiten und Verbreitungsformen. Kunst und Kultur finden nicht abgehoben von gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen statt, sondern sind Teil davon. Das heißt, sie wirken zum einen auf die Veränderungsprozesse zurück, werden aber auch wiederum davon beeinflußt. Kunst und Kultur sind Teil des Wandels von der Industrie- über die Dienstleistungs- zur Wissensgesellschaft und sie gestalten als „Inhaltslieferanten" die Informationsgesellschaft in großem Umfang. Dabei haben wie immer die alten Medien und Vermittlungsformen nicht ausgedient, sie werden durch neue lediglich ergänzt. Das Augenmerk muß darum auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen gerichtet werden, um die wirtschaftliche und soziale Existenz von Kunstproduzenten, -verwertern und -vermittlern zu sichern. Nur wenn ausreichend interessante Inhalte angeboten werden, werden die neuen Informationstechnologien genutzt. Kulturproduzenten, also die bildenden Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker, Schauspielerinnen und Schauspieler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind gefragter denn je, denn: Nur sie können die entsprechenden Inhalte für die weltweiten Medienangebote liefern. Nur ihre Forschungen entwickeln die Ästhetik auch der neuen Medien weiter. Nur durch ihre Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Technikern entstehen neue Produkte. Aber auch den Kunstverwertern und Kunstvermittlern eröffnen sich neue Chancen, zum einen durch den Einsatz der neuen Technologien, zum anderen in Hinblick auf den Bedeutungsgewinn, den Kunst und Kultur in der Gesellschaft erfährt. Die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen schreibt hierzu: „Für den Übergang zur unternehmerischen Wissensgesellschaft ist schließlich die Pflege von Kunst und Kultur von herausragender Bedeutung. Kunst und Kultur erschließen Kreativität in einer Bevölkerung. Sie sind keineswegs nur dekorative Elemente. Daher sind Aufwendungen für sie auch kein bloßer Konsum, sondern unverzichtbare Investitionen in die Entwicklung einer Gesellschaft" (Kommission für Zukunftsfragen 1998, 120f.). Wege zur Kulturgesellschaft Unter dem Titel „Von der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?" haben Karla Fohrbeck und Andreas Joh. Wiesand im Jahr 1989 eine Bestandsaufnahme zum Bedeutungsgewinn von Kultur und Kulturpolitik vorgelegt. Sie stellten fest, daß seit Mitte der 80er Jahre Kultur und Kulturpolitik an Bedeutung gewonnen haben. Sowohl in den Parteien als auch im Deutschen Bundestag wurde im Vergleich zu früheren Jahren mehr über Kultur und die Gestaltung der Rahmenbedingungen zur Entwicklung von Kunst und Kultur debattiert. Fohrbeck und Wiesand prognostizierten, daß in den 90er Jahren mit der Entwicklung der Informationstechnologien Kultur weiter an Stellenwert gewinnen wird. Aus ihrer Sicht sind zwei Aspekte in Hinblick auf den Bedeutungsgewinn von Kultur in der Gesellschaft zentral: die fortschreitende Säkularisierung. Kultur bekommt in der säkularen Welt einen quasi-religiösen Charakter, Kunst und Kultur können einen Kanon allgemeinverbindlicher Werte vermitteln und bilden damit eine Basis für den gemeinschaftlichen Diskurs, eine Entwicklung, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hat; die Veränderung der Arbeitsgesellschaft, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll. Die Veränderung der Arbeitsgesellschaft ist neben der Entwicklung der Informationsgesellschaft eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen. Beide Themen sind eng miteinander verknüpft und können nicht losgelöst voneinander diskutiert werden. Bereits seit dem Ende der 70er Jahre sind alle frühindustrialisierten Länder von wachsender Erwerbslosigkeit betroffen. Obwohl zahlreiche nationale arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergriffen wurden, sind die Erwerbslosenquoten, insbesondere in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, nach wie vor auf einem hohen Niveau. Von verschiedenen Autoren und Autorinnen, so der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, dem Club of Rome und anderen wird die Auffassung vertreten, daß ein Abbau dieser Arbeitslosigkeit nur mit einer radikalen Veränderung der Arbeitsgesellschaft möglich sein wird. Als Gründe für die hohe Erwerbslosigkeit werden angeführt: * das Ansteigen der Erwerbsbeteiligung, * eine höhere Produktivität, * das Zusammenwachsen der Märkte, * die Veränderung der Erwerbsbiografien, * der Anstieg der Erwerbsbeteiligung. Obwohl in den letzten Jahren immer mehr die Rede davon ist, daß die Zeit der aktiven Berufstätigkeit zurückgeht, da die Ausbildungszeiten ansteigen und das Ausscheiden aus dem Berufsleben in die Rente früher erfolgt, ist diese Entwicklung nicht mit einer abnehmenden Erwerbsneigung der Bevölkerung zu verwechseln. Im Gegenteil, die Erwerbsneigung steigt seit Jahren kontinuierlich an. Betrachtet man die steigende Erwerbsneigung, so ist hier als Grund in erster Linie die angewachsene Erwerbsneigung von Frauen zu nennen. Im Zuge der Bildungsreformen haben sich gerade auch die Bildungschancen von Frauen erweitert. Frauen sind heute qualifizierter als beispielsweise noch in den 60er Jahren, sehen in wachsendem Maße Berufstätigkeit als selbstverständlich an und betrachten die Familienphase als Übergangszeit. Dem wachsenden Anteil von Frauen steht keine entsprechend abnehmende Erwerbsneigung von Männern gegenüber, so daß insgesamt das Erwerbspersonenpotential wächst. Um ein sinkendes Erwerbsarbeitsvolumen treten mehr Erwerbspersonen in den Wettbewerb. Insbesondere in den neuen Bundesländern, die ohnehin vom Strukturwandel in besonderer Weise betroffen sind, besteht eine große Erwerbsbeteiligung und ein hohes Erwerbspersonenpotential. So gehören in Westdeutschland nur zwei Drittel der Erwerbsfähigen zu den Erwerbspersonen, demgegenüber sind es in Ostdeutschland drei Viertel (Kommission für Zukunftsfragen 1998, 38). Hinzu kommt, daß aufgrund sinkender Realeinkommen in Arbeitnehmerhaushalten vielfach eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit erforderlich ist, um den Lebensstandard zu sichern oder aber spezifische Bedürfnisse zum Beispiel im Freizeitsektor oder auch in Hinblick auf die Bildungschancen von Kindern zu befriedigen. Weiter wird als Grund für die steigende Erwerbsneigung der Prozeß der Individualisierung angeführt. Erwerbsarbeit als sinnstiftendes Moment hat durch Individualisierungsprozesse eine Aufwertung erfahren. Es ist insofern in den nächsten Jahren nicht davon auszugehen, daß die Erwerbsneigung in hohem Maße abnehmen wird. Ebensowenig erscheint realistisch, daß Frauen sich vom Erwerbsarbeitsmarkt zurückziehen werden. Im Gegenteil, es ist davon auszugehen, daß aufgrund der höheren Qualifikation von Frauen – im Jahr 1998 haben erstmals mehr junge Frauen als junge Männer das Abitur absolviert – die Erwerbsneigung mindestens stabil bleibt, wenn nicht sogar zunimmt. Das heißt, die ohnehin vorhandene Konkurrenz um das knappe Gut Erwerbsarbeit wird in der Zukunft nicht abnehmen, sondern sich eher verstärken. Ob dies zu einer stärkeren, geschlechtsspezifischen Segmentierung des Erwerbsarbeitsmarktes führen wird, oder ob sich mit wachsender Qualifikation von Frauen und einer größeren Selbstverständlichkeit der Berufstätigkeit von Frauen – auch von Frauen mit Kindern im betreuungsbedürftigen Alter – sowohl die Segmentierung des Erwerbsarbeitsmarktes als auch die Möglichkeiten der außerhäuslichen Betreuung von Kindern verändern werden, bleibt abzuwarten. Was den letzten Punkt anbelangt, gehört die Bundesrepublik zumindest im europäischen Vergleich zu den Schlußlichtern. Produktivitätsfortschritt Ferner ist in Hinblick auf die prekäre Situation auf dem Erwerbsarbeitsmarkt der Produktivitätsfortschritt nicht zu vernachlässigen. Immer weniger Erwerbspersonen sind zur Herstellung der Güter erforderlich. Dieser Produktivitätsfortschritt ist auch auf einen vermehrten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zurückzuführen. Daraus folgt, daß eine weitere Verlagerung der Beschäftigungsanteile vom sekundären in den tertiären Sektor erfolgt. Nach Auffassung der Enquete-Kommisson „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" wird insbesondere der Anteil der Dienstleistungen in den Bereichen Planung, Forschung, Entwicklung, Organisation, Bildung, Beratung und Information steigen. Diese Tätigkeiten verlangen wiederum hohe Qualifikationen. Es entsteht mithin eine Lücke zwischen denjenigen, die bislang einfache, repetitive Arbeiten verrichten und deren Arbeitsplätze durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien wegfallen und den Anforderungen des Erwerbsarbeitsmarktes. Der Erwerbsarbeitsmarkt für einfache Tätigkeiten wird immer knapper, expansiv – und dies auch nicht im gleichen Maße, wie der Erwerbsarbeitsmarkt für einfache Tätigkeiten schrumpft – ist nur noch der Markt der sekundären Dienstleistungen. Zusammenwachsen der Märkte Inwiefern die Globalisierung zu einer Verschärfung der Spannungen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt führt oder ob sie als ein Faktor unter vielen betrachtet werden muß, ist umstritten. Gerade in Hinblick auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft wird teilweise darauf verwiesen, daß einfache Tätigkeiten im Bereich der Datenerfassung in zunehmendem Maße in sogenannte Schwellenländer oder auch in urbane Zentren in Ländern der Dritten Welt verlagert und dann per Datenübertragung in die Industrieländer geliefert werden. Gewichtiger als diese Rationalisierungsprozesse, die im sekundären Sektor bereits seit langem vorhanden sind, erscheinen aber die wirtschaftlichen Konzentrationsprozesse. Die großen Konzerne schließen sich mit anderen weltweit agierenden Unternehmen zusammen. Das Qualitätsmerkmal „made in Germany" verliert im Zuge dieses Prozesses an Bedeutung, gewichtiger wird das Firmenzeichen als Qualitätsmerkmal wie „made by IBM". Bemerkenswert an den Konzentrationsprozessen ist, daß es sich zum einen um horizontale Konzen- tration handelt. Auf den Kulturwirtschaftssektor gewendet bedeutet das: Verlag kauft Verlag. Zum anderen ist aber auch eine vertikale Konzentration, die Ausdehnung von Unternehmensaktivitäten in fremde Segmente zu beobachten. So ist der ehemalige Stahlkonzern Mannesmann mit einem Unternehmenszweig, nämlich Mannesmann Mobilfunk, ein wichtiger An-bieter auf dem Telekommunikationsmarkt. Am Beispiel des Medienkonzerns Bertelsmann läßt sich sowohl die horizontale als auch die vertikale Konzentration sowie weltweites Handeln eines Kulturwirtschaftsunternehmens studieren. Neben den Konzentrationsprozessen auf Unternehmensseite sind natürlich auch die zusammenwachsenden regionalen Märkte zu berücksichtigen. Die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, die Einführung des Euro zum 1. Januar 1999 und der weitere europäische Einigungsprozess markieren nur wenige Schnittpunkte. In anderen Kontinenten haben ebenfalls benachbarte Staaten Wirtschaftszonen gebildet. Die Konzentrationsprozesse der Un-ternehmen und auch die Bildung von Wirtschaftszonen, die letztlich in Europa zu einem vereinigten Europa führen sollen, lassen die Spielräume der nationalen Regierungen immer enger werden. Die Unternehmen produzieren an dem Standort, an dem sie die besten Bedingungen vorfinden. Und dazu zählen neben Standortaspekten wie der Besteuerung auch die Frage nach dem vorhandenen Qualifikationsniveau des Personals sowie der vorhandenen kulturellen Infrastruktur. Ulrich Beck hat vor einigen Jahren bereits darauf hingewiesen, daß Verantwortliche in den Konzernen, die Teile ihrer Produktion in das Ausland verlegen und die darüber hinaus sehr erfolgreich in Deutschland Steuern sparen, sehr gerne öffentliche Dienstleistungen und eine gute kulturelle Infrastruktur in Anspruch nehmen und dies für sich als Standortvorteil betrachten. Nationale Regierungen stoßen aufgrund der weltweiten Verflechtungen mit ihren arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen immer mehr an Grenzen. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden darüber hinaus die abgestimmten Entscheidungen in Hinblick auf Steuerpolitik oder auch Beschäftigungspolitik immer bedeutsamer. – So ist nicht von ungefähr, daß in der letzten Zeit bei den EU-Gipfeln das Thema Beschäftigungspolitik dominierte. – Aber auch in Hinblick auf die Ausbildung und die Weiterbildung werden Abstimmungen zwischen den nationalen Regierungen gewichtiger. Veränderungen der Erwerbsbiografien Die oben ausschnitthaft aufgezeigten Veränderungen der Arbeitsgesellschaft führen unter anderem dazu, daß sich die Erwerbsbiografien in starkem Maße verändern. Das Normalarbeitsverhältnis einer Vollzeitbeschäftigung möglichst das ganze Erwerbsleben hindurch wird immer seltener. Neue Beschäftigungsformen der Teilzeitarbeit, von Werk- oder Honorarverträgen und neuen Selbständigen werden zunehmen. Der traditionelle Arbeitnehmerstatus wird in der Informationsgesellschaft immer mehr an Bedeutung verlieren. Damit stellen sich automatisch zwei Fragen. Und zwar zunächst, wie künftige soziale Sicherungssysteme aufgebaut sein müssen, damit auch diejenigen, die diskontinuierliche Erwerbsbiografien aufweisen, eine auskömmliche Rente erhalten, oder auch, wel- cher Anteil am derzeitigen Erwerbseinkommen künftig zusätzlich zur Rentenversicherung für die Altersvorsorge aufgewandt werden muß. Es muß in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Frage aufgeworfen werden, wie Selbständigkeit und wie abhängige Beschäftigung definiert werden. Die herkömmlichen Definitionen stoßen an Grenzen. Am Beispiel des am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Gesetzes gegen die Scheinselbständigkeit wird deutlich, daß Beschäftigtengruppen und Beschäftigungsverhältnisse nicht über einen Kamm geschoren werden dürfen. Was als Schutz von unfreiwillig in die Selbständigkeit gedrängten Mitarbeitern gedacht war, zum Beispiel in Speditionen, kann dazu führen, daß Künstlerinnen und Künstler als Scheinselbständige eingestuft werden. Dies bedeutet im schlimmsten Fall, daß sie nicht mehr über die Künstlersozialversicherungskasse versichert sein können und zusätzlich Aufträge verlieren, da ihre Auftraggeber aus ökonomischen Gründen keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen können. Dies trifft auf bildende Künstlerinnen und Künstler zu, die von ihrer Galerie ei- ne monatliche Abschlagszahlung auf künftige Umsätze erhalten. Außerdem stellt sich die Frage nach der Qualifizierung der Erwerbsbevölkerung. Wenn das Normalarbeitsverhältnis im Schwinden begriffen ist, folgt daraus, daß die betriebliche Weiterqualifizierung nur noch einen Teil der Erwerbspersonen erreicht und gerade jener Teil, der qualifiziert werden muß, um eine neue Beschäftigung zu erhalten, sich eigeninitiativ weiterqualifizieren muß. Nach Auffassung der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" zählt die Weiterbildungsbereitschaft zu den Grundanforderungen in der Informationsgesellschaft. Die genannte Enquete-Kommission kommt zu dem Schluß: „Die Weiterbildung muß neben Schule, Berufsschule und Hochschule zur vierten Säule unseres Bildungswesens werden" (Schlußbericht 1998, 49). Daneben gehen einige Autorinnen und Autoren, so der Club of Rome oder auch die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, davon aus, daß eine Verschränkung von Erwerbsarbeit mit der Bürgerarbeit, das heißt der nicht-erwerbsförmigen Tätigkeit in Nonprofit-Organisationen, an Bedeutung gewinnen wird. Gerade diese Tätigkeit soll anstelle der sinnstiftenden Erwerbsarbeit treten. Die bislang noch getrennt betrachteten Sektoren Markt und Nonprofitbereich werden so ineinander verschränkt. Die Autoren der Kommission für Zukunftsfragen schlagen vor, daß die „Bürgerarbeiter" zur Sicherung ihres Lebensunterhalts ein Bürgergeld erhalten und nicht als Erwerbslose betrachtet werden. Sie erhalten keine Leistungen aus der Arbeitsverwaltung. Kunst und Kultur in der künftigen Arbeitsgesellschaft Die Kommisson für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen mißt, wie das oben aufgeführte Zitat belegt, der Förderung von Kunst und Kultur für die Entwicklung der Wissensgesellschaft eine zentrale Bedeutung zu. Kunst und Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil der Informationsgesellschaft. Doch reichen Angebote an Kunst und Kultur allein nicht aus. Insbesondere der kulturellen Bildung ist große Aufmerksamkeit zu schenken. Im Schlußbericht der En-quete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" wurde mehrfach darauf verwiesen, daß kontiniuierliche Weiterbildung der Schlüssel für den erfolgreichen Wandel zur Informationsgesellschaft ist und damit das Bindeglied zur Beschäftigung. Kulturelle Bildung ist die Voraussetzung für Weiterbildungsbereitschaft überhaupt. Zur Kulturellen Bildung gehört die erforderliche Lesekompetenz ebenso wie die Medienkompetenz. Wichtig ist weiter, daß Bilder entschlüsselt werden können. In den modernen Kommunikationsmedien haben Bilder und Zeichen an Bedeutung gewonnen, diese Zeichen entschlüsseln und deuten zu können, ist Bestandteil der Medienkompetenz. Kulturelle Bildung konfrontiert mit Ungewohntem und öffnet damit den Blick, sie macht zugleich aber Spaß. Und dies ist sicherlich eine der besten Voraussetzungen für gelungene Bildungsprozesse überhaupt. Damit Kunst und Kultur den Stellenwert einnehmen können, den die Autoren der Kommission für Zukunftsfragen ihnen beimessen, ist die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen, aber auch von Künstlerinnen und Künstlern jenseits großer Ereignisse erforderlich. Und darunter sind die unterschiedlichsten Kultureinrichtungen in ihrer ganzen Bandbreite von den Musikschulen über die Bibliotheken zu Theatern und Museen zu verstehen. Zugleich ist mit Nachdruck zu betonen, daß unter Kunst und Kultur nicht nur der öffentlich geförderte Bereich zu verstehen ist. Es zählt ebenso die Kultur- und Medienwirtschaft hinzu. Zur Entfaltung dieses Wirtschaftssektors bedarf es positiver Rahmenbedingungen unter anderem im Steuerrecht oder im Urheberrecht. Kunst und Kultur ist aber nicht nur Ferment der Informationsgesellschaft. Kunst und Kultur ist ein Beschäftigungsmarkt wie viele andere und ist darum ebenso wie andere Segmente von der oben beschriebenen Veränderung der Arbeitsgesellschaft betroffen. Darüber hinausgehend wird insgesamt Kunst und Kultur eine wichtige Bedeutung bei der Bewältigung der Krise der Arbeit in der Informationsgesellschaft beigemessen. Hier muß Kunst und Kultur in der gesamten Vielschichtigkeit betrachtet werden, als Störfaktor der Gesellschaft, als Marktsegment, als Bildungsgegenstand. Und natürlich gehört auch dazu, die Veränderungen, von denen der Kultursektor selbst betroffen ist, in den Blick zu nehmen. Denn die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien verändern auch die Produktion, die Verwertung und Vermittlung von Kultur tiefgreifend. Das Arbeitsfeld Kultur ist im Umbruch. So werden Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren aufgehoben. Künstler, Wissenschaftler und Techniker arbeiten zusammen an der Entwicklung neuer technischer Formen. Die hochkomplexen Techniken verlangen die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Ausbildungen. Dies ist eine der Chancen der Informationsgesellschaft, hilft es doch, die etablierte Trennung der Disziplinen aufzubrechen. Wer zum Beispiel im letzten Jahr mit offenen Ohren und Augen über die Frankfurter Buchmesse ging, hat nicht nur das laute Flüstern von den Konzentrationsprozessen im Verlagswesen gehört. Ebenso unübersehbar waren die Rationalisierungspotentiale, die durch den Einsatz der neuen Technologien im Druckbereich entstehen. Die elektronischen Medien haben den Buchdruck nicht verdrängt. Sie verändern ihn aber radikal. Die von IBM bei der Buchmesse vorgestellte Buchproduktionsstraße zeigt eindrücklich, wie künftig die Produktion kleinerer Auflagen aussehen könnte. Dabei kann von der Bestellung über das Abrufen des Textes aus einer digitalen Bibliothek, den Druck, die Bindung und schließlich die Auslieferung an den Kunden alles elektronisch gesteuert ablaufen. Menschen, wenige Menschen, werden nur noch zur Überwachung der Produktionsvorgänge benötigt. Auch die neuen elektronischen Bücher wie zum Beispiel das „Softbook" sind handlicher geworden als all ihre Vorgänger. Sie zeigen aber auch deutlich, daß die Entwickler und Anbieter elektronischer Medien begriffen haben, daß sie ohne Inhalte nichts zu verkaufen haben. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob „Softbooks" ein Modeartikel sind oder ob sie sich auf dem umkämpften Buchmarkt durchsetzen können. Es wird sich ebenso erweisen, welche Folgen diese Technologie für den Buchdruckbereich und den Buchhandel haben wird. Es zeichnet sich heute ab, daß die Arbeitsmarktgewinne, die mit der Nachfrage nach Inhalten entstehen, die gleichzeitig entstehenden Verluste von Arbeitsplätzen in der Produktion nicht kompensieren können. Dies gilt auch für die eher schon traditionellen Medien Hörfunk und Fernsehen. Hier sind durch die Expansion dieses Marktes natürlich auch Arbeitsplatzgewinne zu verzeichnen. Sie zeichnen sich aber zum einen durch diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse aus; zum anderen durch den Einsatz der digitalen Technik, der auch Arbeitsplatzverluste bedeutet. Als Stichworte können die Selbstfahrerstudios oder die digitale Schnittechnik genannt werden. Dies sind nur wenige Beispiele der veränderten Arbeitswelt im Kultur- und Medienbereich. Alle Sparten sind mehr oder weniger direkt, mehr oder weniger intensiv von diesen Veränderungen betroffen. Modellfall Kultur und Medien Der Kultur- und Medienbereich ist dennoch für die Diskussion der Veränderungen der Arbeitsgesellschaft geradezu prädestiniert. Er zeichnet sich von seinem Selbstverständnis und seiner Tradition durch offene Zugänge aus. In den meisten Bereichen gibt es keine Ausschlußmechanismen über eine erforderliche geregelte Berufsausbildung. Vielmehr herrscht der offene Zugang vor. Dies stellt generell die Frage, wodurch sich Professionalität in einem Sektor auszeichnet, und wie die Gewähr für professionelles Handeln gegeben werden kann. Sicher eine Frage, die in Zukunft auch in anderen Sektoren an Bedeutung gewinnen wird. Allein der europäische Einigungsprozeß verlangt eine Verständigung mit Ländern mit vollständig anderen Berufszugängen. Weiter sind im Kultur- und Medienbereich freie, diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse traditionell verbreiteter als in anderen Branchen. Der Kultur- und Medienbereich ist also vorbereiteter als andere Branchen für den Wandel der Arbeitsgesellschaft. Dies bedeutet aber nicht, daß die rechtlichen Rahmenbedingungen bereits zufriedenstellend geregelt sind. Und dies gilt auch für die Frage der Weiterbildung im Kulturbereich. Alle im Kulturbereich Beschäftigten – unabhängig von ihrem Status als Selbständige, Angestellte oder Freiberufler – müssen sich fortlaufend weiterqualifizieren, um den Anforderungen durch den Einsatz der neuen Informationstechnologien gerecht zu werden. Im Kultur- und Medienbereich sind die Berufe und Tätigkeitsfelder wissensintensiv. Es handelt sich also teilweise um Zukunftsberufe. Diese Zukunftsberufe passen aber bereits heute nicht mehr in das in Deutschland vorherrschende Schema der Ausbildung, dem anschließenden Übergang in den angestrebten Beruf und schließlich – soweit erforderlich – der berufsbegleitenden Fortbildung oder gegebenenfalls der Umschulung. Bei vielen Tätigkeitsfeldern handelt es sich um keine Berufe im klassischen Sinne. Hier wurden vielmehr in Volontariaten, in Praktika oder durch learning-by-doing die erforderlichen Qualifikationen erworben. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Teilnahme an von der Arbeitsverwaltung geförderten Qualifizierungsmaßnahmen schließen aber diese Berufsgruppen vielfach aus. Aber auch prinzipiell wird von verschiedenen Seiten die Frage gestellt, ob das in der Bundesrepublik bestehende Berufsbildungssystem noch zeitgemäß ist. So wird zwar einerseits die Güte und Tiefe der Ausbildung herausgestellt, andererseits aber auch angemahnt, daß gerade die Etablierung von Berufsbildern zu lange dauert, um den sich verändernden Anforderungen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt gerecht zu werden. Dies gilt in besonderen Maße für Berufe, deren Inhalte und Produktionsprozesse durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt werden. Weiter muß vor dem Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses gefragt werden, ob das deutsche Berufsausbildungssystem noch zeitgemäß ist oder ob im Hinblick auf den europäischen Wettbewerb Veränderungen erforderlich sind. Im Hochschulbereich werden mit der Einführung von neuen Abschlüssen mit verkürzten Studienzeiten erste Ansätze gemacht. In Hinblick auf die Kulturberufe ist darüber hinaus auch über eine Verschränkung von theoretischer und praktischer Ausbildung nachzudenken. Im Rahmen des vom Deutschen Kulturrat in den Jahren 1995 bis 1998 bearbeiteten Projektes „Weiterbildung in künstlerischen und kulturellen Berufen" (Deutscher Kulturrat 1999) wurde im November 1998 ein Fachgespräch mit Expertinnen und Experten aus Kultureinrichtungen, der Kulturverwaltung, Kulturverbänden und der Arbeitsverwaltung geführt. Die zentrale Aussage dieses Fachgespräches war die Forderung nach einer stärker praxisorientierten Ausbildung und einem höheren Praxisanteil in der Weiterbildung. Es wurde bemängelt, daß ein großer Teil an Hochschulabsolventen, aber auch von Absolventen von Weiterbildungsmaßnahmen in der Praxis nicht eingesetzt werden könne, da ihnen praxisnahe Grundqualifikationen fehlten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Fachgespräch forderten ein, daß die praktische und die theoretische Ausbildung und auch Weiterbildung intensiver miteinander verschränkt werden müßten, damit die benötigten Qualifikationen vermittelt werden. Weiter ist eine stärkere Anerkennung von in ehrenamtlicher Tätigkeit erworbenen Qualifikationen erforderlich. Im Rahmen der Diskussion um die Zukunft des ehrenamtlichen Engagements, die im Nachgang zur Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der 13. Legislaturperiode stattfand, wurde von verschiedenen Seiten angemahnt, die in ehrenamtlicher Tätigkeit erworbenen Qualifikation und Fähigkeiten auch im Erwerbsleben vermehrt anzuerkennen. Diese Debatte muß ebenso wie die angesprochene Frage nach der zukünftigen Gestaltung der Erstausbildung im Kontext der veränderten Arbeitsgesellschaft gesehen werden. Einige Diskutanten vertraten in diesem Zusammenhang die Auffassung, daß das Ehrenamt als Teil der Arbeitsgesellschaft betrachtet werden muß und das unweigerlich in Zukunft ehrenamtliche Arbeit – auch Bürgerarbeit genannt – als eine Möglichkeit der sinnstiftenden Tätigkeit zwischen Erwerbsarbeitsmarkt und privaten Haushalten gesehen werden muß. Wobei hier generell von einer grundsätzlichen Veränderung des Erwerbsarbeitsmarktes hin zu diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen ausgegangen wird. Im Kulturbereich bestehen bereits heute teilweise fließende Übergänge von semiprofessioneller zu professioneller Arbeit, so daß sicherlich auch in dieser Beziehung der Kultursektor Modellcharakter haben kann. Weitergehende Diskussionen sind erforderlich In der letzten kulturpolitischen Debatte im 13. Deutschen Bundestag am 12. Februar 1998 haben Abgeordnete der unterschiedlichen Parteien sich dafür ausgesprochen, einen Kulturausschuß im nächsten Bundestag einzurichten. Auch wurden Stimmen laut, die vorhandenen kulturpolitischen Kompetenzen des Bundes in einem Haus zu bündeln. Der Deutsche Kulturrat und viele seiner Mitgliedsverbände haben sich ebenfalls in verschiedenen Resolutionen und bei Veranstaltungen für eine Bündelung der kulturpolitischen Kompetenz und die Einsetzung eines Kulturausschusses eingesetzt. Beides ist nun erfolgt. Nach der Konstituierung des 14. Deutschen Bundestags haben die Parlamentarier endlich wieder einen Kulturausschuß als ständigen Ausschuß gebildet. Mit dieser mutigen Entscheidung wurde Schluß gemacht mit der Halbherzigkeit, mit der im Deutschen Bundestag viele Legislaturperioden hindurch Kulturpolitik betrieben wurde. Vom ersten bis zum fünften Deutschen Bundestag gab es noch einen Ausschuß für Kulturpolitik, er wurde auf Druck der Länder 1969 abgeschafft. Von 1976 an gab es verschiedene Arbeitsgruppen und Unterausschüsse zu kulturpolitischen Fragen im Innenausschuß. Der letzte Unterausschuß Kultur wurde 1994, gegen bundesweite Proteste, abgeschafft. Außerdem gab es von 1976 bis 1983 einen Unterausschuß Kulturelle Außenpolitik des Auswärtigen Ausschusses und von 1993 bis zum Ende der 13. Legislaturperiode einen Unterausschuß Auswärtige Kulturpolitik des Auswärtigen Ausschusses. Auch wurden mit der Berufung von Michael Naumann als Beauftragten für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler einige der vorhandenen kulturpolitischen Kompetenzen des Bundes gebündelt. Damit ist nun im Bundeskanzleramt ein offizieller Ansprechpartner für kulturpolitische Fragen benannt. Der aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedene Abgeordnete Peter Conradi ist in der kulturpolitischen Debatte am 12. Februar 1998 im Deutschen Bundestag noch einen Schritt weitergegangen. Er hat die Frage aufgeworfen, welchen Stellenwert Kultur in der künftigen Gesellschaft haben kann. Er hat offen ausgesprochen, daß von der Vorstellung von Vollbeschäftigung für die nächste Zukunft, selbst bei der Umsetzung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, Abschied genommen werden muß. Und er hat daraus die Frage entwickelt, welchen Beitrag Kultur leisten kann, um eine Gesellschaft, in der Arbeit nicht mehr im bekannten Maße identitätsstiftend wirken kann, zusammenzuhalten. Conradi hat deutlich gemacht, daß es in Hinblick auf die Zukunft der Arbeitsgesellschaft und die künftige Rolle der Kultur in einer veränderten Arbeitsgesellschaft zur Zeit mehr Fragen als Antworten gibt. Den von Conradi ins Spiel gebrachten Ball gilt es nun aufzunehmen und nach Antworten zu suchen. Der ebenfalls aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedene Abgeordnete Freimut Duve hat die Gedanken von Conradi direkt in einer Kurzintervention in der kulturpolitischen Debatte aufgenommen. Er hat an eine kulturpolitische Debatte im Deutschen Bundestag aus dem Jahr 1984 erinnert, in der er die Frage gestellt hat: „(Die) neuen Kommunikationstechniken verändern nicht nur den Kulturbetrieb, sie verändern auch radikal unsere Arbeitskultur. [...] Wie reagiert eine Gesellschaft darauf, daß ausgerechnet die technischen Geräte, die einst den Menschen bei der Arbeit entlasten sollten, heute zu Massenentlassungen führen?" (zitiert nach Bundestagsprotokoll, 13. Wahlperiode, 219. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1998) Freimut Duve folgerte daraus, daß in der nächsten Legislaturperiode, also der jetzt laufenden 14. Wahlperiode, eine Enquete-Kommission mit dem denkbaren Titel „Unser Land auf dem Weg in eine Kulturgesellschaft" eingesetzt werden sollte. Gegenstand dieser Enquete-Kommission sollten die von Conradi aufgeworfenen Fragen sein. Das heißt, über die auf der Hand liegenden gesetzgeberischen Maßnahmen in Hinblick auf ein kulturfreundliches Steuerrecht und ein den An- forderungen der Informationsgesellschaft gerecht werdendes Urheberrecht hinaus muß über die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für den Kulturbereich ebenso nachgedacht werden, wie über den Stellenwert der Kultur und der Medien in der Gesellschaft. Es müssen Antworten auf die drängende Frage der sozialen Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern, aber auch von Inhabern kleinerer kulturwirtschaftlicher Unternehmen gefunden werden. Der europäische Integrationsprozeß muß auch auf seine kulturelle Dimension hin diskutiert werden. Neue Modelle künftiger Kulturfinanzierung, die die Öffentliche Hand nicht aus ihrer kulturellen Verantwortung entlassen und trotzdem der Realität der leeren öffentlichen Kassen Rechnung tragen, müssen gefunden werden. Die Antworten auf diese als Beispiele genannten Fragen können weder vom Kulturausschuß noch vom Beauftragten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler aus dem Ärmel geschüttelt werden. Diese Fragen müssen ausführlich von Abgeordneten des Deutschen Bundestages unter Beteiligung der Betroffenen, den Künstlerinnen und Künstlern, den Unternehmen der Kulturwirtschaft und besonders den Interessenverbänden des Kulturbereiches, diskutiert werden. Eine Kulturenquete mit der Aufgabe, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzuzeigen, wäre hierfür das geeignete Instrument. Eine Kulturenquete wäre die logische Konsequenz aus der selbstbewußten Wahrnehmung der kulturpolitischen Verantwortung des Bundes. Eine Kulturenquete im Deutschen Bundestag kann die geeignete Plattform für fundierte Diskussionen bieten, die schließlich in eine kulturfreundliche Gesetzgebung münden. In einer Kulturenquete sollten zwei Fragestränge untersucht werden, die allerdings in vielfältigen Wechselbeziehungen stehen. Es ist die Entwicklung der kulturellen Identität in der Gesellschaft von der Entwicklung des Kultursektors als solchem zu unterscheiden. Entwicklung der kulturellen Identität in der Gesellschaft Bei der Befassung mit der Frage der Entwicklung der kulturellen Identität erscheint die Frage nach der kulturellen Identität in Europa, in Deutschland, in der Region als vordringlich. Eng damit verknüpft ist die Aufgabe der kulturellen Bildung. Der europäische Einigungsprozeß ist eine Herausforderung an alle Bürgerinnen und Bürger. Trotz des erfolgreichen Starts des Euros erscheint Europa den meisten fern, und ist die Entwicklung einer europäischen Identität eine Herausforderung. Es stellen sich die Fragen: * nach dem Begriff der kulturellen Identität, * nach einer gemeinsamen europäischen Identität, * nach der Bedeutung der nationalen Identität, hier besonders nach der Rolle der Sprache für die Ausbildung von kultureller Identität, * nach der regionalen Identität, * nach der Zukunft des Föderalismus im zusammenwachsenden Europa, * nach der Definition von Subsidiarität. Der kulturellen Bildung werden vielfältige Aufgaben im europäischen Einigungsprozeß, aber auch in Hinblick auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft zugewiesen. Folgende Fragen erscheinen von Bedeutung: nach dem Stellenwert der kulturellen Bildung im Bildungskanon, und zwar sowohl in der schulischen als auch in der außerschulischen Bildung und nach dem Beitrag der Kulturellen Bildung zur Ausbildung der europäischen, der nationalen, der regionalen Identität. Entwicklung des Kultursektors In Hinblick auf die Entwicklung des Kultursektors stellt sich als erstes die Frage nach der Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und zwar in den Fragen, die über den aktuellen gesetzgeberischen Handlungsbedarf hinausgehen. Weiter ist die Untersuchung der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern, aber auch von Inhabern kleinerer kulturwirtschaftlicher Unternehmen dringend erforderlich. Die letzte umfassende Erhebung zur sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern erschien im Jahr 1975. Ferner ist die Umstrukturierung von Kultureinrichtungen in den Blick zu nehmen. Auch wenn dieser Prozeß vornehmlich in kommunal getragenen Einrichtungen stattfindet, ist die prinzipielle Frage nach dem Stellenwert von Kultureinrichtungen in der Gesellschaft und nach den dafür erforderlichen Ressourcen von gesamtstaatlicher Bedeutung. Es stellen sich die Fragen: * nach der Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitsrechts, gerade auch in Hinblick auf den europäischen Einigungsprozeß, * nach der Gestaltung eines Wettbewerbsrechts für eine konkurrenzfähige Kulturwirtschaft, gerade auch in Hinblick auf den europäischen Wettbewerb, aber auch die internationalen kulturwirtschaftlichen Verflechtungen, * nach der Gestaltung eines kulturfreundlichen Steuerrechts, wobei hier auch steuersystematische Fragen wie die Anforderungen an Gewinnerzielungsabsichten bei künstlerischer Tätigkeit (sogenannte Liebhaberei) thematisiert werden müssen, * nach der Anpassung des Arbeitsrechts an diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse, * nach der Weiterentwicklung des Urheberrechts in Hinblick auf die Anforderungen durch den Einsatz neuer Technologien, * nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, * nach den Rahmenbedingungen für den privaten Rundfunk, * nach der Gestaltung der individuellen Künstlerförderung, hier besonders dem Verhältnis von Spitzen- und Nachwuchsförderung und der Weiterentwicklung der bestehenden Fonds, * nach den Chancen einer Marktförderung, wie für Literaturzeitschriften oder Galerien, die sich für noch nicht durchgesetzte Kunst einsetzen, * nach der Veränderung der Künstlersozialkasse, insbesondere in Hinblick auf die Altersversorgung, * nach der Förderung von Kunst, die sich den üblichen Verwertungsmechanismen entzieht, wie die bei der Art Cologne 1998 gezeigten Arbeiten der Kunsthochschule für Medien Köln, * nach den Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung, hier insbesondere, dem künftigen Verhältnis von Aus- und Weiterbildung, * nach der Zukunft der Kulturfinanzierung, * nach den Auswirkungen der neuen Steuerungsmodelle auf Kultureinrichtungen, * nach dem Platz und Stellenwert von Kultureinrichtungen in der Informationsgesellschaft. Die Vielzahl der genannten Themen, die durch Fragen präzisiert und operationalisiert werden müssen, bedürfen einer intensiven Diskussion. Sie laufen quer zu den Ressorts und gehen damit über die Grenzen der einzelnen Ausschüsse im Deutschen Bundestag hinaus. Die Entwicklung zur Informationsgesellschaft berührt das Zusammenleben, das Wirtschaften, das Arbeiten tiefgreifend. Auf manche Fragen müssen schnelle Antworten gefunden werden. Andere, wie die oben genannten, müssen ausführlich debattiert und diskutiert werden. Die Veränderung zur Informationsgesellschaft ist keine technische Frage, sondern vielmehr eine kulturelle. Kunst und Kultur sind darum in doppelter Weise in den Prozeß involviert. Auch sie verändern sich, neue künstlerische Ausdrucksformen entstehen, neue Verwertungs- und Vermittlungsformen. Zugleich können Kunst und Kultur dazu beitragen, die Veränderungsprozesse zu gestalten und zur Kultivierung und Humanisierung beitragen. Literatur Beck, Ulrich (Hg.) (1998): Politik der Globalisierung. Frankfurt/Main. Beck, Ulrich (Hg.) (1998): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt/Main. Dettling, Warnfried (1998): Wirtschaftskummerland? – Wege aus der Globalisierungsfalle. München. Deutscher Kulturrat (Hg.) (1994): Konzeption Kulturelle Bildung – Analysen und Perspektiven. Essen. Deutscher Kulturrat (Hg.) (1996): Ehrenamt in der Kultur. Stand und Perspektiven ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich. Bonn. Deutscher Kulturrat (Hg.) (1997): Multimedia – Schöne Aussichten für Kunst und Kultur? Dokumentation des 19. Plenums des Deutschen Kulturrates am 18.09.1996. Bonn. Deutscher Kulturrat (Hg.) (1998): Kreative in der Informationsgesellschaft. Dokumentation des Symposions am 07.10.1997. Bonn. Deutscher Kulturrat (Hg.) (1999): Weiterbildung in künstlerischen und kulturellen Berufen. Bonn. Fohrbeck, Karla; Wiesand, Andreas (1989): Von der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft? München. Haaren, Kurt van; Hensche, Detlef (Hg.) (1995): Multimedia. Die schöne neue Welt auf dem Prüfstand. Hamburg. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (Hg.) (1998): Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung – Ursachen – Maßnahmen. München. Schlußbericht der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" zum Thema: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft (1998). Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/11004. Zimmermann, Olaf (1999): Die Konsequenz – Warum es im Bundestag eine Kultur-Enquete geben sollte. In: Der Tagesspiegel vom 14.1.1999.

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