Exposition. Mr. Emmet begegnen wir jeden Tag. Morgens sitzt er neben uns in der U-Bahn, den Aktenkoffer aus feinstem Vollrindleder auf den Knien, vertieft ins Studium von Dossiers, vollgeschrieben mit Zahlen und Tabellen. Sendboten des großen Geldes. Emmet kennt seinen Weg. Erst wenn die Bahn am Zielort ankommt und die Türen aufgehen, steht er auf. Nicht früher. Dann aber sehr entschieden, fast scheint er jetzt herauszustürmen. Termine! Bei nächster Gelegenheit treffen wir Mr. Emmet im Gang des Fernzugs. Er eilt in die Erste Klasse, wo er in aller Ruhe seine Lieblingszeitung und weitere Papiere ausbreiten kann. Im Vorbeigehen hinterlässt er eine Duftmarke; Kenner registrieren ein erlesenes Herrenparfum. Noch bevor er die Abteiltür öffnet, klingelt sein Handy.
Exposition. Mr. Emmet begegnen wir jeden Tag. Morgens sitzt er neben uns in der U-Bahn, den Aktenkoffer aus feinstem Vollrindleder auf den Knien, vertieft ins Studium von Dossiers, vollgeschrieben mit Zahlen und Tabellen. Sendboten des großen Geldes. Emmet kennt seinen Weg. Erst wenn die Bahn am Zielort ankommt und die Türen aufgehen, steht er auf. Nicht früher. Dann aber sehr entschieden, fast scheint er jetzt herauszustürmen. Termine! Bei nächster Gelegenheit treffen wir Mr. Emmet im Gang des Fernzugs. Er eilt in die Erste Klasse, wo er in aller Ruhe seine Lieblingszeitung und weitere Papiere ausbreiten kann. Im Vorbeigehen hinterlässt er eine Duftmarke; Kenner registrieren ein erlesenes Herrenparfum. Noch bevor er die Abteiltür öffnet, klingelt sein Handy. Szenen aus dem richtigen, nach anderer Lesart: aus dem beschädigten Leben. Mr. Emmet – das ist die seit Arthur Miller literaturfähig gewordene Figur des „salesman“, wofür das Deutsche den etwas pejorativen Ausdruck „Vertreter“ bereithält. Einer, der seinen Fuß in die Tür stellen kann, wenn’s draufankommt. Sicher, Emmet würde hier Einspruch anmelden. Vertreter? Er macht doch nicht in Staubsauger! Sein Metier ist von anderer Art: „Industrial cleaning equipment“, „industrieller Reinigungsbedarf“. Ein Business, in dem es nicht um Peanuts geht.Menschen wie Mr. Emmet gehören zu den Besserverdienenden. Sie bleiben gern unter ihresgleichen, ermessen sie doch ihre Bedeutung an der Höhe der Abschlüsse, die sie tätigen. Das trennt sie vom Rest der Welt. Wenn sie sprechen, tauschen sie Belanglosigkeiten aus, ohne darin das Abgründige zu bemerken: „Things to do: Water tomatoes. Make a will“. Mr. Emmet bespricht sein Diktafon, drückt auf Wiedergabe, um sich anzuhören, woran er sich erinnern will: „Tomaten gießen. Ein Testament machen.“ An anderer Stelle: „People I hate: Americans. Americans’ wives. The Labour Party. Skate Boarders.“
Durchführung. Unversehens sind wir in der Kunst angekommen. Wo sonst auch sollten wir etwas erfahren von einem Leben, das sich im Verkaufen verausgabt? Cicerone ist in diesem Fall das „Freie Musiktheater NRW. NL.B.“ Nach eigener Einschätzung handelt es sich dabei um eine „Plattform“ für „zeitgenössisches Musiktheater in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Belgien“. Ein grenzgängerisches Projekttheater, das im Rahmen des 3. Europäischen Festivals „6 Tage Oper“ als jüngste Produktion die deutsche Erstaufführung von Peter Maxwell Davies’ dramatischer Sonate „Mr. Emmet takes a walk“ in Szene setzte.
Nicht zum ersten Mal erklärte Regisseur Uwe Schmitz-Gielsdorf hierfür seine prinzipielle Not zur Tugend. Mangels eines eigenen Hauses sucht er für seine Stücke Schauplätze in der Alltagswelt. Buchte er für eine Händelsche „Susanna“ den Escher-weltigen Treppenaufgang eines Amtsgerichts, so entschied er sich jetzt für eine unterirdische Baustelle, einen kurz vor der Fertigstellung stehenden Düsseldorfer U-Bahnhof. Neues Musiktheater an ungewöhnlichen Orten. Was in den letzten Jahren ausgesprochen Mode geworden ist, war hier gleichermaßen sinnvoll, berührten beide Schauplätze doch die Substanz der verhandelten Gegenstände. Insbesondere hatte es seine Berechtigung, die untergründige Geschichte des Mr. Emmet auf U-Bahngleisen spielen zu lassen, wird dieser doch zum Vertragsabschluss mit dem Godot-verdächtigen Gabor schlussendlich eben dorthin bestellt: „Ebisu station, platform two“. Real existierend in Tokio. Welcher „contract“ geschlossen wird, erfahren wir nicht. Stattdessen springt Emmet auf die Gleise. Das Orchester intoniert zu Vogelgesang und Krähenkrächzen das Geräusch eines herannahenden Zuges. Ende einer Dienstfahrt.
Rekapitulation. Bleibt die Frage nach dem Motiv: Wieso endet ein Handlungsreisender als Selbstmörder? Was im Fall des armen Soldaten Wozzeck – immerhin Opfer zweier fieser Leuteschinder – in gewisser Weise einleuchtet (der Frauen- und Selbstmörder aus verletzter Ehre), entbehrt im Fall des Mr. Emmet durchaus der laienpsychologischen Feststellbarkeit. Dazu ist das jüngste und nach eigener Aussage (www.maxopus.com/works/mremmet. htm) zugleich letzte (!) Musiktheater-Werk des Peter Maxwell Davies ein zu „dunkles Gewässer“, wie sein Librettist David Poutney völlig zu Recht anmerkt. Nach keinem aus Film, Funk und Fernsehen bekannten Schlüssel lässt sich dieser Theater gewordene Tristanakkord eindeutig auflösen. Dazu ist das Werk zu bedrohlich, nicht zuletzt durch den auch in der Abwesenheit stets anwesenden Mr. Gabor, der mit dem Abschluss des Vertrags winkt und ihn zugleich hinauszögert. Die düsteren Verzweiflungsfarben Kafkas und Becketts. Doch Davies zieht noch weitaus mehr Register. Musikalisch bezieht er sich expressis verbis auf Bach, Gabrieli, Schumann und Mozart. Emmets Ende, in der Ouvertüre als Trauermarsch vorweggenommen, vollzieht sich wie im Don Giovanni als finale Sitzung zu Kerzenschein. „Gabor leans over and blows out the candles.“
Insgesamt ist hier ausreichend Stoff beieinander für weiteren inszenatorischen Feinschliff an einer funkelnden Musiktheaterperle, die bei ihrer kontinentaleuropäischen Erstaufführung von Zsolt Nagy in jedem Moment gut ausbalanciert war, wozu ihm das „Ensemble Düsseldorfer Altstadt Herbst“ engagiert zur Seite stand. „Mr. Emmet takes a walk“ verwebt Oberfläche und Rätsel. Beides teilt sich mit in jeder Geste, in jeder beiläufigen Handlung des unglücklichen Helden, der in Düsseldorf durch den stimmlich wie schauspielerisch großartigen Bariton Martin Lindsay vertreten wurde. Freud jedenfalls hätte seine Freude gehabt an einer Figur, die ihre Stereotypen als verdunkelte Wahrzeichen erkennen lässt, die mit Visitenkarte, Handy und Diktafon herumläuft wie bei Berg/Büchner der Soldat Wozzeck als „offenes Rasiermesser“ durchs Leben hastet – dem Tod entgegen.
Black humor. Das dem Tod vorausgehende Text-Leben des Mr. Emmet vertont Davies durchgehend syllabisch. Die wunderbar-humorvollen Lakonismen, zu denen, wie auch an diesem Operntext zu sehen, das Englische so überaus fähig ist („My card states clearly who I am. The relevant facts, the necessary items, short and flat, white and black.“) sollen mitgehört werden. Was treibt Emmet? Ob es auch verstanden wird, ist eine andere Frage. Getriebene geben ihr Geheimnis nur selten Preis. Wie sollte das auch gehen nur mit Worten? Diese reichen immer nur bis knapp an die Grenze. „Your life is too complicated“ argwöhnt ein „waiter“, worauf Emmet antwortet: „Nein, es ist zu geradlinig.“ „Too straight-forward“. Ein Wahrsatz.
Kompliziert, um im Bild zu bleiben, ist allenfalls die Rollenauffächerung der beiden anderen Hauptdarsteller. Die mit dem Schrubber hantierenden Putzteufel „Todd” (Wilfried Van den Brande) und „Ka“ (Rolande Van der Paal), Mit- und Gegenspieler Emmets, erscheinen als wahrhafte Chamäleons, nehmen jede Gestalt an, die in Emmets Leben eine Bedeutung hat. Zum Beispiel die Mutter. Eigentlich ist sie tot, aber plötzlich entdeckt sie Emmet am Klavier. „Aber wir haben sie doch beerdigt!“, ruft er erschrocken. „Natürlich“, kommt die Antwort, „aber das Klavier kannst du nicht zu Grabe tragen!“
Noch so ein dunkel leuchtender Schlüsselsatz, der hier allerdings nicht nur auf die exzessive Keyboard-Besetzung verweist, sondern klar macht, dass es (wenn überhaupt) die Musik ist, die ein solches „dark water“ auszuloten vermag.
Coda. Wer von der Musik spricht, darf von den Verhältnissen, in denen sie entsteht, nicht absehen. Dass diese Premiere möglich wurde, war Verdienst einer Privatinitiative. Die von der Sprechbühne kommende Schauspielerin Annette Bieker und der Regisseur Frank Schulz vom Düsseldorfer „Theater Kontrapunkt“ haben sich bei mehrfachen Besuchen auf der „Newop“, dem internationalen Jahrestreffen der Musiktheater-Erneuerer, zur Kreation einer „Europäischen Vereinigung für Kammeroper und Musiktheater“ animieren lassen. Diese war jetzt zum dritten Mal Träger des (künftig nicht notwendig) in Düsseldorf stattfindenden Festivals „6 Tage Oper“. Ein Musikfest, dem die Ausdauer des Radrennklassikers zu wünschen ist. Theaterleidenschaft und Theatervision haben einen neuen Namen dazubekommen.