Am 23. Mai 1829 gründeten 16 Musikalienhändler den „Verein der Musikverleger gegen den musikalischen Nachdruck“, den Vorläufer des Deutschen Musikverlegerverbandes, DMV. In den 175 Jahren des Bestehens des Verbandes wandelte sich nicht nur die Musik, sondern auch der gesamte Konzertbetrieb und Musikmarkt. Theo Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung, sprach mit Dagmar Sikorski, Geschäftsführerin und Inhaberin der Sikorski- Musikverlage sowie Präsidentin des DMV, über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des traditionsreichen Verbandes.
neue musikzeitung: Als sich vor 175 Jahren der Deutsche Musikverlegerverband gründete, verstand er sich auch als Schutzverband. Was gab es denn zu schützen?
Dagmar Sikorski: Die Autoren- und Verlagsrechte. Um den Schutz des Urheberrechts geht es auch heute noch hauptsächlich.
: Die GEMA ist eine Verwertungsgesellschaft, die gegründet wurde, um Rechte zu verwalten, die nicht mehr individuell von den Verlagen, sondern nur kollektiv wahrgenommen werden können, wie etwa Aufführungsrechte. Die Verlage hingegen sind diejenigen, die den Autoren helfen, ihre Werke auszuwählen, zu schützen und die sich um die individuelle Rechtewahrnehmung kümmern. : Eine Verwechslung, die immer wieder stattfindet.
: Kaum einer weiß so richtig, was eigentlich ein Musikverlag macht. Denn die Bandbreite ist riesengroß. Fragen Sie zum Beispiel mal jemanden in der Tonträgerindustrie, was Verlage machen, dann werden Sie ganz was anderes hören, als wenn Sie einen Verlag für Chormusik fragen. : Worin bestehen heute die Hauptaufgaben des Musikverlagwesens?
: Die Aufgaben des Musikverlagswesens liegen immer noch darin, dass wir ein Dienstleister für die Autoren sind. Der Autor soll sich hauptsächlich damit beschäftigen, wunderschöne Werke zu schreiben, und soll im besten Falle davon leben können. Dass er davon leben kann, dafür sorgt der Verleger. Er hilft auch, diese Werke publik zu machen. Dabei gibt es unterschiedliche Wege. Im Bereich der „Ernsten Musik“ müssen Noten gedruckt werden, damit ein Werk aufgeführt werden kann. In der Unterhaltungsmusik ist es heute der Tonträger, der das Werk bekannt macht. : Wo liegen die Probleme des mittelständischen Verlegertums heute?
: Im Moment sehe ich eher eine große Chance für die Mittelständler, denn da es der Tonträgerindustrie im Augenblick nicht so gut geht, ist sie auch nicht bereit, viel in neue Werke zu investieren. Am liebsten ist es der Phono-Industrie, wenn sie fertige Produkte 1:1 aus dem angloamerikanischen Raum übernehmen kann. Dabei ist Deutschland einer der kreativsten Böden für Neue Musik in jeder Richtung: Sei es zeitgenössische Ernste Musik, sei es Unterhaltungsmusik. Ich sehe eine Chance für den Mittelständler, das aufzufangen, was die Tonträgerindustrie nicht mehr übernimmt. : Aktuell war zu lesen, dass die OECD Deutschland im Bildungsbereich zurück gestuft hat. Dabei predigen wir alle seit vielen Jahren, dass in die Bildung und speziell auch in die musikalische Bildung viel mehr investiert werden muss. Wo sehen Sie denn da den Beitrag der Verlage?
: Die Verlage betreiben hier eine enorme Lobbyarbeit: Jeder Verleger versucht in seinem Umfeld, Einfluss auf die Bundes- beziehungsweise Landespolitik zu nehmen. Wir gehören zu den ersten, die gesehen haben, was für ein Problem auf die Jugendmusikschulen und auf die Konservatorien zukommt, wenn die Ganztagsschule eingeführt wird. Man muss die Verantwortlichen dazu bringen, sich zusammenzusetzen. Denn es bringt nichts, Konzerte, Theater und Museen zu subventionieren, wenn einem die Besucher wegbleiben. Außerdem: Die anderen Kompetenzen, die aus dem Musikunterricht heraus kommen, sind elementar wichtig für unsere Gesellschaft! : Soziale Kompetenz, kommunikative Kompetenz?
: Alles was in der Wirtschaft heute gebraucht wird, wird auch durch das Musizieren erlernt. : Es gibt inzwischen einige Programme, die eben Verlage Ihrer Größenordnung gestartet haben, speziell mit so einem musikalischen Bildungsziel. Können Sie darüber noch ein bisschen was erzählen?
: Ein Ansatz unter vielen ist der: „Musiker an die Schulen“ und das Klassenmusizieren. Wir haben mitgeholfen, dass die Bastian-Studie damals einem breiten Publikum bekannt gemacht werden konnte. Hier sehe ich ein weiteres Problem: Bei der PISA-Studie ist überhaupt nicht untersucht worden, welchen Einfluss die Fächer Musik, Kunst und Literatur auf den Bildungsstand haben. Das ist sehr schade, weil nämlich gerade in den Ländern, die bei der PISA-Studie sehr gut abgeschnitten haben, die musischen Fächer auch ernst genommen werden. Wenn Lehrerknappheit herrscht, ist leider das Erste, woran gespart wird, der Musikunterricht. Auch müsste man die Lehrpläne ändern, denn die familiären Voraussetzungen sind nicht mehr so wie früher. Die Schere zwischen den Kindern, die privaten Musikunterricht haben, und denen die vorher noch nie eine Note gesehen haben, ist so groß, dass es für einen Lehrer mit dem jetzt existierenden Lehrplan nicht möglich ist, die Anforderungen beider Gruppen unter einen Hut zu bringen.
Vom Singen und Abholen
: Das Ziel ist also, die Kinder jeweils da abzuholen, wo sie auf Grund ihrer Sozialisation stehen. Wir haben erlebt, dass das Abhol-Niveau auf einer viel niedrigeren Stufe steht als früher.: Ja, das liegt auch schon daran, dass eben das Thema Musik im Kindergarten oder in der Früherziehung, die schon vor der Schule beginnt, überhaupt keine Rolle spielt. Und Sie kennen selbst, Herr Geißler, mein Lieblingsthema: das einfache Singen. Es ist nicht teuer, jeder kann es zu Hause machen. Man muss wieder den Mut haben, selbst zu singen und zu musizieren, und nicht nur daran denken, dass es nicht so klingt wie im Radio oder im Fernsehen. : Das, was wir im Bildungssektor in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, erleben wir jetzt auch im Kultursektor. Welche Maßnahmen gegen den „Kulturabbau“ hat der Verband ergriffen?
: Wir haben einige Preise und Auszeichnungen geschaffen, die Kultur unterstützen und fördern. : Wer sind denn Ihre wichtigsten Bündnispartner bei dieser qualitätsvollen Musikalisierung unserer Deutschen Musiklandschaft?
: Unsere wichtigsten Partner sind natürlich die Musiklehrer aller Schularten, einschließlich der Musikschulen. Unsere wichtigsten Partner sind die Kulturminister. Unsere wichtigsten Partner sind die Mitglieder der Orchester, aber natürlich auch die Dirigenten und Solisten. : Einer der wichtigsten Distributionspartner, was Musik betrifft, sind die Anstalten des Öffentlichen Rechts, der Rundfunk, das Fernsehen. Wird dort noch genug getan für das Wohl unserer Musiklandschaft?
: Da gibt es eine klare Antwort: Nein! Schauen Sie sich die Umgestaltung der so genannten klassischen oder der sich mit klassischer Musik beschäftigenden Radiostationen an. So hat es etwa der NDR geschafft, gerade noch 45 Minuten in der Woche für zeitgenössische Musik bereitzustellen. Der NDR hat keine tägliche Kindersendung mehr, die länger als fünf Minuten dauert. Das ist nicht das, was wir uns unter Förderung von musikalischer Bildung vorstellen. : Die zeitgenössische Musik hat besondere Schwierigkeit, Verbreitung zu finden. Da waren die Rundfunkanstalten bis vor Jahren eigentlich immer zuverlässige Partner. Das hat sich wohl auch dramatisch verändert. Wieso?
: Ganz einfach, weil den Orchestern immer wieder gesagt wird: „Ihr müsst selbst dafür sorgen, dass ihr nicht nur von den Rundfunkgebühren lebt, sondern auch von den verkauften Eintrittskarten.“ Die Eintrittskarten, so meint nun jeder, würden sich nur verkaufen, wenn das so genannte „gewohnte Repertoire“ gespielt würde. : Wo sind Ihre aktuellen Gesprächspunkte mit der Politik? In welchen Detailbereichen sind Sie in besonders intensivem Kontakt?
: Wir sind im Augenblick stark mit dem zweiten Korb zur Urheberrechtsnovelle beschäftigt. Es geht um das Kopieren im privaten Bereich, wie weit das erlaubt werden soll. Ein ganz wichtiges Thema ist die Diskussion darüber, was mit „noch nicht bekannten Nutzungsarten“ passieren soll. Ob man diese beispielsweise schon vorab übertragen kann, das wäre für die Verlage sehr wichtig. Ein jahrelanger Streit etwa, der vom Bundesgerichtshof jetzt erst entschieden worden ist, ging darüber, ob die CD eine neue Nutzungsart gegenüber der Schallplatte ist. Es wird weitergehen mit dem Thema Archivrechte. Was passiert mit den ganzen Tonarchiven? Darf zum Beispiel der Rundfunk daraus einfach neue Tonträger machen, ohne mit den Verlagen Rücksprache zu nehmen? : Ein ewiger Zwist zwischen den Rundfunkanstalten und den Verlagen ist die so genannte Materialgebühr. Wie stehen die Verleger dazu?
: Entfiele die pro Sendung zu zahlende Materialgebühr, dann müssten wir bei der ersten Aufnahme so viel Geld vom Rundfunk kassieren, wie die Herstellung des Materials gekostet hat. Das würde richtig teuer. Ich finde die Lösung, die Kosten auf mehrere Sendungen zu verteilen, dem Rundfunk gegenüber fair.
Partner Musikalienhandel
: Es gibt den pauschalen Generalvorschlag, ob man allen Noten-Piraten nicht einen Streich spielen könnte, indem man das Noten und Partitur-Portal aller Musikverlage gemeinsam gründet.: Für Popmusik mag das sicher gehen. Aber wenn Sie sich eine ganze Taschenpartitur einer Sinfonie ausdrucken lassen, wünsche ich ihnen viel Vergnügen. Es muss einfach dabei bleiben, dass die Noten zu kaufen sind. Und deswegen sind wir auch so froh, dass wir noch einen funktionierenden Musikalienhandel in Deutschland haben, dem wir in enger Partnerschaft verbunden sind. : Die Musikalienhändler sind derzeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Gibt es da Kooperationen, gibt es Beratungen?
: Ja, natürlich gibt es das. Wir wissen, wie wichtig für uns der Musikalienhandel ist, denn er ist unser Tor zur Öffentlichkeit. Doch der Musikalienhandel funktioniert anders als etwa der Buchhandel. Nehmen wir zum Beispiel den so genannten Backkatalog. Der ist enorm. Dazu kommen dann immer noch die vielen Neuheiten. Für eine Musikalienhandlung ist es unheimlich schwierig und kostenintensiv, ein breites Spektrum vor Ort zu haben. Der Deutsche Musikverleger-Verband hat in Kooperation mit dem Händlerverband GDM eine Datenbank sämtlicher lieferbaren Noten erstellt, und diese Datenbank kann dann auch dazu benutzt werden, Bestellungen auf elektronischem Weg an die Musikverlage zu senden. Jetzt sind wir zusammen mit dem GDM dabei, das elektronische Bestellwesen mit den gängigen Lagerwirtschaftssystemen kompatibel zu machen. Dieses würde die Kosten sowohl bei den Händlern als auch bei den Verlagen senken. : Kehren wir noch einmal kurz zum Kerngeschäft zurück, dem Schutz der Autorenrechte. Ist es zu befürchten, dass durch Veränderungen
des Urheberrechtverständnisses Verschlechterungen in Aussicht stehen?
: Also ich hoffe es nicht. Hier sind wir wieder bei unserem Anfangsthema, den Schulen. Es muss dazu kommen, dass in den Schulen das Thema „geistiges Eigentum“ und „Schutz des geistigen Eigentums“, überhaupt mal auf das Tableau gebracht wird. Es kann nicht sein, dass heute in den Schulen Lehrer gebrannte CD-Roms mit Englisch-Kursen den Schülern zur Verfügung stellen, so wie ich es neulich auf einem Elternabend erlebt habe. Es muss schon den Kindern ein klares Unrechtsbewusstsein beigebracht werden. Die Schulen dürfen zum Teil Noten kopieren, weil dafür eine pauschale Abgabe bezahlt wird. Das wissen die meisten nicht. Sie denken, wenn ich Noten in der Schule kopieren darf, darf ich das auch zu Hause. Es kann nicht angehen, dass Musiklehrer an den Musikschulen an ihre Schüler Fotokopien zum Unkostenbeitrag abgeben, statt dass sie die Schüler dazu anregen, diese Noten zu kaufen. Man muss den Musiklehrern klar machen, wie viele Leute von dieser Ausgabe wirklich leben. Heute kostet eine gute Klavierschule so um 20 Euro, aber eine gute Klavierstunde liegt zwischen 50 und 100 Euro. Kopieren darf kein Kavaliersdelikt mehr sein, sondern ist ein Straftatbestand. Wir sind sehr froh, dass dies im Urheberrecht so verankert ist. : Hätten Sie zum 175. Geburtstag drei Wünsche frei für Ihren Verband, welche wären das?
: Erstens wünsche ich mir, dass der Schutz des geistigen Eigentums als etwas ganz Normales in die Köpfe der Menschen eingeht. Das Zweite ist: Ich wünsche mir, dass wieder viel mehr Leute selbst Musik machen und nicht nur konsumieren, dass wieder der Spaß an der Musik entdeckt wird. Und als Drittes wünsche ich mir, dass wir in Deutschland den Willen haben, die Kultur in allen ihren Formen und Ausprägungen zu fördern. : Diese Wünsche haben wir gemeinsam. Danke für das Gespräch
Leserbrief: Teure Klavierstunden
Zu „Für eine Remusikalisierung ...“ nmz 10/04, Seite 3