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So endet eine palästinensisch-israelische Liebe: Chaya Czernowin schrieb Mozarts Zaide-Fragment in die Gegenwart fort. Foto: Charlotte Oswald
So endet eine palästinensisch-israelische Liebe: Chaya Czernowin schrieb Mozarts Zaide-Fragment in die Gegenwart fort. Foto: Charlotte Oswald
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Geld regiert das Festspiel

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Über das Salzburg-Festival darf nachgedacht werden
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Es gehört zu den beliebten Spielchen in der publizierten Öffentlichkeit, speziell bei Festspielen nach einer wie auch immer gearteten Dramaturgie zu fragen. Welche Stücke werden weshalb und in welchem Zusammenhang gegeben? Gibt es überhaupt einen Zusammenhang? Unter diesen Anforderungen einer nicht näher definierten öffentlichen Meinung leidet nicht nur Bayreuth (genügt Wagner solo nicht mehr?), vielmehr sind die Salzburger Festspiele zum Ziel aggressiver Fragestellungen geworden. Warum und weshalb? Die Frage ist, je nach Temperament, leicht oder weniger einfach zu beantworten.

Die Salzburger Festspiele rühmen sich gern, das größte, schönste, wichtigste Festival der Welt zu sein. Addiert man die einzelnen Veranstaltungen und zugleich deren finanziellen Ertrag, mag das sogar stimmen. Der künstlerische Direktor im Dreierdirektorium bestimmt zwar, wie ein Bundeskanzler in der Wirklichkeit, die Richtlinien der Festspiel-Kunst-Politik. Aber diese Freiheit ist eine äußerst begrenzte. Der wahre Festspieldirektor trägt den Namen Mister Moneymaker, allerdings ohne Balalaika. Die Balalaika hat er an der Festspielkassa abgegeben. Letztere entscheidet, ob das Festspiel ein Erfolg war oder nicht.

Einige Beispiele aus diesem Festspieljahrgang: Mozarts Oper „Così fan tutte“ gehört in ihren ästhetischen Dimensionen eher in ein intimes Theater. In Salzburg spielt man sie im Gro-ßen Festspielhaus mit fast zweitausend Plätzen. Warum? Weil die Produktion von den Osterfestspielen übernommen wurde und die Osterfestspiele das Große Haus benötigten, um genügend Geld einzuspielen. Dieses Geld können auch die sommerlichen Festspiele gut gebrauchen, also läuft „Così fan tutte“ zum vierten Mal über die Bretter des Großen Hauses, in einer zerfasernden Inszenierung (Karl-Ernst und Ursel Herrmann) mit mittelmäßigen Sängern, lustlosen Wiener Philharmonikern unter einem farblosen Dirigenten. Festspielaufführung? Fehlanzeige. Aber vielleicht stimmte ja die Kasse.

Das Gleiche gilt, im Mozartjahr, für den „Don Giovanni“. Ein ebenso farbloser Taktschläger (Daniel Harding) wühlt sich durch die Noten, die vordem Nikolaus Harnoncourt auf ihre Schlüssigkeit durchgesehen hatte. Die Aufführung verflacht endgültig, aber auch hier dürfte die Kasse gestimmt haben. Im Großen Haus war auch eine aus Amsterdam bezogene kunterbunte „Zauberflöte“ zu besichtigen, ganz hübsch, mehr nicht, und von Riccardo Muti gepflegt langweilig mit den Wiener Philharmonikern accompagniert. Die Beispielsreihe ließe sich verlängern. Nur noch zur Ergänzung: Da die Opern trotz hoher Eintrittspreise immer noch ein Defizit verursachen, muss der Konzertsektor einen Überschuss erwirtschaften. Das gelingt aber nur, wenn im Großen Haus bestimmte Künstler, die beim Publikum beliebt sind, ein ausverkauftes Haus garantieren. Einige Namen seien genannt. Pollini, Brendel, der chinesische Tastenteufel Lang-Lang und Cecilia Bartoli. Die ständige Wiederholung Jahr für Jahr bekommt nicht einmal den Künstlern selbst. Pollini wirkt inzwischen in Salzburg wie ein Schatten seiner selbst.

Die Crux der Salzburger Festspiele besteht darin, dass sie von ihrem Gesamtetat – in der Regel fünfundvierzig Millionen Euro, in diesem Sommer wegen Mozart über fünfzig Millionen Euro – rund siebzig Prozent selbst einnehmen müssen. Den Rest teilen sich Bund, Land Salzburg, Stadt Salzburg und Festspielfonds. Die Subventionen der Öffentlichen Hand stagnieren seit mehreren Jahren, liegen knapp unter dreizehn Millionen Euro. Das bedeutet: Da die Festspiele die ständigen stationären Kostensteigerungen (Gehälter etc.) selbst auffangen müssen, sinkt entsprechend der Etat für die Herstellung der künstlerischen Produktionen. Dank seines Renommierprojekts, im Mozartjubiläumsjahr alle zweiundzwanzig Bühnenwerke des Komponisten bei den Festspielen szenisch aufzuführen, erwirtschaftete Peter Ruzicka einen Überschuss von angeblich zweieinhalb Millionen Euro. Diesen Betrag erhielt er zuvor vom österreichischen Bundeskanzler als Sonderzuweisung speziell fürs Mozartprojekt – was umgehend dazu führte, dass die Landespolitiker das Ansinnen der Festspiele nach Erhöhung des Zuschusses wenigstens um die Inflationsrate zurückwiesen. Dabei führen die Festspiele, die im Jahr fast zweihundert und während der fast dreimonatigen Festspielzeit nahezu viertausend Leute beschäftigen, das Drei- bis Vierfache der öffentlichen Subventionen allein an Lohnsteuer an den Staat ab. Von der von einem kundigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen errechneten Umwegrentabilität (Einnahmen der Gastronomie, Hotellerie etc., für die ebenfalls Steuern anfallen) ganz zu schweigen. Irgendwie kommt dem Außenstehenden das ganze System Salzburger Festspiele, was die Finanzierung betrifft, absurd vor.

Das könnte dem kunstinteressierten Besucher, sofern er nicht nur Anna Netrebko oder Lang-Lang erleben will, gleichgültig sein. Aber die finanziellen Zwänge wirken sich oft mehr oder weniger erschwerend auf die künstlerischen Dispositionen aus. Nur einige Verweise auf die Ära Ruzicka. Peter Ruzicka wollte als eine der fünf Säulen seiner Programmdramaturgie die weniger bekannten Opern des einstigen Festspiel-Mitbegründers Richard Strauss szenisch aufführen, also „Die Liebe der Danae“, die „Ägyptische Helena“, „Daphne“. Davon wurde nur die „Liebe der Danae“ szenisch realisiert. Angeblich war der plötzliche Tod des Dirigenten Giuseppe Sinopoli der Grund, das Projekt zu stornieren – als ob sich nicht ein anderer Dirigent hätte finden lassen, der das Unternehmen mit Begeisterung übernommen hätte. Der wirkliche Grund war wohl eher die Furcht, diese Strauss-Werke könnten nicht genügend Publikum in die Festspielhäuser verführen, und damit die Kassenbilanz eintrüben. Wenn aber die Salzburger Festspiele nicht einmal bei ihrem Mitbegründer Richard Strauss bereit und in der Lage sind, ein ökonomisches Wagnis einzugehen, dann fragt man sich verzweifelt, womit dieses Festspiel dann noch seinen hohen Anspruch legitimieren will.

Dass der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka bereits nach fünf Amtsjahren seinen Salzburger Festspielthron wieder verlässt, mag vermutlich auch in diesen äußeren Zwängen eine Begründung finden.

Ruzicka ist ein äußerlich zurückhaltender Mensch, der sich eher seinen Teil im Stillen denkt und lieber seinen Posten von sich aus räumt, bevor er, wie seinerzeit beabsichtigt, sich einem Verhör über seine Amtsführung durch das Kuratorium der Festspiele stellt. Damit soll Ruzickas häufiger Abwesenheit in der Festspielvorbereitungszeit keine Absolution erteilt werden. Ein Intendant ist immer auch eine Art Vater für den künstlerischen Betrieb, und ein gemütvoller Intendantenvater war und ist Ruzicka sicher nicht. Aber er war ja gewählt worden, weil man in ihm den Garanten sah, die Modernisierung des Festspielprogramms in der Nachfolge von Gérard Mortier fortzusetzen. Und diese Erwartungen und Hoffnungen, soweit sie überhaupt ernst gemeint waren, hat Ruzicka in den fünf Jahren doch wohl erfüllt, auch wenn seine Konzeption in einigen wichtigen Punkten erhebliche Abstriche erfahren musste, wie im Falle der schon erwähnten Strauss-Opern, auch bei dem Vorhaben, die vergessenen Opern österreichischer Exil-Komponisten für Salzburg erfahrbar zu machen. Die Aufführungen von u u Schrekers „Die Gezeichneten“, von Korngolds „Toter Stadt“ und von Zemlinskys „König Kandaules“ gehören zu den größeren Taten Peter Ruzickas, wenn man sich auch nicht die Anmerkung verkneifen kann, dass die Rehabilitierung dieser Komponisten und speziell dieser Werke schon seit längerem von Opernbühnen in der „Provinz“ erfolgt ist. In Österreich hat man gern etwas seltsame Vorstellungen von Entdeckungen, die andernorts bereits gemacht worden sind.

Peter Ruzickas Langzeitprojekt aber, das er bereits unmittelbar nach seiner Wahl zum Intendanten (1999) vortrug, galt Mozart. Salzburg sollte alle anderen Huldigungen zum zweihundertfünfzigsten Geburtstag des in Salzburg geborenen Komponisten anno 2006 übertreffen. Der Ruzicka-Schlachtplan, wie von Schlieffen entworfen, umfasste zweierlei: die szenische „Eroberung“ aller zweiundzwanzig Operntitel Mozarts und die Umklammerung Mozarts durch Neue Musik in den zahlreichen Orchester- und Kammerkonzerten der Festspiele. Etwas zaghaft blickten Ruzicka und der Chef seines Kartenbüros der Publikumsnachfrage speziell für die weniger oder kaum bekannten Mozarttitel entgegen. Die Erwartungen wurden enttäuscht: Gerade die weniger populären Mozart-Jugendopern erfreuten sich eines ungeahnten Ansturms und verhalfen so der Kassa zu einem kaum erhofften Überschuss. Der fast besinnungslose Freudentaumel der Festspielverantwortlichen über den Erfolg des Mozart-Events sollte aber kritische Betrachtungen nicht ganz ausschließen. Mozarts Jugendopern, also, um die wichtigsten zu nennen, „Lucio Silla“, „La finta giardiniera“ und „Mitridate, re di Ponto“, sind in der Vergangenheit in einigen mustergültigen Aufführungen als vollwertige Mozart-Opern sozusagen revitalisiert worden. An Chéreaus Pariser „Lucio Silla“, an die „Finta giardiniera“ der Herrmanns damals in Brüssel reichten die jetzigen Salzburger Bemühungen kaum heran. Wenn man strenge Maßstäbe anlegt, und wo könnten solche am ehesten angelegt werden, als bei einem renommierten Festival, das sich Mozart verschreibt, so genügten von den zweiundzwanzig Mozart-Produktionen bestenfalls ein Drittel einem Festspielanspruch. Den eigenwilligen „Figaro“ von Harnoncourt in der Inszenierung Claus Guths zeichnete auch für denjenigen, der der Konzeption kritisch gegenüberstand, hohe Professionalität aus. Der von Günter Krämer inszenierte „Mitridate“ brachte eine geschärfte gegenwärtige Sicht auf die zeitlose Praxis von Diktatoren, ihre Verquickung von Herrschaft und Privatem, das einem das Stück ganz nahe rückte, zumal es von Marc Minkowski und den Musiciens du Louvre et Grenoble hochvirtuos und expressiv musiziert wurde. Die noch aus der Mortier-Zeit stammende „Idomeneo“-Inszenierung von Karl-Ernst und Ursel Herrmann, ein wenig historisch schon in ihrer ästhetischen Gepflegtheit, gab dem Dirigenten Roger Norrington und einigen Sängern, wie Magdalena Kozena, Anja Harteros und Ramon Vargas, Gelegenheit, dramatischen Mozart-Gesang zu exekutieren. Überhaupt fiel auf, wie mäßig manche Partien in anderen Opern vokal besetzt waren. Mozart-Tenöre scheint es überhaupt kaum noch zu geben. Das quält sich oft mühsam quetschend so dahin, zu allem Überfluss erreichte einen in der Festspielzeit noch die Nachricht vom Tod Léopold Simoneaus. An so einen Mozart-Tenor darf man in Salzburg gar nicht denken. Es scheint an der Zeit, für die Salzburger Festspiele wieder einmal über die Herstellung einer erstklassigen musikalischen Qualität nachzudenken, das heißt: sie zu realisieren, indem man sich das Jahr über in aller Welt Sänger und Dirigenten anhört, die diese Qualität garantieren könnten. Es ist doch schon fast ein Witz, dass man in Innsbruck einen aufregenderen „Don Giovanni“ (René Jacobs) erleben kann, als im hoch gepriesenen und gepreisten Salzburg.

Dass Peter Ruzicka als Komponist und Leiter der Münchner Musiktheater-Biennale die Musik der Gegenwart besonders am Herzen liegt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Es war von vornherein klar, dass Ruzicka, speziell nach der Ära Gérard Mortier/Hans Landesmann, nicht hinter dieser zurückfallen würde, nur etwas anders wollte er für Salzburg die Akzente setzen. Ruzicka konzipierte mit den von ihm so genannten „Passagen“ gleichsam ein Festival im Festival. Vorwiegend am Ende einer Festspielzeit ballten sich die Konzerte mit Ur- und Erstaufführungen moderner Komponisten. Diese Konzerte waren oft sehr schlecht besucht, eine Erfahrung, die bereits Hans Landesmann am Ende seiner Zeit als Konzertreferent der Festspiele machen musste, als bei einem Wolfgang-Rihm-Porträt mit neun Konzerten die Festspielbesucher weitgehend ausblieben. In diesem Jahr verfuhr Ruzicka nach einem alten bewährten Prinzip: Er packte viele der vergebenen Uraufführungen samt etlicher Erstaufführungen jeweils in Mozart-Programme. Wer Muti und die Wiener mit Mozart hören wollte, musste eine schön klingende Novität von Fabio Vacchi mithören, wer zu Barenboim und eben denselben Wienern eilte, wusste, dass ihm ein neuer Johannes Maria Staud vor Ohren stand. Das funktionierte sogar, es gefiel dem Festspielpublikum, und als Olga Neuwirth ihr neues Trompetenkonzert für die Wiener Philharmoniker mit dem wunderbaren Hakan Hardenberger als Solisten vorstellte, jubelten die Leute sogar, vielleicht auch deshalb, weil Pierre Boulez dirigierte und sich danach noch mit Lang-Lang in Mozarts Konzert für Klavier und Orchester G-Dur KV 453 zusammenfand. Das war höchst spannend, wie sich da zwei Musiker verstellten und sich als Mozart-Spezialisten präsentierten. Auch für solche snobistischen Auftritte sind die Festspiele manchmal gut, und man wünschte sich, dass sie sich mehren möchten. Ob die Salzburger Festspiele überhaupt ein Publikum für Neue Musik rekrutieren können, darüber wäre nachzudenken. Bei Hans Landesmann schien es eine Zeitlang zu funktionieren, aber vielleicht auch nur, weil das von ihm an die Festspiele angegliederte „Zeitfluss“-Festival ein aufgeschlossenes Publikum mitbrachte. Einer der beiden „Zeitfluss“-Iniatoren war der Pianist Markus Hinterhäuser. Dieser wird im nächsten Jahr bei Jürgen Flimm die Konzerte programmieren. Die Erfahrungen der Landesmann-Mortier-Zeit, die von Peter Ruzicka und von Hinterhäuser sollten ausreichen, um das Thema Neue Musik bei den Salzburger Festspielen weiterführend zu überdenken.

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