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Geständnisse eines Musikschulleiters a.D.

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Musikschule und Streichinstrumente
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Die ulkige Bemerkung meines Violoncelloschülers Frank-Michael, mit der ich die letzte Folge abgeschlossen hatte, kann vielleicht nur denjenigen erstaunen machen, der nicht aus eigener Erfahrung weiß, welche Bedeutung die Streichinstrumente für die Orchester- und Ensemblearbeit der Musikschule haben oder doch haben sollten.

Als ich am 1. April 1966 zum ersten Mal in meinem Leben Lahr aufsuchte, um mir die dortige Musikschule anzuschauen, erfuhr ich, dass diese ein halbes Jahr zuvor von Musiklehrern der Lahrer Gymnasien einzig und allein deswegen gegründet worden war, weil es zu jener Zeit in dieser Stadt keine Lehrer für Streichinstrumente mehr gab und als Folge davon auch nicht ein einziges Schulorchester. Ich entschloss mich damals nur deswegen spontan, die Leitung der Musikschule zu übernehmen, weil der Schule von Beginn an ein wunderbarer Saal für Ensemblearbeit jeder Art zur Verfügung stand. Der schöne „Pflugsaal“ wurde natürlich auch weiterhin als Konzertsaal der Stadt genutzt. Dass ich von Anfang an einen Schwerpunkt der Arbeit auf die Ausbildung von Streichern legte, hatte weniger mit meiner persönlichen Situation als Violoncellist und Violoncellolehrer zu tun, als vielmehr mit der Erkenntnis, dass hier die Hauptverantwortung, aber auch die Stärke der Musikschule liegt. Ein Rechenbeispiel möge dies verdeutlichen: Für ein Sinfonieorchester, das diesen Namen verdient, benötigt auch eine Musikschule zehn erste Violinen, zehn zweite Violinen, acht Violen und acht Violoncelli. Berücksichtigt man, dass auch der talentierteste Schüler mindestens fünf Jahre intensiver Arbeit benötigt, um mit schönem Ton und einwandfreier Intonation in einem Ensemble mitspielen zu können, lässt sich leicht errechnen, wie hoch allein der quantitative Anteil der Streicherschüler einer Musikschule sein muss, um diesem Anspruch gerecht werden zu können. Und wer hätte wohl bessere Voraussetzungen für diese Aufgabe als die Musikschule! Kann diese Aufgabe etwa ein einzelner Lehrer leisten? Kann ein einzelner Lehrer das erforderliche Angebot an Ensemblespiel wie Orchester und Kammermusik bereitstellen? Kann ein einzelner Lehrer die Teamarbeit der Musikschule ersetzen? Und drängt sich für die musikalische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen an der Musikschule diese Form des Musizierens und der Zusammenarbeit nicht geradezu auf?

Es ist für Kinder, die in jungen Jahren ja noch kein Ohr und keinen Sinn für harmonische Zusammenhänge haben, sehr leicht und unproblematisch, schon mit fünf oder sechs Jahren ein Streichinstrument zu erlernen. Das Streichinstrument, ganz besonders die Violine, bietet wie kaum ein anderes Musikinstrument dem kleinen Kind die Möglichkeit, seine persönlichen Empfindungen und Gefühle auf das eigene Instrument und in das eigene Spiel zu übertragen. Bei uns durfte jedes Kind selbstverständlich erwarten, dass alle Lehrer der Musikschule an dieser langjährigen persönlichen Entwicklung und Erfahrung des Kindes Anteil nahmen und es vor schädlichen äußeren Einflüssen wie unsinnigem Konkurrenzdenken, musikalischer Anspruchslosigkeit, Ungeduld oder Gleichgültigkeit schützten. Und dann noch zusätzlich zum individuellen Unterricht des Kindes dieses Musizieren mit anderen! Es schärfte nicht nur die Ohren, sondern sensibilisierte auch für die Gemeinschaft, für Toleranz, Anerkennung des Anderen und Wohlwollen.

Deshalb waren unsere Schüler stets mehr als nur gute Spieler, sie waren durchweg auch immer freundliche, hilfsbereite, engagierte und wenig neidische Zeitgenossen. Ich denke gern und dankbar an diese Zeit und unsere (meine) Schüler zurück! Vor einigen Tagen fiel mir ein Programm aus alten Zeiten in die Hände, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Anlässlich der Hauptarbeitstagung 1971 des Landesverbandes der Jugendmusikschulen Baden-Württembergs e.V. in Lahr spielte damals das Orchester der Musikschule Lahr außer dem 3. Brandenburgischen Konzert von J. S. Bach, der Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis“ von Ch. W. Gluck und den Rumänischen Volkstänzen von B. Bartok auch die Kantate „Musica begleite unser Leben“ für drei gleiche Stimmen und Orchester von W. A. Mozart sowie die Sinfonia Es-Dur für Doppelorchester von J. Ch. Bach. Die Orchester bei der Sinfonia waren mit insgesamt 19 ersten Violinen, 15 zweiten Violinen, 12 Violen, 14 Violoncelli, 2 Kontrabässen, 6 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten, 3 Hörnern, 3 Fagotten, 2 Trompeten und Pauken besetzt. Bei der Kantate sangen drei Chöre mit jeweils 27 Sängerinnen und Sängern, alles Instrumentalschüler, Klavier, Streicher, Bläser. War dies das Geheimnis des Erfolgs – keine musikalische Ausbildung ohne Singen? Ein Jahr später, im Frühjahr 1972, wurde mit dem Orchester der Lahrer Musikschule als Basis das spätere Landesjugendorchester Baden-Württemberg gegründet. Einen ganz anderen Beitrag dazu leistete Friedrich Dilger, seinerzeit Finanzbürgermeister in Lahr: Er gewährte dem damals noch armen Landesverband der Musikschulen spontan ein zinsloses Darlehen in Höhe von 5.000 Mark!

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