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Auf Opas Spuren: Deutsche singt in Japan Beethovens Neunte Symphonie

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Naruto - Japaner lieben Beethovens Neunte Symphonie. In dem fernen Land wurde sie erstmals vor 100 Jahren aufgeführt - von deutschen Soldaten in einem Kriegsgefangenenlager. Zum Jubiläum erklingt sie dort erneut - mit dabei eine Enkelin eines der damaligen Soldaten.

Der junge Mann mit dem dunklen Rauschebart sitzt mit verschränkten Armen an einem Tisch, die Beine übereinander geschlagen. Liebevoll blickt Susanne Hake auf das Schwarz-Weiß-Foto ihres Großvaters Hermann, das ihn während seiner Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg in Japan zeigt. «Vorigen Sonnabend wurde die Neunte Symphonie von Beethoven gespielt. Die Aufführung glückte gut», habe ihr Großvater damals aus dem Lager Bando, in das ihn die Japaner nach Unterbringung an einem anderen Ort verlegt hatten, an seine Mutter in Deutschland geschrieben, erzählt Susanne Hake der dpa in Tokio.

Es war das erste Mal, als an jenem 1. Juni 1918 Beethovens Neunte in Asien gespielt wurde, aufgeführt von deutschen Kriegsgefangenen. «Mein Opa spielte in Bando die zweite Geige», erzählt seine Enkelin, die aus Wiesbaden stammt und in Berlin lebt. Welche herausragende Bedeutung die Neunte für die Japaner erlangen sollte, konnten die Gefangenen um Hermann Hake damals sicher nicht erahnen. Schon früh sei die «Ode an die Freude» zur «rituellen Identifikationsmusik des japanischen Volkes, zum Symbol für nationale Einheit, Tenno und Tugend, Stärke, Mut und Kraft» mutiert, schrieb die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» einmal.

Zum 100. Jahrestag der Premiere in Asien am 1. Juni wird Susanne Hake nun erstmals in das ferne Japan fliegen, um die Neunte dort selbst mit einem internationalen Chor aus mehr als 1000 Sängern zu singen. Genau an jenem historischen Ort auf Japans kleinster Hauptinsel Shikoku, wo einst ihr Opa und seine Kameraden sie erklingen ließen. «Er hat damals viel geübt», weiß sie aus Briefen ihres Großvaters.

Hermann Hake gehörte zu den rund 4700 deutschen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg beim Kampf um das deutsche Pachtgebiet Tsingtau (heute Qingdao) in China in japanische Kriegsgefangenschaft geraten waren. Sie wurden nach Japan verschifft und in verschiedenen Lagern untergebracht. «Fast 1000 von ihnen hatten das Glück, in das human geführte Lager Bando verlegt zu werden», schildert Susanne Hake.

Denn dort hatten die Deutschen dank des engagierten Lagerkommandanten Toyohisa Matsue einige Freiheiten. So durften sie unter anderem Brot backen, Gaststätten für japanische Besucher einrichten - und eben musizieren. Als Susanne Hakes Opa und sein Lagerorchester die Neunte aufführten, erschienen auch Lagerkommandant Matsue und dessen Frau.

Heute gehört die «Dai-Ku», wie die Neunte Symphonie auf Japanisch heißt, zur Kulturlandschaft des fernöstlichen Landes. Nirgendwo auf der Welt löst die Neunte alljährlich eine solche Welle der Begeisterung aus wie hier. Stets zu Neujahr erklingt Schillers «Ode an die Freude» mehr als 100 Mal, geschmettert von Chören mit bis zu zehntausend Sängern - in deutscher Sprache. «Es ist kein Wunder, dass die Japaner darauf so abfahren», erzählt Susanne Hake lachend. Wer schlecht gelaunt sei, brauche nur die Neunte zu singen. «Die ist richtig Medizin», findet sie. Genauso empfand es ihr Opa: Ruhe und Trost habe er dabei empfunden, schrieb er damals der Mutter.

Seine Enkelin erinnert sich noch gut daran, wie ihr Großvater viele Jahre nach den beiden Weltkriegen Besuch aus Japan vom Sohn jenes Briefträgers bekam, der damals seine Briefe abholte und ihm Post aus der deutschen Heimat ins Gefangenenlager Bando gebracht hatte.

Doch außer den Fächern und Süßigkeiten, die der Sohn des Briefträgers bei seinen Besuchen in Deutschland mitbrachte, blieb Susanne Hake die Geschichte ihres Großvaters lange fremd. Erst bei der Aufführung des Spielfilms über Bando «Ode an die Freude» beim japanischen Filmfestival in Hamburg 2007 sei sie lebendiger geworden, erzählt Susanne Hake, die seit mehr als 20 Jahren Zen-Meditation betreibt - das jedoch unabhängig von den Japan-Erfahrungen ihres Großvaters.

Die Briefe ihres Opas an seine Mutter waren vergangenen Jahr Teil einer Ausstellung mit dem Titel «Begegnungen hinter Stacheldraht» in Lüneburg, der deutschen Partnerstadt von Naruto, in das Bando eingemeindet wurde. Lüneburg hat auch die Gruppenreise des Chors, der zusammen mit anderen Chören aus Qingdao, Naruto und Los Angeles anlässlich des 100. Jahrestages der Erstaufführung in Japan die Neunte singen wird, organisiert. Die Feierlichkeiten gehen über drei Tage. «Ich hoffe, dass ich nicht weine», sagt Susanne Hake in Gedanken an ihren Opa und fügt hinzu: «Er war ein fröhlicher Mensch.»

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