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Dresdner Philharmonie legt bei Besuchern und Abonnenten zu. Foto: Presse, Joerg Simanowski
Dresdner Philharmonie muss Jubiläum ohne Gäste im Saal feiern. Foto: Jörg Simaniwski
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Dresdner Philharmonie muss Jubiläum ohne Gäste im Saal feiern

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Dresden - Festkonzert statt Festwoche: Die Dresdner Philharmonie kann ihren 150. Geburtstag nicht wie gewünscht feiern. Es sollte ein großes Fest werden, doch ein Virus verdirbt der Dresdner Philharmonie die Feierlaune. Dabei ist man gerade dabei, mit einem guten Saal ein neues Kapitel Musikgeschichte zu schreiben.

Ob nun Johannes Brahms, Antonín Dvorák, Peter Tschaikowski oder Richard Strauss: Sie alle standen am Pult der Dresdner Philharmonie, um mit dem städtischen Orchester der Elbestadt eigene Werke aufzuführen. Und auch die Namen der Dirigenten lassen erahnen, welchen Ruf die Philharmonie in der Musikwelt innehatte und noch heute genießt. Ob nun Hermann Abendroth, Fritz Busch, Eugen Jochum, Joseph Keilberth, Erich Kleiber, Franz Konwitschny oder Kurt Masur und Herbert Kegel - die Liste der Gast- und Chefdirigenten liest sich wie das Who-is-Who der Zunft.

«Idealismus und Hingabe, eine selbst auferlegte und bewusst gepflegte starke künstlerische Disziplin innerhalb der Gemeinschaft, und das Hineinfinden und Hineinwachsen des Einzelnen in das Ganze kennzeichnen die Besonderheiten des Klangkörpers», so stimmte Chefdirigent Heinz Bongartz in den 1950er Jahren ein Loblied auf seine Musiker an. Kritiker loben den warmen Streicherklang der Philharmonie, der ihr genau wie der «Konkurrenz» aus der eigenen Stadt - der Sächsischen Staatskapelle Dresden - zugeschrieben wird.

Der 29. November 1870 gilt als Geburtsstunde der Philharmonie. Damals wurde der sogenannte Gewerbehaussaal in Dresden eröffnet. Die Bürgerschaft konnte nun selbst große Orchesterkonzerte organisieren. Bis dahin gab im hiesigen musikalischen Leben vor allem der sächsische Hof mit der 1548 gegründeten heutigen Staatskapelle den Ton an. 1909 reiste die Dresdner Philharmonie als erstes deutsches Orchester über den Atlantik und spielte 56 Konzerte in 30 Städten der USA und Kanadas. Im Archiv gibt es ein Foto der Musiker beim Halt eines Sonderzuges in der Prärie. Schöne Neue Welt, glanzvolle Zeiten.

Aber auch Tiefen musste das Orchester überstehen - die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren, die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg und Nachwende-Unruhen, als bei vielen Institutionen ein Fragezeichen hinter ihrer Finanzierung stand. Manch einer der heutigen Philharmoniker hat ganz aktuell Sorgen, was die Zukunft von Orchestern in Zeiten einer Pandemie grundsätzlich angeht.

Wenn die Dresdner Philharmonie zu DDR-Zeiten im Westen tourte, gab es mitunter personellen Aderlass. Ex-Philharmoniker Jürgen Nollau schrieb in Reiseerinnerungen die Worte eines bayerischen Grenzbeamten - in Mundart: «Ja, also, Se sahn a Sinfonisches Orchester - da schaun's nur, dass Se net als Kammerorchester zruckkemma.» Die Befürchtung blieb unbegründet, «Orchesterflucht» eine Ausnahme. Vor allem in Japan hatte die Philharmonie einen großen Fanclub, der den Musikern nach Konzerten wie Groupies auflauerte.

2012 begann eine neue Ära. Schon in den Jahren zuvor waren die philharmonischen Nerven arg strapaziert worden. Denn die 1969 als Mehrzwecksaal konzipierte Spielstätte im Kulturpalast war in die Jahre gekommen, der Brandschutz veraltet. Zu jedem Konzert stand fortan eine Feuerwehr vor dem Palast - und nicht nur, wenn Händels «Feuerwehrmusik» gespielt wurde. Als das Haus 2012 vollends dicht machte, ging das Orchester fünf Jahre auf Tournee durch die eigene Stadt, spielte im Albertinum, Schauspielhaus oder im Hygiene-Museum. 2017 wurde der neue und akustisch hochgelobte Saal wiedereröffnet.

Intendantin Frauke Roth verbindet damit eine «zweite Stunde Null» für das Orchester: «Sie hat das Entwicklungspotenzial deutlich gemacht. Das ist eine echte Ausnahmesituation. Vielerorts wird abgebaut und eingespart, für uns gab es die Chance zur Entwicklung.» Dresden sei mit seiner Geschichte gerade in der Musikwelt ein Sehnsuchtsort. Die Philharmonie verkörpere in Klang und Orchesterpsyche etwas Eigenes: «Sie ist nicht irgendein Orchester, sondern besitzt eine Identität. Das ist etwas Besonderes und kommt nun im neuen Saal des Kulturpalastes voll zur Entfaltung.»

Auch die Rückkehr von Chefdirigent Marek Janowski wird in Dresden als Glücksfall empfunden. Von 2001 bis 2003 war er schon einmal hier, verließ dann aber nach Gezerre um den Saal im Frust die Stadt. Seit 2019 dirigiert er wieder an der Elbe und hat kurz vor dem Jubiläum seinen Vertrag um ein Jahr bis 2023 verlängert. Dass jetzt statt einer Festwoche nur mit einem Konzert im Radio und Internet gefeiert wird, hat der 81-Jährige wohl schon im Sommer geahnt: «Ich bin immer eher pessimistisch-realistisch. So ist es besser, auf negative Überraschungen vorbereitet zu sein», sagte er damals.

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