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Gänsehaut-Faktor: «Stille Nacht» aus Tausenden Kehlen

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Aachen/Köln - Ein Fußballstadion, Tausende Menschen im Schein ihrer Kerzen - und alle singen Weihnachtslieder wie «Oh du fröhliche», «Fröhliche Weihnacht» und «Stille Nacht». Im Aachener Tivoli herrscht am Sonntagabend Gänsehaut-Atmosphäre. Keine Show, keine Prominenz - nur die lokalen Musikvereinigungen, die den Weihnachtschor der anderen Art begleiten.

Weihnachtssingen im Fußballstadion: Für Fans von Zweitligist Union Berlin gehört das schon seit Jahren zum guten Ton, inzwischen begeistern sich dafür auch Tausende tief im Westen.

Als zu Beginn des XXL-Weihnachtssingens das Licht im Stadion erlischt, zünden die Teilnehmer ihre Kerzen an. Minutenlang wird das imposante Festgeläut des Aachener Doms eingespielt. Dann stehen die Musiker auf dem Rasenplatz, wo normalerweise die Kicker des Traditionsclubs Alemannia Aachen kämpfen. Auf den Rängen Tausende Aachener, in einer Hand ihr Kerzchen, in der anderen das Liederheft. Und die meisten singen mit Inbrunst. 500 Flüchtlinge und Heimkinder lauschen dem Gesang von den VIP-Plätzen aus.

Zum dritten Weihnachtssingen auf dem Aachener Tivoli hatten die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und die Interessengemeinschaft der Fans der Alemannia eingeladen. Vor zwei Jahren kamen 5500 Sänger, im vergangenen Jahr 11 500, jetzt sind es deutlich mehr. Die Veranstalter hatten mit 18 000 gerechnet. Bei den jüngsten Spielen des Viertligisten kamen gerade mal so um die 6000 Fans. Das Weihnachtssingen spreche die Menschen wohl auf ihre tiefsten Sehnsüchte nach Frieden und Geborgenheit an, hatte der evangelische Pastor und Mitorganisator Siegmar Müller zuvor erklärt.

Singen mit so vielen Menschen sei einfach überwältigend, beleuchtet Kulturpsychologin Stefanie Stadler Elmer eine ganz andere Seite. «Beim Singen passiert, was sonst kaum passiert: Dass wir unsere Atmung gemeinsam synchronisieren», sagt die Professorin. Man höre nur zu und singe mit, es gehe um nichts anderes. «Es ist ein Grundbedürfnis von Menschen, sich einzufügen in ein Kollektiv durch eine gemeinsame Tätigkeit.»

Den Anfang des ganz großen Weihnachtssingens im Stadionrund hatten die Fans des 1. FC Union Berlin mit einem zuletzt stimmgewaltigen Chor von 27 500 Menschen im Stadion «An der Alten Försterei» gemacht. 2003 ging es los, wie der Verein auf seiner Internetseite erzählt.

Das Weihnachtssingen XXL ist aus einer Schnapsidee entstanden, wie der Sprecher des Deutschen Chorverbands und Fußballfan Daniel Schalz sagt: 80 Leute sind demnach nachts über den Zaun geklettert, um im Stadion zu singen. Die Saison war bescheiden gelaufen, und das Jahr sollte mit etwas Schönem enden. Die Fans stellten sich der Schilderung zufolge in den Mittelkreis und sangen Weihnachtslieder. Das sprach sich herum, und immer mehr wollten mit dabei sein. Heute müssen Tickets vergeben werden, weil der Andrang so groß ist.

In Köln ist es sofort ganz groß. Für das erste Weihnachtssingen am Sonntagabend im Rhein-Energie-Stadion gab es Tickets - verkauft wurden an die 30 000. Allerdings für kleines Geld, die freie Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln inklusive. Statt Kerzen sollten Tausende Taschenlampen von einem Sponsor verteilt werden. Und Promis waren auch angekündigt, die den richtigen Ton anstimmen sollten: BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken, die Wise Guys, Henning Krautmacher von der Kölner Musikgruppe Höhner.

«Singen kann jeder, vielleicht nicht jeder gleich gut», behauptet der Sprecher des Chorverbands, Daniel Schalz. Der Gesang des bunt zusammengewürfelten Chors mag bei weitem nicht perfekt sein, aber: «Das kann Gänsehaut machen. Wenn 20 000 Menschen singen, dann hat das eine Wucht, die einen durchaus beeindrucken kann», meint er. Es gebe eben eine Sehnsucht des Menschen, gemeinsam zu singen.

 

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