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Das Meer. Foto: Hufner
Großer Opern-Revolutionär: Peter Jonas mit 73 Jahren gestorben. Foto: Hufner
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Nonchalance an der Spitze – Zum Tod von Sir Peter Jonas

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Im originalen Kilt vor dem Vorhang der Bayerischen Staatsoper zur Festspieleröffnung, ein erschreckt-entzücktes „Oh!“ im Publikum und dann Gelächter und Beifall - das liebte Peter Jonas in seiner letzten Intendanten-Position. Nun ist der unkonventionelle Brite seiner langjährigen Krebserkrankung erlegen. Unser Kritiker Wolf-Dieter Peter erinnert sich an horizonterweiternde Abende und Momente voller britischem Humor.

„Wenn sie es nicht mögen, sollen sie mich einfach rausschmeißen“ so trocken kommentierte Peter Jonas gleich am Anfang seiner Münchner Intendanz die Frage nach seiner Beziehung zum konservativ eingestellten bayerischen Kunstministerium. Diese Koketterie mit dem höchst Unwahrscheinlichen konnte er sich leisten: er gehörte im Zeitraum vor seiner endgültigen Berufung und dem Dienstantritt 1993 zu den wenigen Persönlichkeiten, die überhaupt in Frage kamen und dennoch wirkte er anfangs wie ein kleiner Kulturschock. Gewöhnt waren die Münchner und anreisende bayerische Musikszene an den umtriebigen August Everding, der dem bajuwarisch-barocken Repräsentationstrieb genug Futter gab; mit GMD Wolfgang Sawallisch und seiner Frau „Mecht-Machthild“ im Hintergrund der anschließenden Operndirektion dominierten bei hohem musikalischen Niveau doch „Opas Oper“ und „museale Repräsentation“. Und nun dieser Brite, der Pressekonferenzen in Jeans und offenem Hemd auf der Schreibtischkante seines Design-fernen Büros abhielt, in einer abgewetzt-ausgeleierten Lederjacke fast unkenntlich in experimentellen Avantgarde- Aufführungen stand und anschließend ohne jede Hoheitlichkeit darüber redete.

Peter Jonas kannte einiges an deutscher Mentalität, auch durch seinen Vater, der als Halbjude vor den Nazis aus Hamburg nach England gegangen war, wo Peter geboren wurde. München und seine Oper kannte er später durch seine jahrelange Beziehung zu Lucia Popp. In seinen Londoner Studienjahren wechselte Peter Jonas von Literatur zu Musik und Theater, assistierte und knüpfte Kontakte – so dass ihn Pultstar Georg Solti 1974 als Assistent nach Chicago mitnahm. Dort avancierte er zwei Jahre später zum Künstlerischen Betriebsdirektor des Chicago Symphony Orchestra und wurde in diesen insgesamt elf Jahren mit der gesamten internationalen Künstlerwelt bekannt, vertraut und sprach daher auch kenntnisreich über Malerei und Architektur. In der personell ja nicht überreichen britischen Szene ragte er bald heraus und wurde 1985 Generaldirektor der English National Opera. Dieses zweite Londoner Opernhaus machte er in den Jahren bis 1993 zu einem Zentrum quirliger Erneuerung.

Viel davon, konservativeren Opernfreunden zu viel dieses „Brit-Pop“ holte Jonas an die gediegene Bayerische Staatsoper. Die Agentur Mendell schuf ein bis heute unerreichtes, „Blick und Hirn fangendes“ Erscheinungsbild in Plakaten und sämtlichen Druckerzeugnissen der Oper. An der Spitze der Innovationen der folgenden 13 Jahre stand die Revolutionierung des bisherigen Händel-Bildes. Mit ihm vertrauten Regisseuren wie David Pountney, Richard Jones, Martin Duncan und speziell David Alden sowie einem Defilée internationaler Ausstatter zogen Interpretationen voller Pop- und Fantasy-Art, Film- und Foto-Klassiker-Anspielungen, Bewusstseinsstromtechnik, Collage und Montage in Bann. Münchens derzeitiger Intendant Nikolaus Bachler formulierte treffend: „Seit der Ära Jonas hört das Publikum in München (auch) mit den Augen.“

Mit dem Coup, Zubin Mehta 1998 auf den Münchner GMD-Posten zu locken, machte Jonas viele der immer noch verstörten Konservativen verstummen. Nicht alles gelang: keine Harmonie mit dem Gärtnerplatz-Intendanten Klaus Schultz; etliche Repertoire-Klassiker des 19. Und 20.Jahrhunderts gelangen nur mittelmäßig. Doch der Monteverdi-Zyklus, Konwitschnys „Parsifal“-, Wernickes „Elektra“-Inszenierung und vor allem Alden-Mehtas „Tannhäuser“-Neudeutung (auf DVD und Blu-ray greifbar) setzten Maßstäbe, getragen vom harmonierenden Führungsteam Jonas-Mehta, dem künstlerisch orientierten Verwaltungsdirektor Felber und der freundlich-kompetenten Marketing-Chefin Hessler. Die Jonas-Strategie „Zugänglichkeit und Qualität“ blühte in gesteigerter Jugend-Arbeit und preiswerten Abos, Sponsoren-Werbung und gipfelte schließlich in „Oper für Alle“, der kostenlosen Live-Übertragung auf den Max-Joseph-Platz. Auslastung, Werkvielfalt – darunter 14 Uraufführungen in den 13 Jahren – und Aufführungszahlen erreichten Höchststände.

Neben Fußball und Auto-Marken sonnte sich der Kulturstaat Bayern in dem Image, einfach Spitze zu sein. Dabei quälte sich der 2000 neben vielen anderen Ehrungen zum Sir geadelte Peter Jonas seit langem mit seiner Krebserkrankung – ohne den hierzulande als trocken-schwarzen „typisch britischen“ Humor nur gelegentlich zu verlieren. Nach 2006 folgte viele Berater- und Lehrtätigkeiten. Jetzt siegte die Krankheit – doch die Intendanz Peter Jonas mit ihrer britischen Nonchalance ist eine bislang unübertroffene Ära. Thank you, Sir Peter!


Wir haben die dpa-Meldung durch einen Autorenbeitrag von Wolf-Dieter Peter ersetzt.

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