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Blick auf Salzbrug. Foto: Hufner
Salzburger Bilanz: Ein Festival im Übergang. Foto: Hufner
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Salzburger Festspiele: «Jedermann» vor maskiertem Mini-Publikum?

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Salzburg - Fast alle Sommerfestivals wurden infolge der Corona-Krise abgesagt. Nur die Salzburger Festspiele, die dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiern, warten mit der Hiobsbotschaft. Hat Intendant Markus Hinterhäuser etwas in der Hinterhand?

100 Jahre Salzburger Festspiele! Ganz groß sollte das runde Jubiläum diesen Sommer an der Salzach gefeiert werden, mindestens so groß wie Wolfgang Amadeus Mozarts 250. Geburtstag, zu dem in der Saison 2006 sämtliche 22 Opern des Meisters in szenischen Aufführungen aufgeführt wurden. Doch was wird aus den Plänen? Es scheint zur Zeit kaum vorstellbar, dass das Programm unter den Bedingungen einer - wenn auch abgeschwächten - Corona-Quarantäne stattfinden kann. Bislang hat es das Festspiel-Kuratorium vermieden, die Absage offiziell zu verkünden, doch bis Ende Mai soll eine Entscheidung fallen.

Der durch die Corona-Pandemie bedingte Einschnitt wäre riesig, zumal in diesem ganz besonderen Jahr. In ihrer hundertjährigen Geschichte wurden die Festspiele bislang nur zweimal abgesagt: 1924 fehlte Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal schlicht das Geld, und 1944 untersagte der NS-Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels im Zuge der Mobilmachung unter dem Schlagwort eines «totalen Krieges» eine Woche vor Festspielbeginn sämtliche Kulturveranstaltungen. Doch schon 1945 wurden inmitten der europäischen Trümmerlandschaften wieder Festspiele veranstaltet. Das Publikum bestand zu zwei Dritteln aus Armeeangehörigen, «ein Neuanfang noch fern der Normalität», heißt es in der Festspielchronik.

Festspielintendant Markus Hinterhäuser und sein Team hatten zur 100-Jahr-Feier ein erlesenes Programm geplant: Operndiva Anna Netrebko sollte Puccinis «Tosca» singen, Pultstar Teodor Currentzis an der Seite von Regie-Multikünstler Romeo Castellucci Mozarts «Don Giovanni» präsentieren. Mit Joana Mallwitz sollte erstmals eine Dirigentin mit der «Zauberflöte» eine große Opernproduktion im Haus für Mozart herausbringen.

Last but not least wollte sich Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler nach einem Vierteljahrhundert als Grande Dame des weltgrößten Musik- und Theaterfestivals in den Ruhestand verabschieden. Doch zur Zeit scheint eine Normalität fast so fern wie nach Kriegsende, vor allem auf dem besonders gebeutelten Kultursektor.

Zunächst wurden die Salzburger Osterfestspiele, dann die Pfingstfestspiele ersatzlos gestrichen. In Deutschland folgten die Bayreuther Festspiele, die nun wegen einer Erkrankung von Festspielleiterin Katharina Wagner in eine Krise gestürzt sind. Das renommierte Schleswig Holstein Musik Festival wurde ebenso abgesagt wie das Rheingau Musikfestival und die Münchner Opernfestspiele, ganz abgesehen von kleineren Festivals wie den Tiroler Festspielen in Erl bei Kufstein, die schon sehr früh die Reißleine zogen.

«Wir wollen keine Ausnahme haben«, sagte Noch-Präsidentin Rabl-Stadler laut einem Bericht der «Salzburger Nachrichten» kürzlich im ORF. «Entweder dürfen - unter der Priorität der Gesundheit - alle aufsperren oder niemand.» Sie habe jedoch den Verdacht, «dass so ziemlich allen Politikern zweit- bis drittrangig ist, was mit Kunst und Kultur ist», und wünschte sich «mehr Ehrlichkeit», ob Veranstaltungen in Innenräumen möglicherweise erst im nächsten Jahr wieder möglich seien. Derweil kommen viele Künstler, auch der Salzburger Festspiele, an ihre ökonomischen und psychischen Grenzen.

Ein Mitglied der Wiener Philharmoniker, die in Salzburg jeden Sommer als Residenzorchester fungieren, meint frustriert, das Nichtstun und die Perspektivlosigkeit nicht mehr ertragen zu können. Starbariton Matthias Goerne, häufiger Gast in Salzburg, sprach im «Münchner Merkur» von einem «staatlichen Berufsverbot» und kritisierte auch Intendanten, die sich weigerten, Gagen bei abgesagten Vorstellungen zu zahlen. «Es gibt sicher einige, die mit ein oder zwei blauen Augen durch die Krise kommen. Es gibt aber auch unendlich viele, die vor dem Abgrund stehen.»

Auf eine Interviewanfrage der dpa ließ Intendant Markus Hinterhäuser antworten, er wolle sich derzeit nicht äußern und warte auf «mehr Klarheit von Regierungsseite». Fragt sich, ob der als ideenreich und durchaus wagemutig bekannte Festspielchef etwas in der Hinterhand hat. Rabl-Stadler zufolge werden derzeit mögliche Szenarien durchgespielt, etwa eine «großzügigere Bestuhlung» auf dem Domplatz oder in der Kollegienkirche oder ein «ausschließliches Ansetzen von Stücken ohne Pause».

Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie ein coronataugliches Rumpf-Festival mit dem berühmten «Jedermann» auf der Krankenstation - so kann man es in der aktuellen Inszenierung von Michael Sturminger sehen - vor maskiertem Mini-Publikum. Bliebe die Frage, wer auf Seiten des Publikums dann zum Zuge käme.

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