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Schröders Treffen mit Vertretern der schreibenden Zunft setzt sich fort. Im Haus der Festspiele in Berlin traf er sich mit Peter Schneider.
Berlin (ddp-bln). Gerhard Schröder erobert die Bühne sichtlich gut gelaunt. Mit großer Geste spricht der Bundeskanzler "To be or not to be" ins Publikum, bevor er sich lächelnd in seinen Ledersessel neben den Autor Peter Schneider und den Moderator Hans Christoph Buch setzt. Im Haus der Berliner Festspiele treffen sich Schröder und Schneider am Mittwoch zu einem Gespräch, das den vorläufigen Schlusspunkt unter die Veranstaltungsreihe "Schriftsteller treffen Politiker - Anstiftung zu einem Dialog" der Autorenbuchhandlung Berlin setzten soll. Es wird an diesem Abend keinen Schlagabtausch, keine Talkshow und keinen Wahlkampf-Auftritt geben, kündigt Buch an. Es geht vielmehr darum, Verbindendes und Trennendes zwischen Politikern und Autoren herauszufinden.Der Abend beginnt entspannt und amüsant. Schneider liest aus seinem neuen Buch "Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen...", das von der Flucht einer jüdischen Familie vor den Nationalsozialisten in den Untergrund erzählt. Immer wieder brachten sich Helfer in persönliche Gefahr, um die drei Untergetauchten zu retten. Die Hauptfigur des Romans, der Musiker Konrad Latte, sitzt im gut gefüllten Zuschauerraum. Die Geschichte zeigt, "dass es selbst unter so extremen Bedingungen wie der faschistischen Unterdrückung eine Wahl gegeben hat zu helfen", sagt Schneider. Diese hätten allerdings nur wenige getroffen. Die Atmosphäre auf der schlichten Bühne und im Saal ist locker, bis plötzlich eine junge Frau den Autor lauthals unterbricht, sein Text sei "Mainstream". Nach weiteren Zwischenrufen setzen Sicherheitskräfte die Störerin vor die Tür. Während Schneider, Ex-Wortführer der 68er Studentenbewegung, die Situation übergehen will, fordern die Zuschauer eine Reaktion. Sie fällt mit "Das ist Blödsinn" ziemlich dürftig aus.
Schließlich erhält Gerhard Schröder das Wort, der trotz des Tumults seine gute Laune behalten hat. Der Kanzler verrät, dass er bei den 68er Studentenprotesten gern dabei gewesen wäre. Trotz ihrer Fehler habe die Bewegung die Gesellschaft insgesamt positiv verändert, findet er. Ein Teil der Offenheit und Toleranz der heutigen Gesellschaft hat seiner Ansicht nach ihre Wurzeln in jenen Jahren. "Es war die Zeit, wo man hätte Revolutionär werden sollen. Bei mir hat es nur zur SPD gereicht", fügt er mit einem Grinsen hinzu. Er sei eben keiner der großen Heroen gewesen, habe vielmehr das Privileg des Studierens genossen und auch mal "bis 12.00 Uhr gepennt".
Der Regierungschef plaudert selbstironisch über seinen Umweg zu Literatur und Malerei. Er sei ohne Bücher und Bilder groß geworden und habe sich den Zugang zur Kunst erarbeiten müssen: Von Westernheften, die er als Kind durchstöberte, zu Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür", das Schröder heute sehr schätzt. Der Kanzler sucht inzwischen die Gespräche mit Schriftstellern. Sie haben für ihn etwas Befriedigendes, sagt er. Jüngst hatte er ein gutes Dutzend Autoren, darunter Günter Grass und Christa Wolf, ins Kanzleramt geladen, um über die Militäreinsätze in Afghanistan zu sprechen. Aus Kritik, die im persönlichen Gespräch vorgebracht werde zu lernen, sei ihm schließlich lieber, als "Artikel serviert zu bekommen", begründet Schröder sein Engagement. Privat findet der Polit-Profi allerdings nur an Sonntagen Zeit für Literatur und Kunst, wenn er ein bis zwei Stunden Bücher lesen oder in Kunstkatalogen blättern kann. Sein Beruf "frisst" die Person Gerhard Schröder auf.
Dennoch scheint er gern Politiker zu sein. Er ist es geworden, weil er ehrgeizig ist und Spaß daran hat, Dinge zu verändern und sich durchzusetzen, sagt der Regierungschef. Es sei eine Kunst, nicht die Orientierung zu verlieren, wenn die Dinge nur im Schneckentempo vorangehen. Angesprochen auf die aktuelle Außenpolitik der USA reagiert der eben noch privat gewordene Staatsmann wieder zurückhaltend-souverän, lässt sich nicht auf hypothetische Fragestellungen ein. Es gehe um Bündnispolitik und eine internationale Koalition gegen den Terror. Er erntet kritische
Zwischenrufe einzelner Zuschauer. Am Ende bleibt nicht allzuviel vom
fröhlichen Auftakt des Abends übrig. Politische Streitthemen haben
die Kunst in den Hintergrund gedrängt.
Sintje Sander