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Trauriges Ende: Berliner Symphoniker stellen Insolvenzantrag

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(nmz) Soviel zur aktuellen Sehnsucht nach amerikanischen Kultur-Verhältnissen im Schröder-Westerwelle-Neo-Liberalismus: Die Privatwirtschaft interessiert sich finanziell nicht ausreichend für symphonische Musik. Deshalb geben die Berliner Symphoniker auf und geben ein allerletztes Konzert. (Bitterer Beigeschmack: Auf dem Konzertplan steht Dvoràks Symphonie Nr. 9 "Aus der Neuen Welt"!)

Die zahlungsunfähigen Berliner Symphoniker müssen zum Konkursrichter. Die Rettung des Orchesters auf privatwirtschaftlicher Basis sei am mangelnden Interesse von Sponsoren gescheitert, sagte der Insolvenzverwalter Christian Köhler-Ma auf einer Betriebsversammlung. Der Senat hatte den 55 Musikern im vergangenen Jahr die Zuschüsse in Höhe von drei Millionen Euro pro Spielzeit gestrichen. Am Sonntag findet in der Philharmonie das letzte Konzert des besonders im pädagogischen Bereich besonders wirksamen Orchesters statt. Kürzlich hatte der Verband der deutschen Kritiker e.V. seinen Preis 2005 in der Kategorie Musik noch an die Berliner Symphoniker vergeben.

Ein wenig Historie: Ewiger Existenzkampf
Kurz nach dem Fall der Mauer lud das Berliner Sinfonie-Orchester (BSO) die Bürger aus dem Westteil der Stadt zu einem Sonderkonzert ein. Es wiederholte damit, was zuvor die Berliner Philharmoniker für die Ostberliner getan hatten. Unter den Besuchern dieses denkwürdigen Musikereignisses im Westen waren auch ehemalige Musiker des Berliner Symphonischen Orchesters, das sich später in Berliner Symphoniker umbenannte. Die Namensähnlichkeit kam damals nicht von ungefähr: Die Symphoniker entstanden nach 1961, als Folge des Mauerbaus. Denn in den Reihen des BSO spielten auch Musiker aus dem Westteil der Stadt. Diese brauchten nach der Teilung eine neue Beschäftigung.

Nach der wieder gewonnenen Einheit gab es Irritationen sowohl für das BSO als auch für die Symphoniker. Politiker wollten nacheinander beide abschaffen: zuerst das BSO, aber Musiker und Publikum spielten da nicht mit. Schließlich hatte dieses Orchester zu DDR-Zeiten rund 16 000 Abonnenten, zwischendurch waren es es 17 000. Insgesamt konnte das BSO auf gut 100 000 Besucher bei rund 80 Konzerten pro Saison verweisen. Dann sollten die Symphoniker dran glauben. Dagegen lehnte sich damals ein Riesenorchester mit einem Protestkonzert auf: Es spielten Mitglieder des BSO gemeinsam mit anderen Orchestermusikern vor der Berliner Senatskulturverwaltung. Schon 1997 wurde wegen der chronischen Berliner Sparzwänge sogar öffentlich darüber nachgedacht, BSO und Orchester der Komischen Oper zu fusionieren.

Dann feierte, damals noch hoffnungsvoll, das BSO mit einem Festkonzert und mit einem Tag der offenen Tür im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, seinem Stammsitz, sein 50-jähriges Bestehen. Ob in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien, Großbritannien, mehrfach in Japan und auch in den USA - überall hat das BSO viel Lob eingeheimst.

Dabei war das BSO nie. sonderlich "uraufführungswütig". Dafür sind viele Werke von Substanz produziert worden, darunter Kompositionen von Ruth Zechlin, Günter Kochan ("Die Asche von Birkenau"), Siegfried Matthus. Schon Hildebrandt hatte Paul Dessaus wichtiges "In memoriam Bertolt Brecht" aus der Taufe gehoben. Ein Klangkörper mit Tradition, viel eigenem Charakter und bester Musik-Vermittlungsqualität - ein künstlerisch vitaler, materiell hilfsbedürftiger Kulturträger ist wegrationalisiert.
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