Wer das Musikleben „von oben“ betrachtet, und das ist überwiegend die Perspektive der Medien, kann beeindruckt sein: Wohin man sieht Spitzenleistungen, Spitzenorchester, Mega-Events. Wer aber „von unten“, unmittelbar vor Ort auf das Musikleben blickt, kann nicht übersehen, dass es an der Basis zunehmend bröckelt, denn der Musik in Deutschland ist es in den 90er-Jahren auf verschiedenen Ebenen an die Substanz gegangen. Da knappere Haushalte zum Sparen zwangen, haben Bund, Länder und Kommunen ihr finanzielles Engagement zurückgenommen: Musikschulen, Orchester, Opernhäuser, aber auch freie Kulturinitiativen haben es zu spüren bekommen.
Eröffnungsvortrag Wer das Musikleben „von oben“ betrachtet, und das ist überwiegend die Perspektive der Medien, kann beeindruckt sein: Wohin man sieht Spitzenleistungen, Spitzenorchester, Mega-Events. Wer aber „von unten“, unmittelbar vor Ort auf das Musikleben blickt, kann nicht übersehen, dass es an der Basis zunehmend bröckelt, denn der Musik in Deutschland ist es in den 90er-Jahren auf verschiedenen Ebenen an die Substanz gegangen. Da knappere Haushalte zum Sparen zwangen, haben Bund, Länder und Kommunen ihr finanzielles Engagement zurückgenommen: Musikschulen, Orchester, Opernhäuser, aber auch freie Kulturinitiativen haben es zu spüren bekommen. Einige wenige Beispiele zum Beleg: Der schulische Musikunterricht wurde nicht, wie seit langem allerorten gefordert, auf zwei Wochenstunden angehoben, sondern punktuell ausgedünnt, auf bestimmten Schul- oder Altersstufen deutlich reduziert, zum Teil findet er überhaupt nicht statt! Die Musikschule Hannover müsste – in Relation zur Größe der Stadt – für mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche Ausbildungskapazität bereitstellen, tatsächlich sind es nach drastischen Einsparungen in den 90er-Jahren heute lediglich 2.500 Schüler, die hier musikalische Anregungen erfahren. Auch die Kirchen stellen, aus bekannten finanziellen Gründen, weniger Musiker ein, worunter die Arbeit mit Kinder- und Jugendchören, Bläsergruppen, insbesondere auf dem Lande, leidet. Zudem hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk, nach dem Kriege einer der wichtigsten Musikförderer im Lande, aus dieser Rolle mehr und mehr zurückziehen müssen. Und zu guter Letzt ist die Privatwirtschaft, sind Kultursponsoren nicht in erwartetem Maße in die Lücken gesprungen, die sich durch Kürzungen bei staatlicher und kommunaler Finanzierung aufgetan haben. Private Investoren, Unternehmer und Konzerne sind – verständlicherweise – an spektakulären Ereignissen, an Stars und Events interessiert, weniger an musikalischer Grundversorgung in Wunstorf oder Goslar.Mit „von unten“ ist hier nun jedoch zweierlei gemeint: einmal die Lebendigkeit und Reichhaltigkeit des Musiklebens abseits der großen Kulturzent-ren und zum zweiten die entwicklungspsychologische Perspektive, also insbesondere das Angebot musikalischer Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche.
Grundversorgung
Zunächst zum ersten Aspekt, der musikalischen Grundversorgung außerhalb der Großstädte, oder genauer, abseits der repräsentativen Hochkultur in Berlin, München, aber auch in Bayreuth. Im Vergleich mit anderen Ländern ist in Deutschland das Musikleben in der Provinz mit Abstand am vielseitigsten, jedoch mit deutlich rückläufiger Tendenz. Erhebungen des Landesmusikrates Niedersachsen zeigen, dass es vor allem ehrenamtlich Tätige sind, die als Motor eines solchen Musiklebens aktiv sind. Wenn Schulen und Musikschulen ihren Bildungsauftrag mittlerweile nur noch bedingt erfüllen können, dann wird sich dieser Mangel in der nächsten Generation auch als Fehlen dieser engagierten Vermittler von Musik vor Ort bemerkbar machen, dann wird man vergeblich nach musikalisch neugierigen Schülern, nach kompetenten Musiklehrern und nach entsprechenden Publika suchen. Der Kontrast zwischen der Vielzahl derjenigen, die sich an der Basis ehrenamtlich für Musik engagieren und den fünf- oder sogar sechsstelligen Spitzenkonzerthonoraren macht deutlich, wie sehr sich das „Unten“ und „Oben“ auseinander entwickelt haben.
Die gelegentlich aufflammende Diskussion um die Opernhäuser außerhalb der Metropolen verrät, wie kurzsichtig bisweilen argumentiert wird. Es wird dabei übersehen, dass auch kleine Opernhäuser – etwa in Hildesheim, Detmold oder Hof – wichtige Funktionen haben: Zunächst einmal ermöglichen sie einer Vielzahl von Menschen durch ihre Musiktheater- und Konzertaufführungen das durch keine Konserve zu ersetzende persönliche Erleben von Musikereignissen, zum anderen wirken die Musikerinnen und Musiker vielfältig in die Region: sie unterrichten, sie konzertieren solis- tisch und in kleinen Besetzungen, sie begleiten, unterstützen Laienchöre und -ensembles, in Schulen, in Kirchen. Würden diese Musiker in der Region fehlen, könnten dort etliche Instrumente gar nicht mehr unterrichtet werden, eine Entwicklung, die nicht ohne weiteres rückgängig zu machen ist. Wenn man auf dem Lande zunächst Musikschulen herunterspart oder gar schließt und als nächstes Opernhäuser und Orchester, dann ist musikalische Wüste vorprogrammiert!
Wer sich solchen Argumenten nicht anschließen mag, den sollte zumindest die Erkenntnis des Bundesinnenminis-ters Otto Schily nachdenklich machen, der sich etwa im Deutschen Bundestag dazu äußerte: „Wer in der Erziehung (...) die musische Bildung vernachlässigt, muss sich nicht wundern, wenn kaltherzige, brutale Charaktere dabei herauskommen“. Unsere Gesellschaft kann es sich schlechterdings nicht leisten, auf die integrierende Kraft musikalischer Gruppenaktivitäten zu verzichten.
Kultur wächst von unten, bedarf in jeder Generation des Nachwuchses, der an die reichhaltigste Musikkultur, die Menschen je genießen durften, herangeführt wird. Wenn man nicht eines Tages sagen können soll, dass jemand kulturell bestraft sei, weil er in Hildesheim, Detmold oder Hof geboren sei, dann darf sich eine solche Förderung nicht auf (Groß-)Städte beschränken.
Anregungsmöglichkeiten
Ich komme zum zweiten Aspekt, dem Angebot musikalischer Anregungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche und da stellt sich für mich – aus der Perspektive eines über Jahrzehnte empirisch forschenden Musikpsychologen – die Frage: Wie entwickeln Kinder und Jugendliche die Fähigkeit, Musik erleben zu können? Es zählt zu den markantesten jugendkulturellen Phänomenen des 20. Jahrhunderts, dass ein Großteil der Jugendlichen sich zeitweilig sehr intensiv der Musik zuwendet, überwiegend rezeptiv, zu einem nicht unerheblichen Teil jedoch auch aktiv musizierend. Vor allem für die Zeit ab der Jahrhundertmitte, also der Entstehung des Rock’n’Roll, ist dies augenfällig und unstrittig.
Diese Zuwendung zur Musik hat zwar auch einen musikalischen Aspekt, ist aber vor allem im Kontext der allgemeinen Sozialisation der Jugendlichen zu interpretieren. Ablösung vom Elternhaus, Entwicklung von Identität, Orientierung an den so genannten Peers (den Gleichaltrigen) sowie ein Hineinwachsen in neue kulturelle Szenen (oft zeitlich befristet), das sind Prozesse, die in der jugendsoziologischen, aber auch musikpädagogischen Literatur häufig genug beschrieben sind.
Auch wenn es sich hier um ausgesprochen dynamische Aspekte der allgemeinen Sozialisation handelt, sind die Erfahrungen mit Musik für die Jugendlichen zentral, intensiv und – wie das nun mal mit den lustvollen Erfahrungen im Umfeld der Pubertät ist – oft lebenslang prägend. Erlauben Sie mir, Ihnen zu dieser Thematik vier ausgewählte Aspekte und eine Schlussfolgerung zu skizzieren:
Akzeleration
Akzeleration heißt Beschleunigung, in der Entwicklungspsychologie spricht man von säkularer Akzeleration: Als man erstmals Daten über mehr als ein Jahrhundert miteinander verglich, stellte man eine Beschleunigung der Entwicklung fest, die sich unter anderem im Größenwachstum, im Beginn der Pubertät manifestierte. Davon wird natürlich auch die kulturelle, speziell die musikalische Entwicklung beeinflusst. Bis in die 90er-Jahre galt in der Forschung zum Musikgeschmack die Zeit vor der Pubertät, konkret die Zeit bis zum 10./11. Lebensjahr, als eine Zeit der vorpubertären Toleranz, als Phase der musikalischen „open-earedness“, in der die Gleichaltrigen, die Medien das musikalische Verhalten noch nicht außensteuernd beeinflussen. Im Rahmen einer Längsschnittstudie zur Entwicklung des Musikerlebens bei Jugendlichen, die 1991 mit Elfjährigen begann, musste ich die verblüffende Erfahrung machen, dass Elfjährige bereits sehr dezidierte und differenzierte Vorstellungen davon hatten, welche Musik sie mögen und welche nicht. Dramatische Veränderungen in der Struktur des Musikverhaltens im Verlauf der insgesamt neunjährigen Längsschnittbeobachtung (die 150 Kinder wurden bis zur Erreichung des 20. Lebensjahres befragt), konnten nicht festgestsellt werden, Elfjährige sind – was den Musikgeschmack betrifft – erstaunlich fertig. Die entscheidenden prägenden Erfahrungen sind also heute, stärker als in der Vergangenheit, bereits in der Kindheit zu suchen.
Intensität des Musikerlebens
Musikerleben lässt sich – in Grenzen – verbalisieren, etwa durch Aussagen wie: „Wenn ich Musik höre, macht es mir nichts aus, etwas ganz anderes zu machen“ oder: „Wenn ich Musik höre, kann es sein, dass es mir den Rücken herunterläuft.“ Sammelt man auf diesem (hier vereinfacht dargestellten) Wege Daten zum Musikerleben, erlauben sie Rückschlüsse über die Intensität des Musikgenusses: Wer der zweiten Aussage zustimmt, nicht aber der ers-ten, wird Musik stärker erleben als im umgekehrten Fall, die Musik „macht dann nichts mehr aus“. Es gibt nun derartige Daten über die Entwicklung des Musikerlebens in den 80er- sowie in den 90er-Jahren, die sich in einem Punkt fundamental unterscheiden:
In den 80er-Jahren zeigte sich für das zweite Lebensjahrzehnt eine Tendenz der allmählichen Intensivierung des Musikerlebens, während das so genannte diffuse Hören in seiner Bedeutung eher zurückging. Bei den in den 90er-Jahren gesammelten Daten zeigte sich jedoch exakt der entgegengesetzte Trend: Diffuses Hören verstärkte sich während des zweiten Lebensjahrzehnts, während bestimmte Aspekte eines von Zuwendung zur Musik geprägten Musikerlebens sich rückläufig entwickelten. Zugleich zeigte sich in einem ganz anderen Kontext, dass Wirkungen von Musik in den 90er-Jahren seltener zu beobachten waren als zuvor. Diese hier sehr gerafft dargestellten Befunde haben mich zu der These veranlasst, dass – vor allem durch die allgegenwärtige Präsenz von Musik – die Intensität der Zuwendung zur Musik bei Jugendlichen sich seit den 90er-Jahren generell verringert hat.
Verstummte Sänger
Es ist so bekannt wie oft beklagt, dass Singen im Elternhaus, im Kindergarten sowie in der Schule ein erschreckend seltenes Ereignis geworden ist. Dieses zu erklären kann man Kirche und Kaiser, Faschismus und Kommunismus bemühen, mir scheint es jedoch wichtiger, zu fragen: Muss das so sein? Kann man das ändern?
Dass die jungen Stimmen so oft stumm bleiben, ihnen das Lied geradezu im Halse stecken bleibt, ist deshalb so unbegreiflich, weil die Motivation zum Singen bei Kindern und Jugendlichen durchaus vorhanden ist und die von den meisten geschätzte Musik – im Popbereich – in aller Regel Vokalmusik ist. Ich halte es deshalb für unabdingbar, dass wir uns um neue Ansätze bemühen, die Lust zum Singen früh zu vermitteln, weil es meine feste Überzeugung ist, dass sich die emotionale Kompetenz eines – stimmlos – Heranwachsenden nicht voll entfalten kann.
Musikalische Defizite
Die einzelnen Befunde sind hinlänglich bekannt und beklagt, aber vielleicht in ihrem aufsummierten Gefahrenpotenzial noch nicht benannt und erkannt: Die fehlende oder doch rudimentäre musikalische Ausbildung von Erziehern/-innen (mit der Folge gesangsfreier Kindergärten), der im Primarbereich besonders dramatische Unterrichtsausfall im Fach Musik sowie der Rückgang musikalischer Aktivitäten in der Familie führen mit großer Zwangsläufigkeit zu einem musikalischen Anregungsdefizit (im Vergleich mit der Situation vor 20 oder 30 Jahren), dem nur eines gegenüber steht: eine zunehmende Prägung durch die Musikprogramme der privaten Anbieter. Zuzuhören, konzent- riert zu hören, lernt man nicht durch ein Medium, das als Hintergrund-, als Begleitmedium konzipiert ist. Wenn es ein solches, hier nur knapp skizziertes, in der Kürze vielleicht auch ein wenig überzeichnetes Anregungsdefizit bei den Fünf- bis Zehnjährigen im Bereich der Musik gibt, wir aber zugleich konstatieren müssen, dass eine musikalische Akzeleration stattgefunden hat, die uns zwingt darüber nachzudenken, Kinder früher als bisher musikalisch zu fördern, dann wird unübersehbar: Es gibt seit einigen Jahren für die Zeit zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr offensichtlich eine musikalische Ausbildungs- und Zuwendungskluft, die den Kindern Anregungen zum richtigen Zeitpunkt vorenthält, Anregungen, die später gar nicht oder nur bedingt zu vermitteln sind.
Lösungsansätze
1. Primärerfahrungen:
In der musikalischen Sozialisation der Kinder des 21. Jahrhunderts sollte es ein Primat der Primärerfahrungen geben. Was sind musikalische Primärerfahrungen? Frühprogramme des amerikanischen Musikpädagogen Edwin Gordon, aber auch Programme der Musikschulen gehen bereits in diese Richtung. Wir wissen heute, dass frühe Erfahrungen mit Musik, wobei der Umgang mit der Stimme im Vordergrund stehen sollte, in ihren positiven Auswirkungen für die spätere Entwicklung kaum zu überschätzen sind.
2. Eigene Vokale und instrumentale Erfahrungen:
Singen und Musizieren kann mit sehr lustvollen Verursachungserlebnissen verbunden sein, wenn die Literatur richtig ausgewählt wird. Wenn altersangemessen unterrichtet wird, könnten wesentlich mehr Kinder die Erfahrung machen, dass sie mit Stimme, Mund und Händen akustisch verursachend, gestaltend wirken können. Die mittlerweile mehrfach untersuchten und in letzter Zeit besonders heftig diskutierten positiven Auswirkungen eigener instrumentaler Aktivitäten will ich an dieser Stelle nur erwähnen. Auf einen sonst in diesem Zusammenhang noch nicht erwähnten Aspekt will ich besonders hinweisen: Viele Musiker und Musikliebhaber haben die Erfahrung gemacht, dass es – in Kindheit oder Jugend -– so etwas gibt wie das Überwältigtwerden durch eigene musizierende Erfolge (auch bescheidenster Art!). Wem dürfen wir das vorenthalten?
3. Live-Konzerte:
Konzertdarbietungen sind nicht grundsätzlich besser als Tonkonserven, aber anders insofern, als dass das Live-Erlebnis Qualitäten aufweist (Aura, Unmittelbarkeit, Sinnlichkeit), die bereits oft diskutiert wurden. Wer musikalisch überzeugen will, sollte sich nicht zu sehr auf seine optimal und perfekt produzierten CDs verlassen, sondern die Menschen aufsuchen, die er für sich beziehungsweise seine Musik gewinnen will. Deshalb müsste es für die Kinder im 21. Jahrhundert eine Invasion der Musiker in die Kindergärten, Schulen und Jugendzentren geben.
4. Tanz:
Tanz, sei er real oder imaginiert, ist die sinnliche Oberfläche der Musik und zugleich ihr Kern. Die meiste Musik kann als Tanzmusik gedacht werden, kann durch Tanz mit Bewegungsvorstellungen ergänzt werden, die die Musik später dynamisch bereichern. Man muss ja nicht alles zertanzen, aber wer nie die Erfahrung gemacht hat, dass beispielsweise die Bach’schen Suiten Tanzmusik sind, für den wäre ein kulturelles Defizit zu beklagen.
Konzerte für Kinder
Medienbezogener Umgang mit Musik ist nicht per se negativ zu bewerten, man könnte an dieser Stelle durchaus eine Positivliste formulieren, wie die Medien das Musikleben des letzten Jahrhunderts bereichert haben. Aber die hier angesprochenen spezifischen musikalischen Erfahrungen sind über Medien nur bedingt beziehungsweise gar nicht vermittelbar, deshalb müssen wir darauf hinwirken, dass die Kinder des 21. Jahrhunderts im Elternhaus, im Kindergarten sowie in den Schulen Gelegenheit bekommen, solche musikalischen Primärerfahrungen zu sammeln.
Wir müssen uns zunächst bewusst sein, dass das uns vertraute Publikumsverhalten bei Konzerten der Hochkultur keine Selbstverständlichkeit ist, kein Ritual, das sich gewissermaßen von selbst einstellt. Es ist vielmehr eine außoergewöhnliche Konzentrations-leistung, die voraussetzt, dass wir die Kunst des Zuhörens beherrschen. Wenn aber das Radio in den 80er-Jahren zu einem Begleitmedium („Dudelfunk“) geworden ist und im Fernsehen der 90er-Jahre das Zappen zwischen denkbar disparaten Medieninhalten zunehmend normal geworden ist, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass die Kinder des 21. Jahrhunderts noch größere Schwierigkeiten beim konzentrierten Zuhören haben als schon die Generation ihrer Eltern.
Die Flut von relevanten und nicht-relevanten Informationen, mit denen wir alltäglich konfrontiert werden, zwingt uns, etwas zu tun, was wir einer verbreiteten Redensweise zufolge nicht können: die Ohren zu verschließen. Während meine Generation noch relativ medienabstinent aufgewachsen ist, werden die Kinder des 21. Jahrhunderts mit einem fröhlichen, lauten Medienspektakel konfrontiert, das nur einem Ziele dient, die jeweils eigene Einschaltquote, den eigenen Umsatz zu befördern.
Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb Kinder Schwierigkeiten in klassischen Konzerten haben könnten. Musik ist in vielen Fällen ein emotionales Ereignis, bisweilen ein hochdramatischer Akt. Es ist die Intention der Musiker, im Publikum etwas auszulösen, Betroffenheit, Bewusstheit zu bewirken. Emotionales Ergriffensein verlangt jedoch Abfuhr, Abfuhr über Bewegungen. Es ist dieser Kontrast zwischen innerer Bewegungsdynamik und äußerer Bewegungslosigkeit, der Kindern begreiflicherweise Schwierigkeiten macht, ein Kontrast, der für die eingefleischten Musikliebhaber wiederum einen eigenen Reiz bildet. Man sollte nun aber nicht daran gehen, Kinder auf bewegungsloses Musikhören zu dressieren, vielmehr sollte man alles daran setzen, dass Kinder lustvolle Erfahrungen mit Musik machen, und das wird man sicherlich über die oben genannten Primärerfahrungen am ehesten erreichen.
Kinderkonzerte könnten Schlüsselerlebnisse, könnten Primärerfahrungen sein, das weiß man aus Gesprächen mit so manchem Musikliebhaber. Patentrezepte, wie man „neue Wege für junge Ohren“ bahnen könnte, vermag ich nicht zu geben, dafür gibt es die Experten, die sich anlässlich dieses Kongresses versammelt haben. Aber ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass Kinderkonzerte anders klingen – und anders aussehen (!) – müssen als Konzerte für Erwachsene, dass man „von unten“ (bei den Kindern) anfangen muss, wenn man „oben“ (bei den Erwachsenen) etwas erreichen will und dass Kinderkonzerte deshalb eigentlich zu den wichtigs-ten Sachen auf der Welt zählen, nichts anderes meint „Hauptsache: Musik“!