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Der Jazz im Untersuchungsraum: Hochrisikopatient oder Fit for Future? Foto/Montage: Martin Hufner
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Antwort auf Karl Karst: WDR 3 Jazz & World: Zum Interview in nmz 6/2019, S. 21

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Nachschlag 2019/07
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„(…) es geht darum, den Jazz zukunftsfähig aufzustellen und ihn nicht immer mehr in die Nische wandern zu lassen.“ (Karl Karst, Programmchef WDR 3)
Ein solcher Satz ginge in Management-Seminaren durch wie Butter – der Adressat aber bedarf solcher Fürsorge nicht. Der Adressat ist der Jazz (als Musik), und nicht mal Jazzkritiker wüssten seine Zukunft zu prophezeien. Sie sind vollauf damit beschäftigt, die Gegenwart der Musik in den Griff zu kriegen. Und nur denjenigen unter ihnen, die einer vulgär-marxistischen Widerspiegelungstheorie anhängen, fielen Gründe ein, warum die Jazzmusik anno ’19 einen derart tropischen Baum darstellt.

Fürsorge à la Karst gehört nicht zu ihren Wachstumshormonen. Seine „Nischen“-Diagnose war auch bei seinem Amtsantritt vor 20 Jahren schon gültig, auch allen seinen Vorgängern war sie wohlvertraut.

Welches Referenzrähmchen man auch wählt (die Zahl der verkauften Tonträger, den Streaming-Umfang, die Massen, die in die Jazz-Stadien strömen) – Jazz ist eine Nische. War eine Nische. Und wird sie nie verlassen. (Dafür gibt es Gründe. Man kann sie benennen.)

Für ein „immer mehr in die Nische Wandern“, für eine zunehmende Marginalisierung des Jazz aber gibt es keinen empirischen Beleg.

Fürsorge à la Karst hingegen bedeutet das Abschaffen eines Genreplatzes (den zu pflegen bis dato Ausdruck des Bildungsauftrages war) und sein Verstecken in einer neuen Nische (mit World und Elektro-Pop).

Dass die ästhetischen Schnittmengen dort klein sind, dass es keine Journalisten/-innen gibt, die sie gleichermaßen beurteilen können (und nicht nur aus den Neuerscheinungen fischen), muss ein Wellenchef nicht wissen. Wohl aber müsste er begründen, warum er denen, die immer schon heimisch auf WDR 3 waren (Jazz & World), die Darstellungsfläche und damit den Chronistenplatz raubt.
Und – die andere Nische „Neue Musik“ ungeschoren lässt! Die Kollegen dort können weiterhin „monothematisch schreiben“, was sie wollen. Sie müssen nicht „die Ansprache so (…) ändern, dass sich mehr Menschen (…) angesprochen fühlen“ (Karst in der nmz). Mit anderen Worten, sie dürfen nach wie vor mit bestem Wissen und Können dem Bildungsauftrag nachgehen. Sie müssen sich zudem nicht von einer Nachwuchsredakteurin öffentlich verhöhnen lassen, ihre „Moderation (…) war nicht sehr nah dran an dem, was Moderatoren heute leisten können und sollten“ (Tinka Koch in SWR2).

Der neue Leistungsstandard gibt sich ab dem 1. April 2019 fünfmal die Woche auf WDR 3 zu erkennen. Er besticht durch Elemente, die bis zum Vortag als handwerkliche Mängel galten.

Die neue Arbeitsteilung in Musikauswählende und Präsentatoren führt zu Informationsvermeidung. Die Moderation weiß wenig von Musik; kein Hype wird ausgelassen, alle Musiker sind gut, alle sind Grenzüberschreiter und schräg, alle spielen voraussetzungs- und referenzlos ihre – durchaus auch tolle – Musik.

Wer was weiß von Jazz oder World, steht meist mühelos über den Moderator/-innen. Zwei kommen über private Äußerungen nicht hinaus; ihnen fehlt jede Vorstellung davon, wie man ein Radio-Publikum anspricht. Dafür duzen sie uns („kommt gut durch die Nacht“) und geizen nicht mit abstrusen Bewertungen („das ist Musik gegen Faschismus“).

Diese Show eignete sich gut für eine Hotellobby, wo die Gäste spätabends Abwechslung erwarten vom DJ, aber keine Information zur Musik.

Ok, man kann die Sendungen jetzt sieben Tage nachhören. Playlists nach dem neuen Muster aber hätte man uns vor dem 31. März zurückgeschickt. Viele Kolleg/-innen, die „monothematisch“ gearbeitet haben (was, wie der Wellenchef hätte hören können, auch große Breite hatte), suchen jetzt Musik aus. Sie müssen. Sie können wirtschaftlich nicht anders. Bin ich, wie Karl Karst behauptet, „eingeladen worden, mich an der Neukonzeption zu beteiligen und weiterhin mitzuarbeiten“? Nein.

Eine Redakteurin hat die Stillosigkeit eingeräumt, mit der das Haus (dem ich viel verdanke) mir nach 46 Jahren gekündigt hat. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es mich 2015 mit einem Preis für mein journalistisches Lebenswerk ausgezeichnet hat.

Ich kann nur, ich will nur „monothematisch“ arbeiten, wie das verächtlich im Neusprech heißt. Das geht wunderbar bei SWR2 und NDR Info. Wo man Musik­journalismus schätzt. Wo „monothematisch“ kein Codewort ist, um Musikjournalismus abzuschaffen.

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