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Instrumentenbau: einfache Mittel, große Wirkung. Foto: Arthen Kommunikation/dm
Instrumentenbau: einfache Mittel, große Wirkung. Foto: Arthen Kommunikation/dm
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Beobachtungen eines Lehrers zur Aktion „ZukunftsMusiker“ der Drogeriemarktkette „dm“

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In Deutschland wird viel und gerne gejammert: über den Verfall der Kultur und den Mangel an privater Initiative, den Rückzug der öffentlichen Hand und vieles mehr. Dem stellte sich in diesem Jahr Götz Werner mit der Initiative „ZukunftsMusiker“ entgegen. Über seine Drogeriemarktkette „dm“ brachte er Musiklehrer und Kinder im Grundschulalter zusammen. Musikalische Erstkontakte sollten geknüpft werden. Werners Ausgangspunkt waren ganz private Betrachtungen. Seine eigenen Kinder musizieren, und ihn faszinierte die Kombination aus gleichzeitiger Sammlung und gespreizter Wahrnehmung. Ein Erleben, das er in die Breite der Gesellschaft tragen wollte.

Zu diesem Zweck warb „dm“ 400 Musikpädagogen an, zur Hälfte über die Filialen, die anderen über Kontakte mit dem Verband deutscher Musikschulen (VdM). Insgesamt 1.600 Kinder erhielten auf diesem Weg einen sechswöchigen Schnupperkurs in Gesang oder auf einem Instrument. Die Zuordnung von Kindern, Lehrern und Wunschinstrument war nicht immer einfach und führte gerade in der Anfangsphase der Initiative zu langen und wiederholten Telefonaten. Das „Sponsoring“ der Orchesterinstrumente übernahm Yamaha, die Bereitstellung oblag den Händlern. Sie trugen das unternehmerische Risiko, da sie die Instrumente Yamaha ganz normal abnehmen mussten, und spekulierten auf einen Verkauf am Ende des Kurses.

Weitere Module des Projektes waren Instrumentenbaukurse in den Filialen und das Klingende Mobil des Klingenden Museums Berlin. Insgesamt waren 12.000 Kinder Nutznießer der Aktion. Auch der eine oder andere Marketinggag war mit im Programm: Ein Rekordversuch mit 200 Ensembles. Am 6. Mai um 11 Uhr ertönte der erste Tusch vor den „dm“-Märkten. Die Durchführung und Organisation der Schnupperkurse lag weitestgehend bei den Lehrern, von „dm“ als „Musikbotschafter“ betitelt. In Wohnzimmern, Proberäumen, nachmittags in Schulräumen oder in einer Kindertagesstätte erhielten die Kinder die ersten Stunden. Stolze kleine Menschen mit nagelneuen Instrumenten kamen zur Tür hinein. Gemeinsam auspacken, zusammenbauen und der Klarinette die ersten Töne entlocken, das hatte im besten Sinne etwas von Weihnachten – spannend, ein wenig feierlich und sehr neugierig. Die Form des Unterrichts war freigestellt. Eine Mischung aus Gruppen- und Einzelunterricht wurde gewünscht, die Bedeutung des Miteinanders beim Musizieren sollte auf jeden Fall deutlich werden.

Erst einmal mit einem Ton rhythmisch arbeiten, ohne Noten nur nach dem Gehör spielen und eben: zusammen. Da die Schnupperkurse in die WM-Zeit fielen, gab es bald ein von den Kindern formuliertes Ziel: die Nationalhymne spielen können! Für Ballack und Poldi feurig intoniert, eine ganz neue Erfahrung.

Auch die Instrumentenbau-Workshops in den „dm“-Filialen liefen gut. Ein paar Töne auf der Panflöte aus Isolationsrohr oder einer Oboe mit Strohhalmmundrohr locken schon die ersten neugierigen Kinder an. „Wie geht das? Darf ich auch mal?“ Die Aktion läuft fast immer lehrbuchartig ab: Vormachen weckt Interesse, das Nachmachen bringt Spaß: Mädchen sägen zum ersten Mal, coole Jungen checken fachmännisch das Werkzeug. „Mein Papa hat auch so einen Bohrer!“ Die Mütter absolvieren in der Zeit den Einkauf und sind meistens perplex, wie simpel Materialien und Herstellung sind. Das Spielen mit dem Garnröllchen ist leider schon lange aus der Mode.

Bedauerlicherweise haben gerade die Eltern und Kinder der bildungsfernen Schichten das Angebot nur wenig wahrgenommen. Bildungsferne beinhaltet eben auch die Unfähigkeit, Chancen zu erkennen, und fordert wohl auch andere Konzepte der Ansprache als Flyer und Plakate. Was bei Handys und Payback geht, funktioniert offensichtlich nicht bei Kultur.

Auch wenn die Auswertung der Initiative noch läuft, haben zumeist Kinder aus mittelständischen Haushalten die Schnupperkurse als Entscheidungshilfe bei der Instrumentenwahl genutzt. Von den vier Kindern, die dem Autor zugeteilt wurden, stammte eines aus einer Musikerfamilie, zwei spielten bereits ein Instrument, und das vierte absolvierte gleichzeitig noch ein Instrumentenkarussell in der örtlichen Musikschule.

Diese Beobachtungen treffen sich leider mit der aktuellen Diskussion um den Ausstieg des Prekariats aus der Gesellschaft. Zurzeit wird bei „dm“ darüber nachgedacht, wie die Chancenblinden erreicht werden können. Bisher hat sich das Unternehmen bewusst die Werbung an Schulen versagt, aber vielleicht gibt es Wege, an sozialen Brennpunkten präsent zu werden, ohne gleich aggressiv wie Coca Cola zu agieren. – Die Initiative „ZukunftsMusiker“ wäre nicht komplett gewesen ohne die Abschlussveranstaltung am 22. September dieses Jahres. Bis dahin war man noch geneigt, das Projekt als „Kultur auf Seife“ abzutun, Sponsoring ist halt kein Altruismus. Ein Job, der kommt und vorübergeht, und vielleicht bleibt ja ein Schüler hängen. Aber als dann in Baden-Baden Götz Werner auf die Bühne kam und die Geschichte seiner Kinder erzählte, war er einfach überzeugend. Seine Schilderung war ernst und sachlich, aber auf schöne Art verschmitzt und er stolz auf das Geleistete. Der Ton stimmte. Rund und richtungweisend wurde der Abend durch das Spiel junger Spitzenensembles. Die junge Streicherphilharmonie gab eine Carmenbearbeitung zum Besten, musizierte auf eine Weise innig, unschuldig und leidenschaftlich, dass es alten Hasen die Tränen in die Augen trieb. Noch deutlicher und programmatischer konzertierte das Venezuelan Brass Ensemble. Hier saßen junge Musiker aus den Vorstädten und den Slums auf der Bühne. Das ist eine andere Form der Intensität, wenn Kultur ein Überlebensmittel ist, und nicht eine Möglichkeit unter vielen, oder „nur“ eine ausgeübte Begabung. Dieses Ensemble ist quasi die Vision, die ich aus Baden-Baden mitnahm. An dem folgenden Wochenende gab es eine Menge Workshops für die Musikbotschafter. In diesen zweieinhalb Tagen stellte sich eine bei freiberuflichen Einzelkämpfern selten gewordene Empfindung ein: ernst genommen, umsorgt und gebraucht werden, schlicht wichtiger Teil zu sein in einer Initiative, die auf gekonnte Art die Waage hält zwischen kaufmännischen Tugenden und gesellschaftlichem Handeln. Der selbstbewusste Satz: „Warum machen wir das alles? Weil wir es uns leisten können!“, bleibt in guter Erinnerung. Das Zusammentreffen in Ettlingen war sowohl Ausgießen des Geistes als auch Nachdenken über die Fortsetzung.

Alles spricht dafür, dass die Initiative „ZukunftsMusiker“ weitergeht. Uns allen ist klar, Kultur ist und darf kein Luxusgut werden. Jede Kunst ist wesentlich für das Menschsein. Es wäre besser, wenn in der Diskussion über die Notwendigkeit jedweder künstlerischen Ausbildung etwas mehr Selbstbewusstsein herrschte. Ist es nötig, immer nur auf die Synergieeffekte musikalischer Praxis hinzuweisen? Muss Kunst sich in unserer ökonomisch geprägten Zeit ständig rechtfertigen? „Schaut her, es nützt ja was.“ Wer ein Instrument spielt, der kann auch besser rechnen und führt sich in der Gruppe besser auf. Diese Effekte sind gewiss nützlich, aber Musik treiben, ist ein Wert an sich, und der Welt Klänge hinzufügen ist einfach nur schön und menschlich.

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