Die Bundesregierung, die Länder und Kommunen haben in den letzten anderthalb Jahren seit Pandemiebeginn zahlreiche Hilfs- und Unterstützungsangebote für die arg geschundene Kulturbranche auf die Beine gestellt. Vieles davon war immerhin hilfreich, manches war falsch zugeschnitten, alles in allem arteten zahlreiche Hilfsideen leider zugleich zu bürokratische Monstern aus – Kleingedrucktes entwickelte bisweilen verheerende Wirkung. Und so gibt es Fälle von ausgebliebenen Hilfen, die sogar Schäden verlängern, die aus der Zeit der Nazi-Diktatur nachhallen. Und das geht gar nicht.
Musik- und Sprechtheater-Verlage haben zwangsweise unter den ausbleibenden Liveveranstaltungen gelitten. Das ist auch der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aufgefallen und so wollte sie mit der „Richtlinie für die Gewährung von Billigkeitsleistungen zur Milderung von durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 entstandene Härten für Musik- und Sprechtheaterverlage im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ unterstützend helfen kommen. Die Idee ist ohne Frage gut. „Antragsberechtigt sind E-Musik- und Sprechtheaterverlage mit Sitz in Deutschland, die im Bereich der sog. E-Musik und/oder im Bereich Sprechtheater gewerblich tätig und angemeldet sind und deren Umsatz aus Tantiemen aus Bühnenaufführungen und Materialmietenvergütungen im Zeitraum vom 1. April bis zum 30. November 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber demselben Zeitraum aus dem Jahr 2019 zurückgegangen ist.“ Genau dies ist bei dem in Frankfurt ansässigen Musikverlag Josef Weinberger der Fall. Dennoch wurde nach über viermonatiger Bearbeitungszeit der Antrag abgelehnt. Warum?
Anders als bei anderen Förderprogrammen von NEUSTART KULTUR enthält die genannte Richtlinie eine Klausel, die betroffene Unternehmen von diesen Billigkeitsleistungen zum Beispiel dann ausschließt, wenn es sich um Unternehmen handelt „bei denen mindestens 30 Prozent der Kapitalanteile mittelbar oder unmittelbar von wirtschaftlich Berechtigten gehalten werden, deren Sitz außerhalb von Deutschland liegt“. Es spielt auf der einen Seite keine Rolle, ob der Musikverlag seine Steuern und Abgaben in Deutschland zahlt. Es spielt keine Rolle, dass sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutsche Staatsbürger sind und ebenfalls in Deutschland Steuern zahlen. Aber fatal ist diese Entscheidung, wenn man auf die Geschichte des Verlags schaut, der unter anderem Verlag von Gustav Mahler (Symphonien Nr. 1–3, das „Klagende Lied“ und die „Lieder eines fahrenden Gesellen“), später auch Johann Strauß (Sohn), Emmerich Kálmán, Franz Lehár, Ermanno Wolf-Ferrari, Erich Wolfgang Korngold ist. Im „Dritten Reich“ wurden Verlage jüdischer Eigentümer systematisch enteignet, „arische“ Werke anderen Verlagen einverleibt. Otto Blau, der Neffe des Verlagsgründers, hatte zwar 1936 eine Firma in London gegründet, doch die „Arisierung“ führte unweigerlich zur Zerschlagung des Wiener und des Leipziger Hauses. Nach Kriegsende stellte Blau sich zusammen mit dem Wiener Johann Michel der mühevollen Aufgabe, das Verlagsgeschäft auf dem Kontinent neu aufzubauen. Neben Wien nahm man 1953 auch in Deutschland wieder die Arbeit auf, neuer Verlagssitz wurde hier Frankfurt am Main. Der Verlag ist heute Eigentum einer Stiftung, deren Begünstigte die Nachkommen des Firmengründers sind. Diese Personen leben in Großbritannien und den USA, was damit zu tun haben dürfte, dass ihre Vorfahren das Deutsche Reich verlassen mussten, sofern diese noch die Chance dazu hatten.
Dem Verlag wird somit implizit zum Vorwurf gemacht, dass die Nachfahren der Verlagsgründer nicht nach Deutschland und somit in das Land ihrer Peiniger, Verfolger und Vertreiber remigriert sind, sondern es vorgezogen haben, ihren Überlebensmittelpunkt außerhalb Deutschlands zu wählen. Die Schatten des Nationalsozialismus scheinen lang sehr lang zu sein. Und die Bürokratie verlängert das erlittene Unrecht. Auf Anfrage der nmz erklärt ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Vorgehen mit Bezug auf die Ausschlussklausel als „korrekt“: „Neben dem Weinberger Verlag fand sie auch bei anderen Antragstellern Anwendung, insbesondere bei international ausgerichteten Unternehmen. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegenüber diesen Verlagen, die aufgrund der Einschränkung auf eine Antragstellung verzichtet haben, besteht rechtlich an dieser Stelle kein Spielraum für eine Ausnahmeregelung.“ Weil also andere Verlage von Anträgen abgesehen hätten – es wäre interessant zu sehen, wie das BKM diese Fälle zugetragen bekommen hat – stellt man also den Gleichbehandlungsgrundsatz über den einer konkreten und nötigen Hilfsleistung nach dem Motto: Lieber nichts gewähren, als zufällig jemandem Unberechtigten etwas gewähren? Und man macht sich, auf Paragraphen reitend und auf die Geschichte pfeifend zum Verlängerer von Unrecht und Leid. Das ist widersinnig, gegen Not und Verstand und es ist widersinnig gegen eine Korrektur geschichtlicher Verhängnisse.
Einen kleinen Ausblick verspricht der Sprecher aus dem BKM dennoch, wenn er erklärt, dass die Fortführung des Hilfsprogrammes für E-Musik- und Sprechtheaterverlage mit einigen Neuerungen geplant sei. „Dabei werden die Regelungen der Billigkeitsrichtlinie angepasst werden müssen. Auch die Klausel unter Punkt 2.1 wird – erneut in enger Abstimmung mit den Verbänden – geprüft und überarbeitet werden. Das Ergebnis der Prüfung kann allerdings an dieser Stelle noch nicht vorweggenommen werden.“
Der Deutsche Musikverlegerverband (DMV) „bedauert“, dass einzelne Musik- und Sprechtheaterverlage aufgrund der Fördergrundsätze nicht antragsberechtigt sind. DMV-Geschäftsführerin Birgit Böcher erklärt: „Im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Mittel und die zu berücksichtigenden Vorgaben zur Struktur und zum Kreis der Empfangsberechtigten mussten an verschiedener Stelle Einschränkungen vorgenommen werden, ohne die das Programm nicht umsetzbar gewesen wäre.“
Ob die gesamte zeitlich damit einhergehende Verzögerung der Bundeshilfen am Ende für manche Verlage zu spät kommt, wollen wir nicht hoffen. Jan Rolf Müller, Geschäftsführer des Musikverlags Josef Weinberger, ist skeptisch: „Eine Fortsetzung des Hilfsprogramms mit Korrekturen wäre natürlich sehr zu begrüßen. Nur, wann soll dann endlich etwas bei uns ankommen? Sommerpause, Wahlkampf, Wahl und Regierungsbildung dürften das nicht gerade beschleunigen… währenddessen machen Bühne und Konzert nur erste zaghafte Schritte, gleichzeitig nimmt die Delta-Variante rasch zu.“