Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Ballack-Frage

Publikationsdatum
Body

Der Papst in Bayern! Für manche war das ein Alarmruf zum fluchtartigen Verlassen ihrer Stadt, die auf dem Besuchsprogramm stand. Andere Verstockte wiederum lasen zur Immunisierung verstärkt Heiner Müller oder erwärmten sich an Claudia Roths Aufruf zur schonungslosen Kritik am bösen Glaubensmann. Oder sie versuchten einfach wegzuschauen. Was freilich nicht so leicht gelingen konnte, denn so ganz ohne Folgen blieb der Besuch bekanntlich nicht. So konnte, wer sich dem Medienspektakel nicht verschloss, einige erhellende Beobachtungen machen.

Etwa die, dass es offenbar Leute gibt, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Wissenschaft den Mehrheitsverhältnissen anpassen, sie wieder einmal vom Kopf auf die Füße stellen möchten. Das denken sie sich etwa so: Über die Verwendung von Zitaten in europäischen Universitäten entscheidet ab sofort der Großmufti von Kairo, und wer dieses Recht anzweifelt, dem wird der brüllende Straßenpöbel auf den Hals gehetzt. Wozu gibt es sonst Freitagsgebet, Email und Internet? Eine moderne Art zu denken, reaktionsschnell, basisnah und mehrheitsfähig – und wenn man genau überlegt, eigentlich streng demokratisch, denn jeder hat eine Stimme und darf mitreden. Auch wenn er den Text gar nicht kennt, um den es geht.

Es soll aber hier nicht um die neuen Formen ideologischer Kriegsführung gehen, sondern um die banaleren Angelegenheiten unserer eigenen Zivilisation. Womit wir beim Fernsehen wären. Von einzelnen Runden mit wirklichen Fachleuten abgesehen, demonstrierte es tagelang, wie inkompetent es ist, wenn es einmal nicht um Fußball, Politik und kreischenden Spaß geht. Keine Aufregung, keine Prominenten, keine gehetzten Statements von führenden Wichtigtuern, sondern nur Massen von unbekannten Menschen, die gar nicht ins Fernsehen kommen wollten. Wie bringt man das rüber? Zum Glück gab’s den bayerischen Ministerpräsidenten, der mit schöner Regelmäßigkeit jeweils als erster nach vorne schritt, wenn es um die Kommunion ging. An seinem hochgereckten Kinn konnte man sich irgendwie festhalten, das war bekannt, da fühlten sich unsere Macher zu Hause.

Vom Horror vacui gepackt, versuchten sie den Papstbesuch nach den allen Vorgaben ihres Metiers aufzupeppen. Das Motto hieß: Nur keine Langeweile! Überall waren ihre Kameras postiert, um möglichst steile Perspektiven einzufangen: im Flugzeug, auf der Straße, auf dem Kirchturm, neben dem Altar, zwischen den Betenden. Die verinnerlichte Angst vor der Quote konnte sich ungehemmt ausleben, indem die Bildregie alle drei Minuten zum nächsten observing point hinübersprang und den Bildreiz erneuerte.

Die wahre Katastrophe aber waren die Kommentatoren vor Ort: Politikmoderatoren und Eventreporter, die in eine Situation hineinkatapultiert wurden, von der sie nur die äußere Form, nicht aber den Inhalt verstanden. Sie konnten einem leidtun. Als stolze Frontmänner und -frauen einer säkularisierten Mediengesellschaft, in der Religion nur noch als dumpfe Privatsache wahrgenommen wird, boten sie tagelang ein Bild der Hilflosigkeit gegenüber dem Gegenstand, den sie rüberbringen sollten. Ihre Rolle als alerte Vertreter der Aufklärung – „Das Licht ist da, wo unsere Kamera hinguckt“ – lief plötzlich ins Leere. Und die Aufregerthemen wie Kondom und Homoehe, die sie als aufmerksame Begleiter des Weltgeschehens so schön aufzusagen wussten, kamen ebenfalls nicht so richtig an auf einer Wiese mit zweihunderttausend Betenden.

So konzentrierten sich die Medienkünstler darauf, ihrer Standardfrage „Was haben Sie gefühlt, als der Papst so nahe an Ihnen vorbeifuhr?“ immer neues Leben einzuhauchen. Es ist die Kabinenfrage an Ballack, der seinen Elfmeter versenkt hat. Im Zusammenhang mit dem Glauben gestellt, entlarvt sie die ganze Absurdität des Unternehmens.

Eine religiöse Zeremonie ist ihrem Wesen nach ein innerer Vorgang, das Äußere ist für die Katholiken bestenfalls Symbol, für die Protestanten Dekor. Ihre Wiedergabe im Schaumedium Fernsehen macht deshalb nur Sinn für denjenigen, der ohnehin daran glaubt. Für alle andern ist sie ein undurchsichtiges Ritual mit folkloristischen Zügen. Zu ihnen gehörten offensichtlich auch die Fernsehreporter. Kein Wunder, dass sie sich wie Analphabeten vor einem Shakespeare-Text benahmen.

Man stelle sich die Situation vor bei der bürgerlich säkularisierten Form von religiösem Kult, dem Sinfoniekonzert. Am Ausgang steht der Fernsehmann und fragt den Besucher: Was haben Sie gefühlt, als Simon Rattle den Einsatz gab?

Dümmer geht’s nimmer. Aber angesichts der um sich greifenden Unbedarftheit in den Redaktionen ist zu befürchten, dass dies das Muster zukünftiger Musikkritik sein könnte.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!