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Die musikalische Intelligenz einer Festplatte

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GPT war ein Vielschreiber: Georg Philipp Telemann komponierte in 86 Lebensjahren etwa 1.000 Orchestersuiten und 1.400 Kirchenkantaten. EMI ist auch ein Vielschreiber, hat 1.500 Sinfonien und 2.000 Klaviersonaten verfaßt - und das in nur drei Monaten EMI (im Klartext heißt das „Experiments in Musical Intelligence“) ist ein Computerprogramm. Und sein Erfinder keineswegs ein Spinner, sondern der amerikanische Musikprofessor David Cope. Geboren 1941, ein Mann mit strengem Gesicht, lichtem Haupt, angegrautem Bart und mit einem Studienabschluß in Komposition. Ein Mann, dessen Werke mehrere Preise gewonnen haben – wenn auch sein Œuvre langst nicht so lang ist wie das seines Computerprogrammes. Für EMI heißt komponieren wirklich zusammensetzen. Es ist mit Fragmenten von Werken verschiedener Meister gefüttert – von Bach bis Bartók baut es Altes neu aneinander. Nicht wahllos, sondern indem es seine Ergebnisse mit den Stilmerkmalen vergleicht, die ihm bekannt sind. Auf diese Weise nähert sich sein Erfinder einer Entschlüsselung der Musikstile. „Cope vermag das Wesen des musikalischen Stils zu erfassen“, so wird im Internet für dessen Veröffentlichung „Computers and musical style“ geworben. Ob das nun stimmt und wie gut EMIs Kompositionen wirklich sind – das ist eher uninteressant, eine blasse Momentaufnahme, denn Programme kann man verbessern. Die viel wichtigere Frage ist, was ein solches Programm über unseren Umgang mit Musik aussagt. Maschinen haben eine Aufgabe: Sie produzieren – und wenn sie auch komponieren, zeigt das, wie sehr die Kunst schon zum Produkt geworden ist. Noch arbeitet das Programm brav stilgebunden, aber es wäre doch nur ein kleiner Schritt, die Komponisten zu mixen. Dann wäre EMI bei der „Polystilistik“ der Neuen Musik angekommen und selbst kreativ. Bisher aber kennt es sich nur mit gestorbenen Meistern aus – bis auf einen einzigen lebenden Komponisten. Die Musik seines Herrchens hat das Programm ebenfalls im Repertoire. Cope hat EMI verraten, wie EMI Cope kopieren kann. Cluster Seite 4 Autor: Gerhard Rohde Das Kulturorchester muß nicht von gestern sein Die oft kontroversen Diskussionen über die Nachfolge Sergiu Celibidaches bei den Münchner Philharmonikern führen nicht weiter, wenn nicht das Orchester selbst seinen künstlerischen Willen präzis zu artikulieren versteht: Was es in Zukunft nicht nur in München, sondern vielleicht im Musikleben überhaupt für eine Rolle zu spielen gedenkt. Unter Celibidache war das Orchester ein Sonderfall, davor agierte es eher brav lokal-provinziell vor sich hin. Das Orchester sollte begreifen, daß es immer hinter den orchestralen „Stars“ wie den Berliner oder Wiener Philharmonikern rangieren wird. Die Chance läge im Programmatischen. Dafür aber wäre James Levine sicher nicht der richtige Dirigent. Michael Gielen hat aus dem Avantgarde-Ensemble des Südwestfunk-Sinfonieorchesters auch ein wichtiges Orchester für Mahler, Bruckner, Beethoven entwickelt, dessen Interpretationen sogar das traditionelle Publikum faszinieren. Warum sucht man bei den Münchner Philharmonikern nicht nach einem jungen Gielen? Nach einem jüngeren Dirigenten, dessen Interesse und Begabung ein weites Spektrum der Musikgeschichte abdeckt? Der Darmstädter Chefdirigent Marc Albrecht wäre so ein neuer Typ, der das Kulturorchester von gestern für morgen präpariert, damit es seine künstlerische und ästhetische Legitimation bewahrt. Der Blick zurück mag schön sein, aber er verstellt alle Perspektiven auf Künftiges.

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