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ARD Klassik Plattform: „Unkuratierte Reste-Rampe“ konstatiert unser Autor enttäuscht. Fotomontage: Martin Hufner

ARD Klassik Plattform: „Unkuratierte Reste-Rampe“ konstatiert unser Autor enttäuscht. Fotomontage: Martin Hufner

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In die Röhre gucken! Oder: Der Kanal ist voll!

Untertitel
Nachschlag 2025/06
Vorspann / Teaser

Man sollte nicht meinen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk gäbe sich keine Mühe, in Zeiten wetterwendischer Mediennutzung und vor allem -politik, sich möglichst stark aufzustellen. Selbst in Angelegenheiten der Kunst und Kultur lässt man dort nichts unversucht, was nicht längst schon à la mode ist, um zumindest aufzufallen. So beispielsweise spendierte Mitte April die alte Tante ARD, salbungsvoll mit dem Benefizkonzert des Bundespräsidenten anhebend, ihrer musikalischen Urgroßtante quasi, also ihren Orchestern, Chören und Big-Bands, mit ARD Klassik ein zeitgenössisch schickes Altenteil: einen eigenen YouTube-Kanal. Jedoch erreiche man „damit Jung und Alt gleichermaßen“, da ist sich MDR-Programmdirektorin Jana Brand inklusiv sicher, und schlussfolgerte zum selben Anlass weiter: „So können wir unserem Auftrag der Kulturförderung und -vermittlung noch besser gerecht werden.“ Und „alle Fans von klassischer Musik, Filmmusik, Game-Musik und verwandten Genres“, so die betreffende Pressemitteilung weniger stilübergreifend als inklusiv hilflos weiter, bekämen nun „einen gemeinsamen Ort auf einer der wichtigsten Plattformen für Musiknutzung“. Auf der Plattform selbst heißt es dann, „ARD Klassik ist das Zuhause für die gesamte Klassik-Welt der ARD“, und der Vorspann verspricht Üppiges: „Mehr Orchester. Mehr Chöre. Mehr Emotionen.“ Bei dermaßen aufgeblasenen Backen Auftrag! Besser!! Mehr!!!, schaut man gerne mal vorbei und hört rein.

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Knapp 290.000 Abonnenten hat der Kanal inzwischen, was im Vergleich zu den 1,8 Mio. der Tagesschau auf YouTube nicht wenig ist, aber auch nicht viel mehr heißt, als dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Plattform und deren Eigentümer Google ebenso viele Adressen schenkt. Den Content dann allerdings noch obendrein, denn ARD Klassik auf YouTube ist werbefrei und refinanziert daselbst sich durch gar nichts, was jede:n halbgescheite:n Influencer:in fassungslos macht und die Frage aufwirft, wieso beitragsfinanzierte öffentliche Kulturgüter dem privatwirtschaftlichen Aufmerksamkeitsgeschäft so für lau nachgeworfen werden. Wahrscheinlich – Achtung: Kulturförderung und -vermittlung! – der guten Sache halber, für den „gemeinsamen Ort“, für das „Zuhause“, den warmen Sinn, der die Stuben und Endgeräte fluten soll.

Bei einer querschnitthaften wiewohl aufmerksamen Durchsicht der beinahe 2.700 Videos fällt dann vor allem auf, dass das Material überwiegend aus den letzten fünf Jahren stammt: als wäre man erst durch Corona auf die Idee gekommen, Konzerte auch im Bild aufzuzeichnen. Also kein Hartmann mit Kubelik (BR), Mahler mit Bertini (WDR) oder ähnliche Glanztaten vergangener Zeiten, und gleichermaßen Fehlanzeigen bei Gielen oder Zender. Stattdessen zumeist interpretatorisches Einerlei, egal ob Kinkerlitzchen von Alondra de la Parra und Teodor Currentzis oder der schwerkranke Mariss Jansons mit einem voyeuristischen und dennoch ergreifenden Probenschnipsel: Alles wird nivelliert, es kommt ja nur auf die Schauwerte an. Auch ganz gleich, ob „Zauber der Operette“ aus dem Leipziger Felsenkeller oder Ligetis „Grand Macabre“ aus der Elphi: Alles wirkt gleich spektakulär und gleich lieblos, im Farbton schwarz-weiß gewandet mit Holzbraun und Messingschimmer. Wer noch nie ein klassisches Konzert sah oder hörte, wird es sich genauso vorgestellt haben, dass nämlich alle immer gleich sind.

Gegen dieses Immermehr von Gleichgeschaltetem hilft auch der redlich bemühte partitursynchrone Schnitt nicht viel, Dirigent:in/Totale/ Solo/Ins­trumentengruppe: für eine Clip-Ästhetik gähnend langweilig und daher auftoupiert durch gelegentlich abgestellte Lichtfluter. Die mussten her, schließlich war ja das Fernsehen dabei, und den Ausspielweg haben andere Klangkörper nicht, dementsprechend den YouTube-Kanal ARD Klassik auch nicht. Dieser, wo Komplexestes aus Donaueschingen gleichermaßen un-„vermittelt“ läuft wie Game-Music oder die „Jakobsleiter“, erinnert allerdings eher an eine unkuratierte Reste-Rampe, auf die alles gekippt wird, wofür man keinen Platz hat, was kaum noch etwas wert ist und das bald weg soll. Ein Kanal, der das sogenannte „Konzertritual“ angeekelt denunziert und der, was durchaus sinnvoll ist zwecks Purifizierung und Konzentration der Sinne auf das, was kommt, ersetzt durchs Hochkultur-Talmi einer musikalisch sinnentleerten Medien- und Warenwelt.

Wenn man wenigstens gesucht hätte, das Runde ins Eckige zu bekommen, dem analogen Musikereignis eine authentische audiovisuelle Dimen­sion hinzuzufügen, anstatt es bloß auf eine Showästhetik à la „Echo der Klassik“ herunterzuziehen … Anscheinend weiß aber keiner mehr, wie so etwas gehen könnte. Dabei war man selbst mal ambitionierter, und Anschauungsmaterial dafür findet man sogar bei YouTube, freilich nicht auf ARD Klassik. So etwa https://www.youtube.com/watch?v=-DYTW-Bf8x8, ein kleines funkelndes Juwel öffentlich-rechtlicher Musikabbildung vom BR aus den frühen 1970ern. Ohne Frauen, nur mit Männern vorzugsweise in Anzug und Krawatte und fern aller historischen Aufführungspraxis, so waren die Zeiten damals auch, zeigt der „Probenreport“ eine knappe halbe Stunde aus der Probenarbeit an Bachs a-Moll-Konzert für vier Klaviere mit dem BR Symphonieorchester und den seinerzeitigen Münchener Großdirigenten Wolfgang Sawallisch, Fritz Rieger, Rudolf Kempe und Rafael Kubelik. Sicher, Eigenheiten und auch die eine oder andere Eitelkeit der Herren sind nicht zu übersehen. Was aber die vier Kameras vor allem einfangen, das ist, ohne inszenatorischen Aufwand und visuelle Zurichtung präsentiert, die Musik als Arbeit am Werk, als hochkonzentriertes Zusammenspiel individueller Augen und Ohren, Hirne und Finger, etwas, was Zeit und Mühe beansprucht, wenn es nicht der Zurschaustellung scheinbar müheloser und bedeutungsgeschwängerter Klangereignisse dienen soll. Indem die ARD ihren Klassikkanal aber derart voll macht, denunziert sie auch die Arbeit der eigenen hochqualifizierten Ensembles zu bloßem Schall und Rau(s)ch.

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