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Sven Ferchow. Foto: Sven Ferchow
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Patenkinder

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Ferchows Fenstersturz 2021/07
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Na, haben Sie Ihre Pflegekraft schon gebucht? Die Sie mit 70 ins Büro führt, Ihren E-Rollator wartet oder Ihren Sauer­braten in der Kantine zu Brei drückt. Ist ja nun offiziell. Wir malochen bis 70. Doch während Verbände noch Protestplakate malen, gibt es Menschen, die einen Schritt voraus sind: die Großverdiener der Musikbranche. Statt über das Rentenloch jammern sie über das Einnahmeloch. Weil die Villa wegen Spotify keinen Hubschrauberlandeplatz mehr hat, sondern gerade noch ein Parkdeck für sechs SUVs.

Warum aber länger arbeiten, wenn man früher loslegen könnte? Dachte sich Angelo Kelly, Mitglied des berüchtigten Kelly-Clans. Und verdonnerte seine minderjährigen Kinder, darunter den damals (2019) vierjährigen William, gleich mehrmals zu Auftritten vor Publikum. Und wer jetzt mit Kinderrechten kommt … Vorsicht! Stichwort Industrialisierung. Da konnten Kinder auch zum Familieneinkommen beitragen. Und immerhin durfte der kleine Kelly auf einer richtigen Bühne in das Familienbusiness einsteigen. Sein Vater zog ja noch als Drückerkolonne durch die Fußgängerzonen.

Außerdem gibt es Familien mit ganz anderen Initiationsritualen (Blut vom „Abzugsfinger“ auf das Bild eines Heiligen tropfen, Bild verbrennen, Omerta schwören). Also, kommen Sie mir nicht mit Kinderrechten. Überraschenderweise sieht die Justiz das anders. Keine Anerkennung, dass ein Vater dem Staat die Arbeitskraft seiner Kinder zur Verfügung stellt (im Merz-Lager sprechen viele anerkennend von der Kelly-Rente). Im Gegenteil. So belegte unter anderem das Gewerbeaufsichtsamt der Regierung von Unterfranken Angelo Kelly mit einem Bußgeld von 5.000 Euro. Wegen des Verstoßes gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. Oha. Kinderarbeit. Sehen Angelo Kelly und sein Anwalt anders. Und waren deshalb im Juni 2021 vor Gericht. „Schließlich sei nur auf der Bühne sein keine Beschäftigung, zumal die Auftritte lediglich knapp drei Minuten dauerten“, begründete Kellys Anwalt den Einspruch.

Autsch. Diese Argumentation dürfte die Atemfrequenz einiger Ballermann-Playbackkünstler langfristig Richtung Nulllinie treiben. Nur für drei Minuten auf einer Bühne stehen ist also kein Job? Zumindest nicht, wenn man sich wie Angelo Kelly die Absolution auf Facebook holt: „William war im Beisein der Mutter und der Geschwister bei einem Konzert des eigenen Vaters zu keiner Zeit verpflichtet, mit uns aufzutreten“. Okay. Wenn der Vierjährige umfassend über seine Rechte aufgeklärt wurde, sollte man nicht so kleinkariert sein, liebe Behörden. Ich sehe das nämlich grundsätzlich wie Angelo Kelly. Man kann Kinder nicht früh genug an Arbeit gewöhnen. So lassen sich Hartz-IV Dynastien vermeiden. Was mir persönlich Bauchschmerzen bereitet, sind weniger die Arbeitszeiten als vielmehr die Arbeitsbedingungen für Minderjährige. Noch dazu im Musikbusiness. Man hört ja immer wieder von Backstage-Orgien, Alkoholkonsum, Groupies oder Koksbergen. Ich möchte jetzt wirklich kein Öl ins Feuer gießen, aber…

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