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Zu den Artikeln von Udo Zimmermann, Max Nyffeler und Christian Wilckens, nmz 2-04, Seite 8

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(…) Die Neue Musik nimmt eine Sonderstellung ein. Sie lässt sich vielleicht epigonalisieren und verbeliebigen, jedoch nicht banalisieren. Es geht unter anderem schlechterdings nicht einfach zu sagen: diese Musik soll das und das ausdrücken, symbolisieren, et cetera und basta, als dpa-Bildunterschrift. Deshalb gibt es die Tendenz, Neue Musik für tot zu erklären. Sie wird in der Folge dann verdrängt von populärerer Musik und ersetzt durch etwas, das eigentlich in den Bereich der Bildenden Kunst gehört: Skulpturen/Objekte, die zusätzlich Klänge von sich geben und so mit den beschriebenen Bildunterschriften versehen werden können, deren Gestaltung sich als alternative Beschäftigung zur Komposition für Musikhochschüler angeboten wird. Die banalisierende Verkürzung ist zu unterscheiden von ernst zu nehmender Konzeptkunst.

Wie sind im Licht der distanzierten Situationsbetrachtung das Dossier zur Lage der Neuen Musik vor etwa einem Jahr und jetzt der Themenschwerpunkt zum gleichen Gegenstand in der nmz zu bewerten? Im Dossier waren wesentliche interne – intern in der oben beschriebenen Bedeutung – Gründe auf einzelne Beiträge verteilt klar und überzeugend beschrieben. Jedoch stieg beim Lesen ein Gefühl der Leere und Kälte auf ob der sofort erkennbaren, körperlich fühlbaren, absoluten Folgenlosigkeit des Dossiers und der verbundenen Aktionen. Es war a priori zweifelsfrei, dass die aufgezeigten Institutionen und Personen nicht auch nur im Ansatz das Glied eines Fingers bewegen würden aufgrund der in die Öffentlichkeit gesetzten Beobachtungen, Gedanken und Argumente.

Bis vor etwa 15 Jahren lebte die Neue Musik im Turm aus Elfenbein. Die Essenz des letzten Schwerpunktes zur Krise der Neuen Musik in der nmz ist das Akzeptieren des Ghettos durch die mit Neuer Musik Beschäftigten –die Postmoderne sang den lntroitus – oder noch schlimmer: Komposition Neuer Musik als Totgeburt im Beenden jeden Werkes ausschließlich zur wissenschaftlichen Sektion.

„Die Neue Musik bedarf keiner Rechtfertigung“ heißt es über einem Artikel, in dem Neue Musik als Futter für eine so selbstreflexive Wissenschaft gerechtfertigt und hingerichtet wird. Nein, nein, dreimal nein! Kunst als solche braucht, solange sie lebt, keinen sie begründenden Zweck. Der Schwerpunkt ist übersät mit weißen, grauen und schwarzen Flecken des Nicht-Ergründens und Drum-Herum-Tanzens und des Dogmatischen.

Dazu das Wichtigste: „E und U im Streit“ ? Darum geht es eigentlich. Die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung von „E“ und „U“ ist seit langem und ausschließlich von Seiten der Kunst, der Neuen Musik verleugnet. Warum wollen einige Komponisten unbedingt beweisen, Unterhaltsames komponieren zu können? Woher kommt das Harmoniebedürfnis von Künstlern der Neuen Musik, dass sie aus eigener Initiative Unterschiede verwischen und nicht aufhebbare Ausschließungen nicht aushalten? Die Geister werden sie nicht mehr los. Das „E“ der ernsten Musik steht im Gegensatz zum „S“ der Spaßgesellschaft, das weite Flache und das Tiefe gehen nicht zusammen: dies nicht denken wollen, ist fatal. Das Ernste der Kunst ist das Existentielle. Das existentiell Ernste sollte nicht kleinmütig versteckt werden, um sich nicht im Gegensatz zur Spaßgesellschaft zu outen. Es gibt alle Gründe des Menschlichen, sich offensiv gegen die Spaßgesellschaft zu stellen, wenn klarsichtig wird, was sie alles in sich trägt.

Was ist zu tun? Jede Aktion, die auf Symptom statt auf Ursache gerichtet ist, ist hier nicht nur zum Scheitern verurteilt, sie verschlimmert noch die Lage durch Erschweren nachfolgender Operationen. Es gibt etwas, das getan werden kann, das gemieden wird wie das Weihwasser: das kollektive öffentliche Stehen zu der Erkenntnis, dass das Verhalten der Gesellschaft zur Kunst und besonders zur Neuen Musik nicht haltbar ist und – das Wort ist auszusprechen – dass es schlecht ist. (Von Moralisten wird gesprochen, wenn das öffentliche Handeln der so Sprechenden dem entsprechend ist.)

Dieses öffentlich „auf das Richtige Beharren“ würde eine Säule des Trivialisierens, des libertären Wirtschaftens, des Amputierens umstürzen, eine veränderte Situation schaffen. Das Äußern des nicht durch Medien und „in group“ legitimisiert selbst Gedachten scheint die notwendige Basis für alles Weitere.

Mit Fantasie sind überraschend viele mögliche politische, mediale und rechtliche Aktionen zusammentragbar, die dann beschrieben werden können, wenn an einer Stelle ein gemeinschaftlicher Wille zur echten Veränderung vorhanden ist.

Die Aufgabe der Lobbyarbeit ist es, den Patienten so lange dem Leben zu erhalten, bis die Rückkehr in die Gesellschaft möglich wird.

Was war der Anlass zum nmz- Schwerpunkt? Nein, nicht die Lage der Neuen Musik! Es war einzig ein Vorfall in der GEMA, es ging um die machtpolitische Manifestation des selbst gewählten Ghettos und es geht um die Lächerlichkeit des Erschreckens darüber.

Hier zeigt sich das eindimensionale, verkürzte Denken des Globalisierten, das nicht wahrhaben will, wenn etwas nicht linear gewollt werden kann, dort wo Pushen und Machbarkeit ein Ende haben und Haltung und Stellungnehmen unverzichtbar ist. Tiefer begründet werden kann das Geschehen im Denken über die Stellung von Kunst mit dem Denken über den Nihilismus einer ganzen Gesellschaft.

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