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Aufgeschlossen oder mucksmäuschenstill

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Die 25. Leipziger Jazztage 2001 begeisterten ein aufgewecktes Publikum
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Um ein Haar wäre das Jubiläum ausgefallen – infolge der Subventionssperre in Sachsen. Doch am 3. August erhielt der Jazzclub Leipzig das erlösende Fax. Absender: das Dresdner Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Inhalt: 40.000 Mark für das Jahr 2001 fließen nun doch. Und damit stand den Leipziger Jazztagen in ihrer 25. Ausgabe nichts mehr im Wege.

Um ein Haar wäre das Jubiläum ausgefallen – infolge der Subventionssperre in Sachsen. Doch am 3. August erhielt der Jazzclub Leipzig das erlösende Fax. Absender: das Dresdner Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Inhalt: 40.000 Mark für das Jahr 2001 fließen nun doch. Und damit stand den Leipziger Jazztagen in ihrer 25. Ausgabe nichts mehr im Wege.Das Jubiläumsfestival zu eröffnen, war Sache des wohl bekanntesten Leipziger Jazzmusikers. Der Pianist Joachim Kühn gastierte im überfüllten Saal des Alten Rathauses mit einer kraftvollen Solovorstellung. Freitonale Kaskaden bestimmten das Bild, bisweilen abgelöst durch zart hingetupfte Töne. 1966 hat Kühn seine Heimatstadt und die DDR verlassen – auf den Jazztagen absolvierte er nun sein viertes Konzert seit 1992. „Ich komm’ gerne nach Leipzig, auch weil mir das Publikum und die Menschen gut gefallen – außerdem sprech ich ab und zu gern sächsisch!“

Wie gewohnt, hat es der künstlerische Leiter Bert Noglik bewusst vermieden, sich mit dem Festival auf einen bestimmten Sektor des Jazz zu spezialisieren. Musiker aus Mainstream und Free Jazz profilierten sich gleichermaßen wie ihre Weltmusik-inspirierten Kollegen oder Vertreter elektrischer Spielarten.

John Scofield – derzeit einer der drei einflussreichsten Jazzgitarristen – brachte sein neues Trio mit nach Leipzig. Scofield selbst, Bassist Steve Swallow und Bill Stewart am Schlagzeug boten virtuose Soli und beeindruckendes Zusammenspiel. Das Genre des Neobop vertraten der Trompeter Dusko Goykovich sowie der Saxophonist James Moody mit ihren Quartetten. Die Percussionistin Marilyn Mazur schließlich stellte ihr neues Projekt „Percussion Paradise“ vor, das rhythmische Raffinesse mit unbändiger Spielfreude verband. Auch der skandinavische Jazz war prominent vertreten: durch den Posaunisten Nils Landgren, der zwei extreme Facetten seiner Musik demonstrierte: das energiesprühende Sextett „Funk Unit“ – gekonntes Powerplay zwar, doch unter Beteiligung einer Rhythmusgruppe, die über weite Strecken lediglich solide zu Werke ging. Ungleich tieferen Eindruck hinterließ Landgrens Duo mit dem Kirchenorganisten Claus Bantzer.

In einer Kirche zu spielen, sei, so Landgren, „ein großes Gefühl. Denn der Kirchenraum ist ja auf Musik ausgerichtet. Es klingt gut, es ist eine gewisse Stimmung dabei, eine gewisse Ruhe – für mich passt das wunderbar.“ Mit sparsamem Spiel malten Landgren und Bantzer eindringliche Klanglandschaften.

Auch sonst setzten gerade Duos während der acht Tage in Leipzig Glanzlichter, allen voran Akkordeonist Jean-Louis Matinier und Bassist Renaud Garcia-Fons. Garcia-Fons ist auf seinem sperrigen Instrument in klangliche Regionen vorgestoßen, die an sich als Domäne kleinerer Saiteninstrumente gelten. Minimalistischer noch agierten der Gitarrist Ferenc Snétberger und der Trompeter Markus Stockhausen. Die Musik des Duos ist sparsam und voller Freiräume. Snétberger spielt eine quicklebendige akustische Gitarre, Stockhausen setzt seine unverkennbaren, kühl-strahlenden Linien dagegen.

Die insgesamt über siebzig Musiker dieser Jazztage präsentierten sich einem Publikum, das seinerseits zu den Überraschungen des Festivals zählte: aufgeschlossen, auch gegenüber den Energieausbrüchen Peter Brötzmanns oder den 4Walls, mucksmäuschenstill beim Solokonzert der exzentrischen Bassistin Joelle Léandre. Die Brücke zu diesem Publikum besonders rasch zu schlagen, gelang dem humorvollen Libanesen Rabih Abou-Khalil und seinem italienisch-französisch-amerikanischen Sextett. Abou-Khalil ist ein Virtuose der arabischen Laute Oud – doch keine Spur von selbstverliebten Höhenflügen. „Ich bin mehr daran interessiert, Homogenität einer Gruppe zu erreichen. Es ist mir wichtig, dass die Musiker nicht nur Statisten sind, sondern wirklich Musiker.“ Für ein brodelndes Fundament sorgte der New Yorker Schlagzeuger Jarrod Cagwin – mit seinem farbigen Spiel die rhythmische Entdeckung dieser Leipziger Jazztage.

Bert Noglik, der die Veranstaltung seit nunmehr einem Jahrzehnt künstlerisch betreut, hat immer wieder eigene Ideen zu Projekten beigesteuert. Resultat seiner Anregungen war in diesem Jahr das Konzert des polnischen Trompeters Tomasz Stanko. Stanko hat Musik neu zum Leben erweckt, die sein 1969 verstorbener Landsmann Krysztof Komeda für die Filme von Roman Polanski komponierte. Dem Publikum in Leipzig präsentierte Stanko diese Klänge nun erstmals in Kombination mit Filmsequenzen. Zu sehen war „Das Messer im Wasser“, Polanskis Frühwerk von 1962. „Während der kommunistischen Ära“, erklärt der Trompeter, „symbolisierte gerade dieser Film die Freiheit – Freiheit, wie wir sie heute haben. Und Krysztof Komeda war ein großartiger Komponist – es ist wunderbar, heute seine Stücke zu spielen.“ Stankos neues Quartett mit drei jungen polnischen Musikern bot eine effektvolle Vorstellung, die wohl einige Konzertbesucher irritierte, im Ganzen jedoch eindringliche Wirkungen hinterließ und so fraglos zu den Höhepunkten des Festivals gehörte.

leipziger-jazztage.de

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