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Er steht in der Tradition jener Saxophonisten, die mit ihrem Spiel der menschlichen Stimme nahe kommen wollen. Ursprünglich, bekennt Charles Lloyd im Gespräch, wollte er Sänger werden. „Voice In The Night“ scheint ein treffender Titel für sein neues Album. Mit einem eindringlichen, einem eindrucksvollen Ton und Linien von mitunter tänzerischer Leichtigkeit erzählt er Geschichten, die sich nicht in Worte fassen lassen.
Die Themen reichen von eigenen Kompositionen über Billy Strayhorns „A Flower Is A Lonesome Thing“ bis zur individuellen Ausdeutung des Songs „God Give Me Strengh“ von Elvis Costello und Burt Bacharach. Und auch „Forest Flower“ taucht wieder auf, jener Titel, mit dem der Saxophonist in den sechziger Jahren ein nach Millionen zählendes Publikum erreichte. Wenige Jahre später, wie wir wissen, zog er sich fast für eine Dekade von der Szene zurück. Er ging lieber in den Wäldern spazieren, als sich auf Bühnen von einer Menge feiern zu lassen. Doch „Forest Flower“ ließ ihn nicht los.
„Voice In The Night“ bedeutet für Charles Lloyd gleichermaßen Homecoming und Neubeginn. Das spiegelt sich bereits in der Besetzung. Mit dem Schlagzeuger Billy Higgins spielte er bereits als Achtzehnjähriger, damals im Umkreis von Ornette Coleman und Don Cherry. Und obwohl sich die Wege von Lloyd und Higgins trennten, verloren sie sich doch nie aus den Augen. Nachdem Charles Lloyd sein letztes Album, „Canto“ dem Schlagzeuger gewidmet hatte, wollte er ihn nun auch in seine Musik integrieren. Das gilt ebenso für den unvergleichlich sensiblen Bassisten Dave Holland und den Gitarristen John Abercombie. Anfang der sechziger Jahre spielte Charles Lloyd mit dem ungarischen Gitarristen Gabor Szabo. „Und da ich wußte, daß sich John Abercombie von diesen Aufnahmen inspirieren ließ, hatte ich die Hoffnung, ihn nun in meine Musik hineinziehen zu können“, so der Saxophonist über die Vorgeschichte.
„Alles in meiner Musik“, resümiert Charles Lloyd, „dreht sich um den Sound und den Dance.“ Billy Higgins breite ihm den Teppich zum Tanzen aus, und gemeinsam mit Dave Holland und John Abercombie könne er seinen großen Gesang anstimmen. In der Tat fliegen die Stimmen frei, losgelöst von den Bindungen an ein Piano. Dennoch betont Charles Lloyd seine Loyalität zu dem skandinavisch-amerikanischen Quartett, mit dem er in den letzten Jahren gearbeitet hat.
Im Halbdunkel des Hotelzimmers, in dem ich zum Gespräch mit Charles Lloyd verabredet bin, wirkt er wie ein meditierender Guru. Er schließt oft die Augen, um sich noch mehr auf seine Aussagen zu konzentrieren. Es sind spirituelle Themen, die ihm am Herzen liegen. Dabei kommt er mit einem herzlichen Lachen immer wieder ins Diesseitige zurück. Und er betont, daß das, worüber wir sprechen, eigentlich unaussprechlich sei.
Vieles teile sich durch den Sound, durch die feinsten Ausdifferenzierungen des Sounds mit – wie ein Fingerabdruck, ein Mikrochip, ein DNA-Code. Und was meint er mit Tanz? „Dance bedeutet für mich nicht nur physische Erfahrung, sondern etwas Ekstatisches. Wenn du in dem relativen Gefüge, das wir Zeit nennen, wenn du ganz im Jetzt lebst, bist du hellwach. Aber in diesem Jetzt kann jederzeit der Tanz beginnen. Du atmest und merkst, es gibt keine Zeit. Da ist nur der Sound und der Dance.“
Noch immer schwingt Begeisterung mit, wenn Charles Lloyd über die sechziger Jahre, über die gemeinsame Zeit mit Jimi Hendrix und Bob Dylan erzählt. „Der Forest-Flower-Dream ist nach wie vor lebendig.“ Doch Lloyd ist kein Nostalgiker. Er weiß wohl, daß die Musik die Welt nicht im Handumdrehen zu verändern vermag. Aber er läßt nicht ab, an den subtilen Fluß von Energien zu glauben, ebenso wie an jene Differenzierungen des Sounds, die Wesentliches mitzuteilen vermögen.
Der 61jährige Charles Lloyd, ein Musiker im Stadium der Reife, wandert über ein Hochplateau. Man spürt, daß er sich und anderen nichts mehr zu beweisen braucht. Das macht ihn frei. „Glaub es mir oder nicht“, so der 61jährige „junior elder“, wie er sich selbst nennt, „ich möchte meine Musik so einfach wie möglich gestalten, pure, simple, true and full of love.“ Und er wiederholt es noch einmal, um dem Gedanken Nachdruck zu geben: „full of love“. Ich glaube ihm jedes Wort. Wer ihm zuhört, mehr noch, wer sich auf seine Musik einläßt, wird es erfahren, den Sound und den Dance.