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Vom 28jährigen Briten Murray Lachlan Young ist noch keine Zeile gedruckt worden, trotzdem ist der junge Dichter bereits Millionär. Für zwei CD’s mit gesprochener „Poetry“ zahlte ihm die EMI jüngst drei Millionen Mark, und 700.000 kassierte er für 100 kurze MTV-Clips. Der Grund: Erstens klingt der Name Murray Lachlan Young sehr poetisch und zweitens sieht der junge Dichter mit dem lockigen, wallenden Haar hinreißend aus. Den linken Arm in die Hüfte gestüzt, den rechten zur ausladenden poetischen Geste erhoben, den Blick genialisch nach schräg rechts oben gerichtet: ein Poet, wie ihn die Werbestrategen am Reißbrett entworfen haben. Ach so, seine Gedichte? Die handeln natürlich von Sex, Drogen und dem Leben „ganz unten“. Young ist die vorläufige kommerzielle Spitze eines Trends, der schon seit mehreren Jahren Kulturjournalisten in Begeisterung versetzt. „Poetry Slams“ sind eine Mixtur aus Lesung, Performance und Karaokeshow, die inzwischen auch zur kulturellen Grundausstattung von Großstädten wie Berlin, Köln oder Hamburg gehört. Die meist unbekannten Autoren von nebenan haben ein Zeitlimit und werden wie beim Eislauf mit Punkten bewertet. Eigentlich soll ein gewisser Marc Smith – Bauarbeiter in Chicago – 1984 diese Literaturwettbewerbe erfunden haben, doch seit Dada, Beat und Rap sind „Spoken Poetry“ mit Wettbewerbscharakter nichts eigentlich Neues. So scheint also eher die verbissene Suche von Veranstaltern und Feuilletonisten nach etwas „Kultigem“ der eigentliche Pate dieses Trends gewesen zu sein. Die literarische Qualität kann es nicht sein. Davon darf man sich inzwischen in einem von Rowohlt herausgegebenen Kompendium überzeugen: „Poetry! Slam! Texte der Pop-Fraktion“ heißt es da verheißungsvoll und subversiv. Doch die „Poetry“ der jugendlichen Taxiliteraten und Nebenerwerbsmusiker von Hamburg bis Schwäbisch Hall sind genauso wenig lesenswert wie die krausen Literaturzeitschriften der Vätergeneration. Auch auf dem Poetry Sektor scheinen also die normalen Abstände gewahrt; Deutschlands Poetry- Nachwuchs verhält sich zum gut bezahlten und perfekt gestylten Briten Murray Lachlan Young wie Herbert Grönemeyer zu den Pet Shop Boys. Und die haben auch schon Witterung aufgenommen: Sie engagierten den laut rezitierenden und wild gestikulierenden Briten als Vorprogramm für ihre kommenden Shows.