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Tief sind die Spuren des Kreises

Untertitel
Total Music Meeting 3. bis 7. November 1999
Publikationsdatum
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Im „Podewil“, direkt gegenüber dem Alexanderplatz, trafen sich an fünf Abenden Freunde und Ausführende frei improvisierter Musik. Wobei „frei“ als Bekenntnis zu werten ist, nämlich zum spontanen Einfall oder gar zum Augenblick als Fetisch, in dem Musik durch Zauber entsteht. Möglichst unkonventionelle Spieltechniken demonstrieren die Instrumentalisten, einzige Konvention dieser Musik ist ohnehin, Konventionen, wenn nicht zu verweigern, so doch zu vermeiden. Seit 1967 kreist dieses Festival um diesen Gedanken, und die Spuren dieses Kreises sind unterdessen tief, wie tief, war exemplarisch beim Schlagzeuger Tony Oxley, ein schon weißhaariger Ahnherr dieser Musik, bemerkbar. Mit kaum verändertem Drumset, einem Sammelsurium aus bekannten und selbst gebauten Teilen, kultivierte er mit Phil Wachsman, Violine, sowie Matt Wand und Pat Thomas, die live-electronics hinzufügten, ein Quartett-Ping Pong von actio und reactio. Diese Musik kennt keine Entwicklung, sie formt ihre Soundcluster, ihre Geräuschsplitter und modellierten Töne wie Klangdünungen in wechselnder Intensität, so wie bereits zu Beginn ihres Daseins. Es ist bewundernswert, mit welcher Konsequenz Tony Oxley diesen Trip über drei Dezennien durchgehalten hat, aber er, wie viele andere Protagonisten dieser Szene auch, zeigt keine Richtung und kein Ziel, der einmal betretene Kreis wird nur beharrlich vertieft.

Beim Jazzfest die Feinen und Etablierten, beim Total Music Meeting die Außenseiter und Rebellen – dieses Konkurrenzschema passt nicht mehr. In Berlin haben beide Festivals ihren Platz, ihr Stammpublikum und: ein Auftritt dort schließt einen Auftritt hier nicht aus. Peter Brötzmann etwa, teutonischer Kraftsaxophonist, spielte dieses Jahr, in verschiedenen Formationen, bei beiden Veranstaltungen. Keineswegs leiser, aber diffiziler bei aller Impulsivität, erzeugte sein Quartett genügend Dampf für die weiteren Tage des 32. Total Music Meeting. Jedenfalls fanden die Konzerte immer in voll besetztem Saal statt. Im „Podewil“, direkt gegenüber dem Alexanderplatz, trafen sich an fünf Abenden Freunde und Ausführende frei improvisierter Musik. Wobei „frei“ als Bekenntnis zu werten ist, nämlich zum spontanen Einfall oder gar zum Augenblick als Fetisch, in dem Musik durch Zauber entsteht. Möglichst unkonventionelle Spieltechniken demonstrieren die Instrumentalisten, einzige Konvention dieser Musik ist ohnehin, Konventionen, wenn nicht zu verweigern, so doch zu vermeiden. Seit 1967 kreist dieses Festival um diesen Gedanken, und die Spuren dieses Kreises sind unterdessen tief, wie tief, war exemplarisch beim Schlagzeuger Tony Oxley, ein schon weißhaariger Ahnherr dieser Musik, bemerkbar. Mit kaum verändertem Drumset, einem Sammelsurium aus bekannten und selbst gebauten Teilen, kultivierte er mit Phil Wachsman, Violine, sowie Matt Wand und Pat Thomas, die live-electronics hinzufügten, ein Quartett-Ping Pong von actio und reactio. Diese Musik kennt keine Entwicklung, sie formt ihre Soundcluster, ihre Geräuschsplitter und modellierten Töne wie Klangdünungen in wechselnder Intensität, so wie bereits zu Beginn ihres Daseins. Es ist bewundernswert, mit welcher Konsequenz Tony Oxley diesen Trip über drei Dezennien durchgehalten hat, aber er, wie viele andere Protagonisten dieser Szene auch, zeigt keine Richtung und kein Ziel, der einmal betretene Kreis wird nur beharrlich vertieft. Hans Reichel, Foto: Dagmar Gebers Sofern die Musiker einer jüngeren Generation angehören, rotieren auch sie im Sog des Vergessens. Erfahrungen sind weitgehend verbannt. Die Musik des Duos mit John Butcher an Tenor- und Sopransax und John Edwards am Bass war bezeichnend dafür: Extreme Tonlagen, wenige Phrasen, durchdringende Cluster bei Butcher, fast nur perkussive sounds von Edwards bestimmten das Geschehen. Weiterhin duellierte sich Edwards am Bass noch mit Paul Dunmall, der Folk und Free mit dem Dudelsack kurios mischte und dem Sopransax einige fast sentimentale Stimmungen entlockte. Spannend war bei beiden Auftritten eher zu beobachten, wie die Musiker aufeinander reagierten, als zu hören, was sie spielten. Denn beide Duos huldigten einem Purismus technischer Fertigkeiten mit geringfügigem Wiedererkennungswert. Allerdings gab es eine Ausnahme: die Gruppe mit Hans Reichel, Gitarre und Saxophon, Rüdiger Carl, Klarinette und Akkordeon, Carlos Zingaro, Violine, und Jin Hi Kim, die an der Komungo, eine Art Riesenzither aus Korea, zupfte. Diese Besetzung trat im „Podewil“ zum ersten Mal auf, und indem sie einen Schritt zurück machte, konnte sie der free music nachhaltige Impulse geben. Tonale Segmente wurden langsam aufgebaut, sogar in Ostinato-Figuren geschleust. Die Initiative ging dabei vor allem von Jin Hi Kim aus, aber auch von Reichel. Solche durchaus jazzigen Phrasen modifizierten die anderen nach und nach arbeitsteilig, zerlegten die Sounds und Rhythmen, um sie dann wieder neu zusammen zu setzen. Ein solches Konzept, das Freiheiten der Improvisation mit minimal festgelegter „Komposition“ verbindet, befindet sich nicht im Kreis, sondern auf einer Spirale. Vergangenheit wird nicht ignoriert, sie wird kreativ integriert. Diese Gruppe leuchtet der alten Avantgarde in frischen Farben voran.

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