„Peter Grimes“ war die erste Britten-Oper, die Immo Karaman 2009 für die Deutsche Oper am Rhein inszenierte. Dann folgte 2011 „Billy Budd“ und im Jahr darauf „The Turn of the Screw“. Stets war das Lob für Karamans Arbeiten groß, der Publikumszuspruch gewaltig. Nun liefert der Regisseur seine vierte Produktion für das Haus: „Death in Venice“ feierte am vergangenen Wochenende Premiere, wieder höchst erfolgreich.
Wie in den meisten Opern von Benjamin Britten geht es auch in „Death in Venice“ latent um den Komponisten selbst, und in diesem Stück vielleicht ganz besonders. Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“, Grundlage für das Opern-Libretto, stellt den Dichterfürsten Gustav von Aschenbach ins Zentrum, einen Künstler in der Schaffenskrise, der an den Punkt seines Lebens gekommen ist, über sich und die Kunst und die Welt nachzudenken. Über die einander entgegengesetzten Pole geistiger und körperlicher Makellosigkeit. Über das apollinische Kunstideal reiner Schönheit – und im Gegensatz dazu über das dionysische Verlangen nach sinnlicher Erfüllung. Letzteres hat Aschenbach konsequent unterdrückt. Hier, in Venedig, bricht es sich nun seine Bahn. Tadzio ist der Auslöser, jener wunderhübsche Jüngling, dessen adonishafte Erscheinung für Aschenbach dem perfekten Knaben-Ideal gleichkommt. Das hat er (offenbar) immer begehrt.
Immo Karaman verzichtet darauf, die Oper dort sichtbar zu verorten, wo sie Thomas Manns Novelle zufolge spielt. München, Venedig... das ist in der Tat unerheblich. Es geht um Aschenbachs inneren Monolog, um seine Selbstreflexion. Und dafür liefert Kaspar Zwimpfers gleichbleibende Raumkonstellation geradezu ideale Voraussetzungen. Ganz zu Beginn steckt Aschenbach in einer engen Kammer mit schmucklosen hohen Wänden – eine sprechende Metapher für seinen Zustand! Das Ganze verschwindet dann ziemlich schnell im Schnürboden und der Blick fällt auf eine rechteckige Fläche, die problemlos als Hotel-Lobby, venezianische Innenstadt, Reisebüro und Strandareal interpretiert werden kann. Und immer, wenn Bedarf besteht (und der besteht häufig), senkt sich die enge Kammer erneut vom Schnürboden herab, Aschenbach ist dann wieder mit sich allein – oder beim Coiffeur, der ihm durch die Blume von der Cholera-Epidemie in Venedig berichtet.
Karaman hat sehr gut in Brittens Musik hineingehört und setzt sie immer wieder in faszinierende Bilder. Aus dem Orchestergraben (am Pult: Lukas Beikircher) tönt es ganz schnörkellos, sachlich, mitunter schroff – exakt passend zu dem bisweilen bizarren Geschehen auf der Bühne. Da wird, den Anweisungen Brittens folgend, auch getanzt (Tadzio und seine Familie). Fabian Posca weitet dieses Tanzen aber noch aus und entwirft zusätzliche Choreografien, die hier und da eine gewisse Kühle verströmen.
Zwei große Sänger-Rollen werden verlangt. In Düsseldorf sind sie zu erleben: Raymond Very als Aschenbach, Peter Savidge als sein Gegenspieler. Der Eine ein Introvertierter, in sich Gefangener mit einer großen Stimme und vorbildlicher Diktion (man versteht jedes Wort!) – der Andere eine dämonische Erscheinung mit biegsamem, ausdrucksvollem Bariton. Tadzio und sein Freund Jaschiu werden getanzt von Denys Popovich und Talib Jordan, zwei jungen Schülern der Staatlichen Ballettschule Berlin, die ganz zu Recht mit besonderem Beifall belohnt wurden. Chor und Chargen in diesem äußerst personalintensiven Werk – auch sie von bester Qualität.
Es sei der Abschluss des Karaman-Britten-Zyklus, hieß es in Düsseldorf. Schade, denn da gibt es noch „A Midsummer Night’s Dream“. Auch das wäre was für Immo Karaman und sein Team. Vielleicht wird’s ja doch noch...