Es ist eine pfiffige Marketingidee dieses Kombiticket für drei Werke der Moderne, zu der sich die Opernhäuser in Chemnitz, Halle und Magdeburg da zusammen getan haben. Wer in Chemnitz „Paradise reloaded“ von Peter Eötvös, in Halle Hans Werner Henzes „Phaedra“ und in Magdeburg die Philip Glass Kammeroper „Der Prozess“ besucht, der bekommt die jeweils anderen beiden, wenn er interessiert, auf den Geschmack gekommen und reiselustig ist, die jeweils anderen beiden Stücke zum halben Preis. Ob das funktioniert, wird man sehen – die Idee jedenfalls hat Charme.
Und die drei Objekte der Be- beziehungsweise Neugierde haben es alle auf ihre Weise in sich. Die letzte Premiere aus diesem Trio war jetzt in Magdeburg. Wegen des Formats als Kammeroper, sinnvollerweise im dortigen Schauspielhaus.
Mit der deutschen Erstaufführung einer Philip Glass-Oper kann sich ein Opernhaus obendrein allemal schmücken. Und Publikum anlocken. Seinen internationalen Durchbruch hatte der 1937 in Baltimore geborene Vertreter der sogenannten Minimal Music 1976 mit „Einstein on the beach“. Seither hält er sich mit ungebrochenem Output in der Riege der nachgefragten Vertreter seiner Zunft. Die neueste Kafka-Veroperung „Der Prozess“ ist im Oktober in London uraufgeführt worden. Das von der Britin Karen Stone geleitete Opernhaus in Magdeburg gehört neben dem Music Theatre Wales und dem Royal Opera House Covent Garden London zu den Auftraggebern und hatte daher jetzt das Privileg der deutschen Erstaufführung. Nun ist es nicht gleich ein Großformat wie „Waiting of the Barbarin“, mit dem die Oper Erfurt vor zehn Jahren einen internationalen Erfolg einheimste, sondern „nur“ eine Kammeroper. Im Graben des Schauspielhauses genügen dazu vier Streicher, 6 Bläser, ein Klavier und zwei Schlagwerker, die Hermann Dukek am Pult überzeugend im Zaum Hält. Und vorwärts treibt.
Musikalisch ist dieser typische Glass eher harmlos. Avancierte Moderne klingt mehr nach Eötvös und eben Henze. Die Minimal Music, für die Glass steht, schwebt im Grenzbereich zwischen E- und U-Musik, in dem sich bald so eine Art Bolero Effekt einstellt. Im besten Fall sind diese rhythmisch aufgefädelten Wiederholungen immer gleicher Module mit Variationen, eine Art Wellness-Musik, bei der ein Tuttischlag der Instrumente als Auftakt, oder ein arioses Aufflackern schon aus dem Rahmen fallen.
Im „Prozess“ gehen der gespenstisch eskalierende Alptraum, den Josef K. durchlebt und der besondere Glass-Sound eine suggestive Melange ein. Diese Eloquenz entfaltet ihre ganz eigene Suggestivkraft der Verzweiflung und der Unentrinnbarkeit, in die Josef K. gerät.
Michael McCharthy (Regie) und Simon Bahnham (Bühne), die schon die Londoner Uraufführung in der in Magdeburg hergestellten Bühne besorgten, verlegen die Konfrontation von Josef K. mit dem Personal der Justiz, also dem Gesetz, das vermeintlich das Recht durchsetzt, aber längst ein Eigenleben führt, dem der Einzelne ausgeliefert ist, in einen beklemmenden Raum. Mit Ritzen, Fenstern, Türen und einer spärlichen Möblierung. Joseph K. wird hier bedrängt von Gerichtsdienern und einem Untersuchungsrichter, sucht Hilfe beim Advokaten, bei der Allerweltsgeliebten Leni, bei seinem Onkel Albert. Er bäumt sich auf gegen die Maschinerie, erkennt, dass die Unfreiheit wohl auch in ihm selbst liegt und kommt am Ende um.
Die Wirklichkeit wird hier zu einem Alptraum, also zu dem, was man kafkaesk nennt. Mit seinem englischsprachigen Libretto bleibt Christopher Hampton dicht am Kafka-Fragment und erzählt die Geschichte klar und nachvollziehbar. Weder er noch Glass unterschlagen dabei den bitteren Humor beim Staunen über die Absurdität des Seins. Vor allem aber wird das Ausgeliefertsein, die eskalierende Hilflosigkeit Josefs vom Graben aus nachvollziehbar. So dass der Prozess durch die Musik tatsächlich jene zusätzliche Dimension erhält, die so ein Unternehmen rechtfertigt. Wie schon in London ist Johnny Herford der sympathische Josef K., der im Labyrinth des Gesetzes umkommt. Die übrigen 17 Rollen teilen sich 7 Magdeburger Ensemblemitglieder, von denen sich vor allem Julie Martin du Theil als Leni, Michael J. Scott als Maler Titorelli und Roland Fenes als Advokat Huld in den zweieinviertel Stunden inklusive Pause profilieren. Einhellige Zustimmung des Publikums.