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Auftakt verspielt Erwartungshaltung

Untertitel
Erstes „ritual“-Konzert führt Publikum in Köln spazieren und in die Ratlosigkeit
Vorspann / Teaser

Köln, im Juni. – Jede neue Generation schaut neu auf das, was einmal Neue Musik hieß. Was jene hier und jetzt hervorbringt, ist darunter nicht mehr subsumierbar. Die Binnendifferenzierung vollzieht sich bekanntlich schon des Längeren. Oder man sagt so: Das Ausfransen der Ränder geht einfach weiter. Seinerzeit war das Happening, war das Aktion, war später Installation und vieles mehr. Von der notierten Musik, vom ernsthaften Befassen mit dem, was mal selber Tradition neuer Musik war, hat man sich verabschiedet. Wenn eine neu an den Start gehende Konzertreihe in Köln „Ritual“ heißt, wenn sie „Spaziergänge und Musik“ kombiniert, nimmt sie Maß nur an sich selbst. Wer mit Hintergrund kommt, wer mit Anspruch kommt, kommt ins Grübeln. Ein Stimmungsbericht von einer verlatschten Premiere.

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Der Gong tönt. Sophie kommt. Allgemeine Begrüßung mit Handschlag. Ob es eine Eintrittskarte mit oder ohne Blindenschrift sein darf? Mit natürlich! Das offerierte Kärtchen so grün wie der Kölner Stadtgarten an diesem lauschigen Juniabend. Worum geht’s? – Das Handout gibt sich geheimnisvoll. „Mache einen Spaziergang: Höre nach jeder Kurve behutsamer als zuvor.“

Behutsam hören? Werden jetzt Ohrstöpsel ausgeteilt? – Nein, stattdessen darf jeder in ein Säckchen greifen. Murmeln, Steinchen kommen zum Vorschein. Talisman? Wünsch dir was? – Man rätselt noch, da mahnt Sophie zum Aufbruch. Wir gehen schweigend, sagt sie. Nun gut. Und schon geht’s los. Allein sind wir nicht. Die grüne Oase lockt so manche: Junge Mütter, die Kinderwagen schieben und telefonieren, Liebespaare, Feierabendtrinker. Unsere Schweige-Prozession schiebt sich ungerührt vorbei. Sophie vorweg. Eifrig werden Bilder gemacht. Doch von was? Wir latschen ja nur. Sind indes voller Erwartung! Gleich hinter dem nächs-ten Baum, der nächsten Bank, werden wir überrascht mit Darbietungen – denkt man. Am Baum geht’s vorbei, an der Bank geht’s vorbei – nichts tut sich. Aber dahinten – da ist was! Sanfter Gitarrenklang erreicht unser auf Behutsamkeit getrimmtes Ohr. Und tatsächlich! Da hockt einer, traktiert eine Klampfe, singt seiner Liebsten zur Rechten bluesiges Allerlei. Sollte das – ?
Nein, das ist nur ein Zufallsgast auf der Ritual-Tour. Denn Sophie, die kurz mitswingt, geht, lächelnd, weiter. Und wir mit ihr.

Schmunzelnd durch den Park

Minute fünfzehn unseres Andante silentium ist angebrochen. Noch einmal ein Abzweig, eine letzte Kurve, dann nehmen wir ersichtlich wieder Kurs auf den Ausgangspunkt und es dämmert – draußen, vor allem aber drinnen in uns. Was Erwartung war, was sich aufgebaut hat, wird nicht bedient werden. Soviel steht jetzt fest. Enttäuschung? – Nicht direkt. Denn ist das Unterlaufen von Gewohnheiten nicht ein gern angewandter Dreh, jedenfalls an den Rändern dessen, was früher Musik-Avantgarde hieß? Kommt es uns nur so vor oder ähnelt das Lächeln von Sophie jenem ihres Urahnen im Geiste, jenem Großmeister im Aufstellen von Publikumsfallen? Der listige John Cage war’s doch, der es vorgemacht hatte. Versammle ein Orches-ter und lass’ es schweigen – vier Minuten dreiunddreißig Sekunden lang. Eine Ewigkeit, wenn die Erwartung drängt! Unser Schweigegehen durch den Kölner Stadtgarten wie ein fernes Echo darauf. Mit dem Ergebnis, dass die feine Ironie der Mache-einen-Spaziergang-Maßnahme uns ein Lächeln in die Gesichtszüge zaubert. Nur, wie jetzt weiter? Gehört zu einer neu angekündigten „Konzertreihe für Köln“ nicht auch ein Köln-Konzert? Sophie liest unser Mienenspiel und sagt: Bis in einer halben Stunde im Konzertsaal, bitte Geduld!

Ein Lächeln vergeht

Haben wir. Als es endlich losgeht, ist Letztere allerdings bald aufgebraucht. Das angekündigte Ritual-Konzert hat mit dem vorgelagerten Ritual-Spaziergang allenfalls das Unterlaufen von Erwartungen gemeinsam. Dass sich die Veranstaltungsregie jetzt, wo’s drauf ankommt, neuerlich bedeckt hält, regt nun weniger die Neugier als die Unlust. Programmheft? Programmzettel? Welchem Auftritt von welcher Band wir da harren? Fragen ohne Antwort. Mehr als Sophies Greencard haben wir nicht in den Händen. – Und dann erscheint sie doch, die Band, das Ensemble, die Gruppe, was auch immer. Auftritt von fünf Musikern. In der Mitte eine junge Frau. Sie hat ein Saxophon in der Hand, nennt die Namen ihrer Mitspieler, was unverständlich bleibt. Der Cellist neben ihr sagt, sehr textverständlich: „Und Luise Volkmann!“ Man tritt also an in der Besetzung Klavier, Saxophon, Cello, Bratsche, Vocals.

Was sich dann zuträgt in den folgenden sechzig Minuten, entzieht sich weitgehend der gewohnten Beschreibung von Musikereignissen. Das Dargebrachte bleibt, wie der in schönen Abständen auf die Bühne geblasene Theaternebel, schwadenhaft. Schwer zu sagen, worum es sich da handeln soll. Zwar haben die Musiker viel Papier auf den Pulten, die sich zuweilen selbständig machen, ohne dass im Ergebnis zugleich erkennbar komponierte, notierte Musik vorgetragen würde, solche, die Partituren im Hintergrund hätte. Neue Musik im weitesten Sinn scheidet aus. Jazz ebenfalls. Nichts von dem, was da Klang wird, swingt auch nur annähernd. Alles steht, verharrt, kommt nicht vom Fleck. Und die englischsprachigen, mehrheitlich unverständlich bleibenden Gesangstexte? Die hat, wird uns zwischendrin mitgeteilt, dankenswerterweise Sophie beigesteuert. Zu welchem Behufe? – Nun, es gehe um „Rites de passage“, sagt Luise Volkmann und übersetzt das gleich mit „Übergangsrituale“, was ersichtlich weniger cool klingt als die version française davon. Ist klar. Marken setzen.

Wo spielt die Musik?

Es folgt die nächste Nummer. Sängerin intoniert, haucht ein Irgendwas ins Mikro, die anderen setzen kanonisch ein, kommentieren nach Gusto. Es schält sich ein Muster heraus. Tongeben, Hinstellen von Bögen, von Themen, Motiven oder was auch immer, deren improvisierendes Fortspinnen oder etwas daran Erinnerndes, gilt dem Quintett als das schlechthin zu Vermeidende. Tauchen Klänge auf – und die Ausführenden, das wird trotz allem deutlich, sind durchaus ausgebildet darin – werden sie ebenso rasch angeschmutzt, ins Geräusch gezogen, werden die Linien ihres Linienhaften beraubt, wodurch, weil Redundanzen ausbleiben, sich keine Form einstellen kann.

Was sich da vor einem kleinen, aber bereitwillig mitgehenden Publikum vollzieht, ist irgendetwas zwischen experimentellem Live-Hörspiel, live performten Beiträgen zu aparten Geräuscharchiven oder Imitation von Tierstimmen, wenn da etwa zu einem wilden Saxophon-Solo Cello und Bratsche in tiefen Registern die Saiten beschaben, Pianist Synthesizerschmotzen absondert, Sängerin sich dunkelfarben draufsetzt. Das klingt dann tatsächlich als ob man auf einer abgelegenen Insel einer Horde von Walrössern beim Bullenkampf ansichtig würde. Dass die natürlich auch ihre „Rites de passage“ haben, ist unstrittig, was aber den anderen Eindruck evoziert: Fünf Personen suchen. Einen Autor, einen Sound, einen Sinn, ein Publikum und vor allem: sich selbst.

Schließen wir, der allfälligen Bewerbung wie der Gerechtigkeit wegen, mit einem Zitat aus der aus dem Netz herausgefischten Internetseite: „ritual ist eine Konzertreihe – kuratiert von Sophie Emilie Beha – die von Juni bis November jeweils am 01. Tag des Monats in verschiedenen Locations rund um den Stadtgarten stattfindet, weitere Infos via der ritual-Homepage.“

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