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Nicola Alaimo als clownesker Falstaff. Foto: KHP/Semper Oper

Nicola Alaimo als clownesker Falstaff. Foto: KHP/Semper Oper

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Ausgang der Geriatrie – Verdis „Falstaff“ an der Semperoper

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Verdi hat mit 80 Jahren diesen Mann beschrieben, der so gnadenlos scheitert und dennoch trotzig bleibt. Verdis „Falstaff“, der mit einer Fuge endet und die ganze Welt als verrückte Komödie in Shakespeares Sinn beschreibt, beendet das 19. Jahrhundert, das Zeitalter der Romantik, das Zeitalter der alten Musik. 

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Im „Falstaff“ ist schon eine neue Musik zu hören. „Tutto è finito. Alles ist zu Ende.“ Und ist alles gut? Ist die Harmonie wieder hergestellt? Keineswegs. Einem Rüpel wurde eine Lektion erteilt, mehr nicht. Das klingt sowohl im Text als auch in der Musik heiter, grotesk, bisweilen absurd, und das Orchester klingt oft sehr viel ernster und tiefer als das, was da gespielt und gesungen wird. Es ist am Ende in der alten Form der Fuge ein zerbrechlicher Frieden, mehr nicht, und letztlich sind wir alle die Gefoppten, „Tutti gabbati“!“  Recht hat der Dirigent der Neuinszenierung an der Semperoper, Daniele Gatti, der „Falstaff“ ist sein Einstand als GMD der Dresdner Staatskapelle zu Beginn der Spielzeit 25/26. Damiano Michieletto ist für die Neuinszenierung verantwortlich.

Die „Commedia lirica“ in drei Akten „Falstaff" ist Verdis zweite komische Oper und gleichzeitig sein letztes Bühnenwerk. Das Libretto von Arrigo Boito basiert auf William Shakespeares "Die lustigen Weiber von Windsor", unter Einbeziehung von Szenen aus Heinrich IV., Teil 1,  und Heinrich IV., Teil 2. Die Uraufführung fand am 9. Februar 1893 im Teatro alla Scala in Mailand mit dem größten Erfolg statt. Längst gehört das Werk weltweit zum Standardrepertoire, benötigt aber einen erstklassigen Dirigenten und handverlesene Sänger, zu schweigen vom Regisseur, um angemessen realisiert zu werden.

Von Michieletto hat man in Rom, in Venedig, in Berlin und anderswo schon äußerst unkonventionelle, aber sehr interessante, überzeugende Inszenierungen gesehen. Sein mit Spannung erwarteter Dresdner“ Falstaff ist allerdings, um es gleich zu sagen, eine große Enttäuschung!

Falstaff ist bei Michieletto ein Bandleader, ein in die Jahre gekommener Rocker, das kennt man von Mick Jagger und Keith Richards, von Rod Stewart, Sting und Bryan Adams. Auch Keith Richards plädierte für ein Glas Wein zum Mittag- und Abendessen. Der Verdische Falstaff ruft zu Beginn des Stückes laut nach einer neuen Flasche, „Holla! Un’altra bottiglia!“ Doch Weinflaschen sieht man bei Michieletto nicht, stattdessen Getränkedosen und Plastikflaschen, aus denen Falstaff wie ein Prolet säuft. Schließlich wird er mit einem Müllcontainer volles leerer Getränkedosen und Plastikflaschen überschüttet. Von wegen Wäschekorb, Themse  und Windsor. Die ganze Inszenierung atmet sterile technoide Sterilität. Die große, leere Bühne (Paolo Fantin) gleicht einer modernen entrümpelten Flughafenhalle mit hin und herfahrenden Säulen. Ein Geflecht von Neonröhren am Bühnenhimmel. Beliebigkeit und Langeweile herrschen vor.  Zu Beginn sieht man den bühnenartigen Auftrittsort einer Band namens "Sir John“ in einem Provinz-Tanzlokal. Es ist das legendäre „Dancing 007“ an der Adriaküste in der Emilia Romagna, wie Michieletto mitteilt. Schon seine Verwandten seien dort gewesen. Das wollte man immer schon wissen. Er betrachtet diesen nostalgischen Ort der Rockmusik als ideale Kulisse für den Verdischen“ Falstaff“, der bei ihm in einen Anzug aus blauem Samt gezwängt als alter, etwas aus dem Leim gegangener Rockstar mit Gitarre auftritt, eine lächerliche Figur.  

Bei Verdi ist Falstaff zwar ein dicker Aufschneider, ein peinlicher alter Mann, ein ständig saufender, fressender, abgebrannter Hochstapler, der es sich auf Kosten anderer gut gehen lässt, und der sich immer noch für einen großen Frauenverführer hält, während die Frauen ihm schon hinter seinem Rücken den Vogel zeigen. Er hat noch nicht begriffen, dass seine Zeit vorbei ist. Aber er ist ein Mann von Klasse, eine Respektsperson, ein Lebemann mit Würde und Noblesse.  Eine Schwäche hat er: Er hat Angst vor dem Alter und dem Tod. Das führte den Regisseur zu dem fragwürdigen Konzept (es ist seine einzige Inszenierungsidee), in der Schlussszene der Oper einen Chor (Dresdner Staatsopernchor, Leitung Jan Hoffmann) der Schwerbehinderten, Kranken, Rollstuhlfahrer und sogar am Tropf hängender Patienten auf die Bühne zu verfrachten nach dem Motto "die Geriatrie hat Ausgang". Ausgerechnet diese jammervollen Krankenhausinsassen stimmen dann die Schlussfuge „Tutto nel mondo e burla“ an. Mancher mag das als zynisch und geschmacklos empfunden haben. Lachen konnte man darüber jedenfalls nicht. In dieser langweiligen Veranstaltung in Dresden, frei nach der Komödie Boitos frei nach Shakespeare, musste man bis zur Schlussszene warten, um zu verstehen, worauf der Regisseur eigentlich hinauswill. Michieletto hat die glänzende Komödie des herunter­gekommenen, trunk­süchtigen, dick­bäuchigen Sir, der aus Lüsternheit und Geldnot den wohl­habenden Da­men nachstellt, von ihnen ordentlich gefoppt und dem Gespött der guten Gesellschaft preis­ge­geben wird, als dröges verlegenes Spiel, ohne Pepp, Witz, Charme, Glaubwürdigkeit und Originalität präsentiert. Die „lustigen Weiber von Windsor“ treten mal in spießigen Kostümen der Sechzigerjahre auf, mal als „Dancing Queens“ mit reichlich Glimmer, Glitter und Federn wie Revuegirls, unterstützt non ebenfalls glitzernden Cowgirls die mit Revolvern hantierten, einer Western-Show entsprungen zu sein und Revueschritte wagten. Es war peinlich. Ansonsten wälzte sich der Dick mal mit einer der Damen auf einem Kitschbett, oder er ging an den leeren Kühlschrank, der mit Aludosen befüllt wurde, die Damen wurden auf den Säulenfüßen hin- und hergefahren, Ach nein, auch Kleiderständer wurden zuweilen hin- und hergefahren, Leuchtstoffröhren gab es in vielerlei Formationen und Färben am Bühnenhimmel und auf der Bühne. Aber von Shakespearescher Renaissance oder gar von Romantik und Sommernachtstraum keine Spur. Kein Mond, keine Insekten, kein Wald, kein Geweih auf dem Haupt Falstaffs. Er wirkte einfach nur lächerlich, eine Witzfigur auch im Morgenmantel des letzten Bildes, als er wie ein altes, weinerliches Weib auftrat. Über das anhebende Tohuwabohu der sich bis auf die Unterwäsche entkleideten Krankenhausinsassen, die plötzlich auf lustig machten und Plakate von einer Sir John-Show emporhielten, mochte man auch nicht lachen. Die Chance war vertan, über und mit Sir John Falstaffs Einsichten über seine Dummheit, und über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen herz­haft lachen zu können.

Dieser „Falstaff“ war aber nicht nur szenisch ein Desaster. Auch im Graben ging es desaströs zu. Der Einstand des neuen GMDs der Staatskapelle Dresden, des umstrittenen Daniele Gatti war eine große Enttäuschung. So durchaus klug seine essayistischen Auslassungen über Verdis heiteres „Weltabschiedswerk“ auch sind: Sein Dirigat ist über weite Strecken pauschal und undifferenziert, lässt alle Brillianz und orchestrale Pikanterie vermissen, man hat die „Dresdner Wunderharfe“ weiß Gott schon besser gehört, im letzten Akt wurde das Dirigat schließlich immer leiser und – mit Verlaub gesagt – auch immer langweiliger. Gattis Luft war raus. Wer diesen Dirigenten bereits anderswo gehört hatte, war allerdings nicht überrascht.  Von den legendären Interpretationen Soltis, Bernsteins, Mutis, Abbados, Sabatas, um nur einige zu nennen, vor allem von der überragenden, scharfausgeleuchteten Lesart Toscaninis ist der Dresdner GMD meilenweit entfernt. Nein, das war kein vielversprechender Einstand!

Mit den Sängern sieht es besser aus, die Partien waren zwar nicht sensationell, aber durch die Bank gut und überzeugend besetzt. Nicola Alaimos machtvoller Bassbariton, er mimte allerdings eher einen fast clownesken Falstaff, ist eingebettet in ein hoch­ka­rätiges Sängerensemble, in das sich der Bass Marco Spotti als (Rockmusiker) Pistola ebenso gut einfügt wie Rosalia Cids zarte Nannetta, Marie-Nicole Lemieuxs sinn­liche Mrs. Quickly, die allerdings einer gewissen Vollmundigkeit entbehrte, und Eleonora Burattos belcantische Alice Ford. Ein markantes Glanz­licht setzt Lodovico Ravizza als auftrumpfender Mr. Ford. Alles in allem aber sah und hörte man dieses letzte wunderbare Werk Verdis selbst an kleineren Bühnen schon eindrucksvoller. 

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