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Das Brahms-Institut hat Lübeck zu einem Standort ersten Ranges für die Musikforschung gemacht. Und zwar weil hier Dokumente und Quellen von und über Brahms einen bleibenden Platz erhielten, die sonst nirgendwo und nicht in der Güte gelagert sind. Nachrichten über Stichvorlagen, sozusagen die Korrekturfahnen der Musik, sind für die Brahms-Forschung gleichbedeutend mit einem Fahndungserfolg, denn viele Autographe sind verschollen oder unzugänglich. Und Stichvorlagen sind deshalb unersetzliche Quellen, weil sie Rückschlüsse zu Brahms’ Arbeitsmethode erlauben.
Nachdem das Brahms-Institut bereits vor vier Jahren (siehe nmz 2/95 und 6/97) ein gewichtiges Konvolut erwerben konnte, fand im April 1999 die Übergabe weiterer seltener Stichvorlagen im Rahmen eines Festaktes an der Musikhochschule Lübeck statt. Durch Vermittlung des Londoner Antiquars Albi Rosenthal, der die Arbeit der Professoren Renate und Kurt Hofmann, beide sind Direktoren des Instituts, diskret, aber nachdrücklich unterstützt, haben folgende Stichvorlagen und Erstausgaben den Besitzer gewechselt:
„Liebesliederwalzer“ op. 52 a in einer Kopistenabschrift, bei der Brahms die Vokalstimme fürs Klavier umgearbeitet hat, „Neue Liebeslieder“ (mit Vokalpart) op. 65 in korrigierter Fassung, „Klarinettensonaten op. 120 (1, 2) in der Version für Violine und Klavier, wobei die Verteilung der Violinstimme ins Original eingearbeitet ist. Schließlich noch die „49 Deutsche Volkslieder“ WoO 33 als Korrekturabzug und Stichvorlage, deren wiederholte akribische Bearbeitung Brahms‘ lebenslange Beschäftigung mit den Volksliedern dokumentiert.
Diese Handschriften sind Unikate. Da sie bisher im Privatbesitz waren, waren sie der Forschung nur schwer zugänglich, sind aber von unschätzbarem Wert für die Brahms-Gesamtausgabe. Sie stammen aus dem Nachlaß des österreichischen Musikwissenschaftlers und Sammlers Oswald Jonas (1897–1974), der in den 30er Jahren in die USA emigrieren mußte. Albi Rosenthal kannte Oswald Jonas persönlich und wußte, daß dessen Tochter Irene Schreier-Scott den Nachlaß ihres Vaters verkaufen wollte. Nach vierjährigen Verhandlungen konnte er den Verkauf an das Brahms-Institut lancieren. Die Finanzierung des Betrages von etwa 400.000 Mark haben sich die Kulturstiftungen der Länder und des Landes Schleswig-Holstein, das Bundesinnenministerium, die Possehl-Stiftung Lübeck und der Förderverein des Brahms-Instituts geteilt.
Wesentlich schneller gelangten Reste des Simrock’schen Verlagsarchives in den Bestand des Brahms-Instituts. Fritz Simrock, Brahms’ Verleger, hatte in einem Schrank frühe und Erstausgaben von Mozart, Haydn, Dvorák, Schumann, Beethoven und natürlich Brahms aufbewahrt. Nachdem der Verlagssitz 1870 von Bonn nach Berlin wechselte, der Verlag 1902 in eine GmbH umgewandelt worden war, ist er 1929 verkauft worden.
Simrocks Enkel Walter Auckenthaler hat diesen Schrank nach der Verlagsauflösung 1936 in die Schweiz mitgenommen. Wiederum waren es die persönlich guten Kontakte von Renate und Kurt Hofmann, dank derer Anfang 1999 dieser Fundus für die Musikwissenschaft zu einem günstigen Preis nach Lübeck gelangte.
Denn hier ist er nach Meinung Walter Auckenthalers am besten aufgehoben. So hat das Institut jetzt einen Bestand vorzuweisen, der Material für die internationale Brahms-Forschung bis ins nächste Jahrtausend bereit- stellt.