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Valeria Chiara Purzer (Grandma) und Julia Bergen (Pugsley Addams). „The Addams Family“ | Bayerische Theaterakademie August - Everding. Foto: Lioba Schöneck

Valeria Chiara Purzer (Grandma) und Julia Bergen (Pugsley Addams). „The Addams Family“ | Bayerische Theaterakademie August - Everding. Foto: Lioba Schöneck

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Bühnenweit amüsante Absurditäten – Münchens Musical-Nachwuchs begeistert mit „Addams Family“ im Prinzregentheater

Vorspann / Teaser

Was ist schon normal? Das muss in einer schier grenzenlos individualisierten und pluralistischen Gesellschaft stets neu hinterfragt und sozusagen „justiert“ werden. Daran sitzen Soziologen, Politologen und – ja, auch Künstler. Frech, witzig und abgründig hat dies ab 1933 auch Charles Addams getan – und aus seinen Cartoons wurde über Buch- und Film-Erfolge auch eine Bühnenfassung bis hin zum Musical. Dem stellten sich jetzt die Teams von Münchens Theaterakademie und Hochschule für Musik und Theater.

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Naserümpfend kann natürlich von „morbidem Humor“ gesprochen werden. Das beginnt beim Familienausflug und Tanzen der Addams auf dem Friedhof – wozu auch die Ahnen aus den Gräbern mal aufstehen und mitmachen. Das geht weiter zum Hunger auf Frischfleisch seitens der Familie Addams – und der bezieht auch Menschenfleisch mit ein… usw. usw. usw … in 100 pausenlosen Minuten wird fast jede Facette unseres konventionellen Zusammenlebens ad absurdum geführt. Denn die herangereifte Tochter Wednesday will einen hübsch-unbedarften jungen Mann heiraten. Das führt zur Begegnung der Addams mit den spießig erstarrten Eltern von Lucas. Da tun sich fast tödliche Abgründe auf – speziell als der Enthemmungstrank „Arcimonium“ getrunken wird. Fast scheint alle Liebe zu scheitern. Doch das Liebeslied von Onkel Fester (Tillman Schmuhl) an die ferne Geliebte „La Luna“, sprich: die Mondgöttin (ein beweglich mitspielender Scheinwerfer) rührt alle. Also siegt am Ende doch die Liebe. Dafür gab es viel Szenenapplaus, am Schluss einhelligen Jubel und eine standing ovation.

Zu Recht für nahezu alle und alles. Da hatte Stephan Prattes die leere Bühne bis an alle Grenzen aufgerissen. Dann senkte sich ein bühnenhimmel-großes weißes Tuch – und seine raffinierte Aufhängung an x Drähten ermöglichte viel-falt-ige Aufzüge und Absenkungen – und schon ergaben sich szenisch-dramatisch fließend allerlei Räume und Spiellandschaften. Außerdem war diese durchscheinende Leinwand auch immer wieder Projektionsfläche für Bäume, Tore, Grabsteine und ins Riesenhafte wachsende Schattenfiguren. Bravo!

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Ensemble. „The Addams Family“ | Bayerische Theaterakademie August - Everding. Foto: Lioba Schöneck

Ensemble. „The Addams Family“ | Bayerische Theaterakademie August - Everding. Foto: Lioba Schöneck

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Bravissimo dann für die von Jakob Knapp angeleiteten Masken- und Kostüm-Abteilungen bzw. die Studierenden, die sich mehr als gekonnt „austoben“ durften – zwischen dem überlebensgroßen, Frankenstein-ähnlichen Lurch mit akustischem Monster-Grollen (Bjarne Rentz) und der im gelb-orangen Hochzeitskleid als „DHL-Paketauto“ gehöhnten Wednesday (Melanie Maderegger) ließe sich seitenlang aufzählen, was für herrlich anzusehende, schauerlich absurde Figuren da durch die Spiellandschaft tollten. Denn die Choreographie von Gaines Hall und die Regie von Malte Lachmann verflossen bruchlos zu einem fetzigen Gespensterreigen.

Da gab es Stepp-Tanz-Geklappere von den Geistern; da gab es Lullaby-Soft-Sound für Erinnerungen und dann immer wieder Tango-Glut – perfekt in der großen Versöhnung vorgeführt von der reizvoll streng verführerischen Morticia von Amy Sellung und dem chevalresk eitel-eleganten Gomez von Brandon Miller mitsamt dem Ensemble – tutti bravi! Dass da nach anfangs unausgeglichener Aussteuerung dann zunehmend gut pointierter Text und fast durchweg guter Gesang zu hören waren, war diesem Jogi Löw zu danken, der da mit schwarzer Absurd-Perücke aus dem Orchestergraben hochkam: der fast unkenntliche Dirigent Andreas Kowalewitz, der mit dem zwölfköpfigen „Addams Afterlife Orchestra“ sein „Händchen“ für derart quirlige Musik bewies. Alles zusammen die Ovation wert: um den Nachwuchs für das unterhaltende Theater muss man sich keine Sorgen machen.

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