Die Abfertigungshalle eines Flughafens: Tag für Tag wieseln hier Tausende Menschen herum, verladen ihr Gepäck, zücken ihre Tickets, checken ein und warten geduldig auf ihren Abflug. Aber was, wenn es mal nicht so klappt wie erwartet? Wenn „höhere Gewalt“ die Routine gehörig durcheinanderbringt? Diese Erfahrung machen jene Passagiere, die Jonathan Doves Oper „Flight“ bevölkern: Menschen wie Du und ich, ausgebremst durch ein Gewitter, das jeden Flugverkehr urplötzlich lahmlegt! Dies die Ausgangslage – und aus ihr heraus entsteht ein höchst interessantes Biotop.
Bühnenwirksam und repertoirefähig – Jonathan Doves „Flight“ an der Oper Bonn
Man kennt die Situation aus vielen Stücken auf der Theaterbühne: in einem „geschlossenen Raum“ werden Gefühle offenbar, die unter „normalen“ Umständen nie ans Tageslicht gekommen wären. Das ist auch in „Flight“ so, aber Jonathan Dove und seine Librettistin April de Angelis gehen das Ganze nicht tiefgründig-tragisch an, sondern führen letztlich alles zu diversen Happy-Ends.
Da sind Tina und Bill, die unausgesprochen an ihrer eingefahrenen Beziehung leiden, diese aber im bevorstehenden Urlaub neu beleben wollen. Da ist die sich so allein fühlende Frau Mitte 50, die (vergeblich) auf ein Wiedersehen mit ihrem jungen Ferienflirt hofft. Und das Flugbegleiterpaar, das sich – wo auch immer auf der Welt – für den schnellen Sex in irgendeiner Ecke irgendeines Flughafens trifft. Schließlich ist da noch das Diplomatenehepaar. Er soll und will einen neuen Job in Minsk antreten. Sie dagegen hat davor Angst und trifft ganz spontan den Entschluss, den Flieger gar nicht erst zu besteigen. Zudem erwartet sie sehr bald ein Kind!
All diese unfreiwillig Gestrandeten beobachtet „der Flüchtling“ (er bleibt bei Jonathan Dove namenlos), bettelt um Essen, um ein paar Cent Kleingeld. Er kommentiert, stellt Fragen und schaut auch einfach nur mal zu, was so alles passiert während der meteorologisch bedingten Zwangspause. Hoch über ihm und allen anderen thront im Tower die „Controllerin“, die absolute Herrscherin über den Flughafen. Sie greift immer wieder ganz egoistisch in das Geschehen ein – eine gottähnliche Figur.
So wie der Flüchtling betrachtet auch das Opernpublikum dieses „Biotop“ bis zum Ende: Die ältere Frau wird weiterhin verreisen, dabei auf eine neue Urlaubsbekanntschaft hoffen. Das Diplomatenehepaar auf dem Weg nach Minsk findet wieder zusammen, die Frau bekommt im Flughafen ihr Kind. Die Flugbegleiter merken, dass das Hocken an einem Ort nicht ihr Ding ist und werden sich weiter für kurze Dates treffen. Bill, der Mann in der zu reaktivierenden Beziehung, macht neue Erfahrungen – sowohl mit einem Joint als auch schwulem Sex. Bis ein Schlag auf seinem Kopf landet, er sein Gedächtnis verliert – und die Beziehung mit seiner Tina einen neuen, unbelasteten Anfang nimmt!
„Flight“ liefert durchaus sehr viel Material für eine Komödie. Regisseurin Adriana Altaras nutzt es für ihre Bonner Inszenierung, schafft immer wieder Lach-Momente, durchaus inspiriert von Jonathan Doves stilistisch breit angelegten Orchesterklänge, von Daniel Johannes Mayr ganz transparent, farbig und mit ordentlich „Drive“ umgesetzt. Etwas unterbelichtet bleibt bei Adriana Altaras allerdings das Tragische all dieser ganz menschlichen, persönlichen Geschichten. Bei ihr überwiegen, vor allem im (nachdenklicheren) dritten Akt, Spaß, Witz, auch Klamauk und (am Rhein womöglich saisonbedingt) das Karnevaleske.
Punkten kann Altaras’ Regiearbeit mit hervorragenden Sängerdarsteller:innen: mit Benno Schachtner als lupenrein intonierendem, strahlkräftigem Flüchtling-Countertenor, Sophia Theodorides als auch in extremer Sopran-Höhe mühelos anspringender Controllerin, Samuel Levine und Ava Gesell als abgekühltes Liebespärchen Bill und Tina. Carl Rumstadt und Tina Josephine Jäger (Flugbegleiter), Susanne Blattert (eine ältere Frau) sowie Mark Morouse und Sarah Mehnert (das Minsk-Ehepaar) sind eine absolut sichere Bank!
„Flight“ ist – das unterstreicht diese Bonner Produktion einmal mehr – zweifellos ein bühnenwirksames und deshalb ganz gewiss auch repertoirefähiges Stück. Ein spannendes Thema – mit spannender zeitgenössischer Musik, die niemanden vor den Kopf stößt!
- weitere Termine: 27. 1., 1., 4. und 24. 2., 15. und 24. 3.
https://www.theater-bonn.de
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