Das Alte, genauer gesagt die Tradition der Passionsspiele, ist eine wesentliche, wenn nicht die existenzbegründende Ursache für deren Bestehen. Nicht nur das Gelübde des Jahres 1634 zur Abwendung der Pestgefahr, alle zehn Jahre das Spiel auf die Bühne zu bringen, auch dieses Spiel selbst, das vom Leiden und Sterben Christi handelt, ist tiefer Urgrund unserer abendländisch-christlichen Tradition. Nun also der Übergang: Im Heiligen Jahr, dem ersten des neuen, dritten Jahrtausend, nach dem ersten Schuldeingestehen der katholischen Kirche tritt uns auch Oberammergau mit neuem Anspruch entgegen.
Was steckt dahinter, wenn eine oberbayerische Gemeinde alle zehn Jahre im Zentrum höchster öffentlicher Aufmerksamkeit steht, wenn von Mai bis Oktober fünf Mal in der Woche ein und dasselbe Stück bis zu 700 Personen auf die Bühne bringt und bei ausverkauften Veranstaltungen 500.000 Besucher erwartet werden? Jedenfalls mehr, als eine gewöhnliche Theater- oder Konzertveranstaltung, wie sie in Deutschland landauf und landab zu finden ist. Die Oberammergauer Passionsspiele sind etwas so Einzigartiges, dass Vergleiche oder vergleichende Anmerkungen nur mit äußerster Vorsicht angebracht werden können. Wo alle mitspielen, weiß jeder Bescheid, gibt es jede Menge gute Ratschläge, und vor allem viele Chancen, alles beim Alten zu belassen. Das Alte, genauer gesagt die Tradition der Passionsspiele, ist eine wesentliche, wenn nicht die existenzbegründende Ursache für deren Bestehen. Nicht nur das Gelübde des Jahres 1634 zur Abwendung der Pestgefahr, alle zehn Jahre das Spiel auf die Bühne zu bringen, auch dieses Spiel selbst, das vom Leiden und Sterben Christi handelt, ist tiefer Urgrund unserer abendländisch-christlichen Tradition. Nun also der Übergang: Im Heiligen Jahr, dem ersten des neuen, dritten Jahrtausend, nach dem ersten Schuldeingestehen der katholischen Kirche tritt uns auch Oberammergau mit neuem Anspruch entgegen. Sowohl der Text, zurückgehend ins 19. Jahrhundert, als auch die Musik von 1820 haben die umfassendste Neubearbeitung seit über 100 Jahren erfahren. Christian Stückl, Oberammergauer, Jahrgang 1961, ist ein theatererfahrener Missionar. Der ehemalige Regisseur an den Münchner Kammerspielen, der als Erster Spielleiter die große Integrationsfigur der Festspiele verkörpert, will mit seiner Arbeit den Maßstäben anspruchsvollen Theaters gerecht werden. Stückl und seinem Dramaturgen Otto Huber gelingt es, alle antijüdischen Bezüge in der textlichen Darstellung zu tilgen. Sie setzen neue Akzente bei einer Geschichte, die jeder zu kennen glaubt: die Geschichte Jesu zwischen Palm- und Ostersonntag. Ihre menschliche, aber auch theologische Seite wird in umfangreichen textlichen und dramaturgischen Neuerungen geboten. Vor allem die Rollen des Jesus, der Maria Magdalena und des Judas erfahren neue Akzentuierungen. Weit entfernt vom Nazarenertum des 19. Jahrhunderts zeichnet die Regie einen kraftvollen, sowohl politisch als auch theologisch jüdisch agierenden Christus. Daneben steht die Figur des Judas im Mittelpunkt. Er ist nicht mehr der Verräter, der Jesus aus Geldgier an die Hohenpriester ausliefert, sondern ein persönlich enttäuschter Anhänger des Rabbi, dessen Verrat die letzte politische Aktion ist.Nach sechseinhalb Stunden Passionsereignis ist allen Verantwortlichen für das Geleistete zu gratulieren. Stückls emphatische Begeisterung hat sich auf alle Beteiligten übertragen. Ob Chor, Orchester, Haupt- oder Nebendarsteller – es handelt sich übrigens ausnahmslos um Laien – wir durften an einer Vorstellung auf höchstem künstlerischen Niveau teilhaben und waren daneben tief berührt von der Botschaft, diesem Evangelium, das von Oberammergau ausgeht. In einer Zeit, in der die Menschen scheinbar mehr virtuell als real leben, haben uns die Oberammergauer zurückgeholt auf den Boden unserer Geschichte.
Dem Leiden und Sterben, das Christus beispielhaft für alle Menschen auf sich nimmt, wurde nichts von seiner Einmaligkeit und Größe genommen. Einen großen Beitrag an diesem überwältigenden Erfolg hatten vor allem die klug komponierten Bühnenbilder und die in jeder Hinsicht ansprechenden Kostüme (Stefan Hageneier). Die musikalische Umsetzung, die keinen Vergleich mit professionellen Theatern zu scheuen braucht, lag in den Händen von Markus Zwink, der auch für die Bearbeitung verantwortlich zeichnete.
Besonders hervorzuheben sind die Stimmen der chorischen Solisten (Gabriele Weinfurter-Zwink, Sopran, Gertrud Pensberger, Alt, Andreas Eitzenberger, Tenor, und Heino Buchwieder, Bass); daneben beeindruckten die Darsteller von Jesus und Maria Magdalena, das Geschwisterpaar Anton und Ursula Burckhart.
Als weiteres für neugierige Anteilnahme sorgendes Ereignis ist das Ausstellungsprojekt „14 Stations“ von Robert Wilson als Auseinandersetzung mit den 14 Stationen des Leidensweges Christi neben dem Festspielhaus zu besichtigen. Über beides, die Festspiele und die Wilson-Installation, geben zwei Bildbände, die im Prestel-Verlag erschienen sind, einen hervorragend fotografierten Überblick. Für alle, die sich auf Kartensuche begeben wollen, sei mitgeteilt, dass die Aufführungen im vollständig renovierten Festspielhaus noch bis zum 8. Oktober stattfinden.