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Pene Pati, Julia Kleiter. Foto: © Bernd Uhlig

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Cultural studies im Club der toten Dichter – „Hoffmanns Erzählungen“ an der Staatsoper Unter den Linden

Vorspann / Teaser

Mozarts „Don Giovanni“ findet nicht statt. Was den Frühromantikern, so auch E.T.A. Hoffmann, als die romantischste aller Opern galt, ist aus der Rahmenhandlung von Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ ausgeblendet, dessen Zitat aus Leporellos Registerarie über die gewaltige Anzahl der von seinem Herrn mit Macht genommenen Geliebten verpufft. Ein anderes Register macht stattdessen Lydia Steier auf in ihrer an der Berliner Lindenoper jüngst herausgekommenen Inszenierung von Offenbachs Hauptwerk ‑ einer Kooperation mit dem Warschauer Teatr Wieliki und, kaum überraschend, dem MusikTheater an der Wien. Einen Katalog der Männerphantasien, der gewaltigen und gewalttätigen Ab-, Um- und Ver-Bildungen Der Frau, von diesen im Plural stets teuer bezahlt. Eine Rechnung, die, ebenso wenig überraschend wie richtig, vor allem das Konto der männlichen Künstlergenies belastet.

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Die und nicht Studenten bevölkern demnach Luthers Kaschemme, sind alle längst tot, rauchen und saufen sich die Zeit um, die sie in diesem ausdrücklich Purgatorium genannten Keller bis zur etwaigen Läuterung abzusitzen haben. Reihenweise vertraute Gesichter, vor allem des 19. Jahrhunderts, vermeint man zu erkennen, darunter auch Wagner, van Gogh und, ja, auch Warhol. Der abgeranzte Hoffman kommt dazu, nachdem er verreckt ist vor einer Peepshow mit Stella als Prima Donna und nicht als Giovannis Donna Anna, und fängt Klein-Zack-ig an, seine Geschichten von Der Frau zum besten zu geben: Olympia, Antonia, Giulietta. Die Herren ähnlicher Schöpfungen hören mit Kennermienen zu. Lauter schöne Ideen, zweifellos. Wobei die, den Rahmen weiter anzureichern zum Kampf um des Dichters Seele zwischen Engel, aka Muse, Nicklausse, und Teufel, aka Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto, altertümelnd faustisch daherkommt und beinahe reaktionär muffelt angesichts der geschlechtergerechten Absichten. Warum? Weil Hoffmanns hinzu erfundenes Mütterlein den Rahmen komplettiert, erschrocken durch dessen Frauengeschichten schleicht, um ihm schlussendlich per Fahrstuhl zur Himmelfahrt zu verhelfen. Man wusste dann immerhin, wozu er die ganze Zeit da stand. Ist aber unter all den Puppen, Heiligen und Huren Mutter immer noch „die beste Frau“ (Helge Schneider)?

Dennoch, lauter schöne Ideen, klug und gut, aber vielleicht zu viele zugleich. Für den abschließenden Venedig-Akt mit Giulietta im Stundenhotel à la Jetztzeit waren es nicht ganz so viele, aber man wusste da längst, wie es kommt. Mit Drinks und Handtüchern. Über Crespels Geigenmanufaktur ersang Antonia ihren Tod im Wohnzimmer der 50er, und der initiale Olympia-Akt fand im weihnachtlich üppig aufgebrezelten Kaufhaus der 40er Jahre statt. Trotz zeitlichen Fortschritts, nichts Neues und immer die gleichen Projektionen. Und viele Bilder und Bildwechsel, die Anrührendes unter sich begraben. So das im Konsumtempel in Betrachtung der Puppe Olympia, Christmas Edition, versunkene Hoffmann-Kind, das die Puppe schließlich zerbrechen wird; alles unter den Augen des toten Hoffmann. 

Todtraurig, aber Zack, schon folgt das nächste Bild. 

Und zu oft fährt aus der Unterbühne die Hölle auf, quam olim Jesuitentheater. Überhaupt Wechsel und Umbauten auf offener Bühne: Damit Hoffmann die geliebte Antonia nicht am Aussingen und -hauchen ihres Lebens im höher gelegenen Wohnzimmer hindern kann, schieben mit mächtigen Phalloi behängte Teufelchen die hinführende Treppe hin und her und weg. Die Unverborgenheit der Technik, im Epischen Theater ein Stilmittel, geriet hier zum Murks. Aber vielleicht sollte man das Ganze nicht zu ernst nehmen, eher als einen bunten Abend mit den nötigen Umbauten und den gebotenen kulturkorrektiven Maßnahmen.

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Komparse, Serena Sáenz, Pene Pati. Foto: © Bernd Uhlig

Komparse, Serena Sáenz, Pene Pati. Foto: © Bernd Uhlig

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Die Unverborgenheit der Technik murkst

Nicht zu ernst, aber dann doch auf einem ganz anderen Niveau der musikalische Teil des Abends unter der zügigen wie zurückhaltenden Leitung von Bertrand de Billy. Die Staatskapelle Berlin spielte, wie so oft, zauberhaft und zart auf. Allerdings wäre zuweilen dann doch etwas mehr Bouffes und Schmiss angebracht gewesen – schließlich kommt Offenbach von der Operette, oder vielmehr sie von ihm. Etwa im großen Sextett mit Chor des Giulietta-Akts, als im Stimmfeuerwerk auf der Bühne die Kapelle unter der Bühne dynamisch zu arg den Kürzeren zog. Was sich zu keiner Zeit vom stets präsenten formidablen Staatsopernchor sagen lässt.

Glänzen konnten auch die Solisten, in „Hoffmanns Erzählungen“ bekommen sie auch Gelegenheit dazu. Serena Sáenz war eine stupende Olympia, Julia Kleiter als samtene Antonia berührend und Sonja Herranen als tückische Giulietta beeindruckend. Pene Pati, rising star am Tenorhimmel, gab einen dementsprechend guten Hoffmann, mühelos zwischen Verblendung und Verzweiflung, als Maulheld und Versager. Großartig Roberto Tagliavini als Teufel, aka Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto, nicht nur in seiner Diamantenarie, gleichermaßen seine Engelsgegenspielerin, aka Muse, Nicklausse, von Ema Nikolovska. Sängerisch und darstellerisch glänzend: das Kabinettstückchen von Ya-Chung Huang als Crespels Dienerin (!) Franz und zusätzlich noch als Andrès, Cochenille und Pitichinaccio.

Fazit: Ein Abend, wie wir sie wohl immer mehr haben werden. Musikalisch von hohen Graden, aber mit mehr Hirn als Herz, als ob man den Überzeugungskräften von Musik und Theater allein nicht mehr traute. Als ob man über das Bühnengeschehen hinaus immer mehr finden müsste, um ja alles richtig zu machen. Dennoch wie gehabt die Publikumsreaktionen: hohe Gefühle fürs Musikalische, gemischte fürs Regieteam.

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