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Ks. Morgan Moody, Irina Simmes, Sungho Kim, Tommi Hakala, Ursula Hesse von den Steinen, Ks. Matthias Wohlbrecht, Denis Velev, Artyom Wasnetsov. ©  Thomas M. Jauk
Ks. Morgan Moody, Irina Simmes, Sungho Kim, Tommi Hakala, Ursula Hesse von den Steinen, Ks. Matthias Wohlbrecht, Denis Velev, Artyom Wasnetsov. ©  Thomas M. Jauk
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Das Ende liegt schon im Anfang – „Das Rheingold“ in Dortmund

Vorspann / Teaser

Peter Konwitschny schließt die neu inszenierten Teile seines Dortmunder Nibelungen-Rings mit dem „Das Rheingold“ ab. 

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Dem Regie-Altmeister Peter Konwitschny geht es um Klarheit. Des Gedankens und der Szene. Er wollte sich noch nie mit seinen Arbeiten ins Irgendwo davonstehlen, sondern mit den Stücken im Bündnis sein Publikum erreichen und packen. Mittlerweile mit einer gelassenen Souveränität, die gut auf Schockmomente oder ausschließende Verästelungen verzichten kann, und die jede Szene auch auf ihren komödiantischen Gehalt hin befragt. 

Wenn hier Wotan Alberich den Ring abnimmt, dann bleibt der Finger dran. Dass Alberich dabei wie am Spieß brüllt, gönnt sich Konwitschny natürlich. Auch das Saallicht spielt mal mit. Und am Ende regnet es kleine Papierregenbogenstreifen mit dem Zitat „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“ während die längst demente Götterbagage im Rollstuhl auf den imaginären Burgneubau zurollt und dabei Loges Untergangsprophezeiung auch noch applaudiert. Besserung ist für diese Herrschaften nicht in Sicht, schon weil Freia aus den Latschen bzw. dem Rollstuhl gekippt ist und sich die Sache mit den verjüngenden Zauberäpfeln mit diesem Abgang wohl endgültig erledigt hat. Würde man nur diesen Vorabend von Konwitschnys Dortmunder Ring-Version sehen, hätte man das Ende des Ganzen sozusagen gratis mitgeliefert bekommen. 

Von der Ursünde (die Baumkrone, die jedes Mal als Prolog herunterkracht ist das Logo dieses Rings) bis zum Untergang – ist hier die ganze Ringstory in den Vorabend gespiegelt. In diesem Fall ist das keine Ausrede, denn die anderen Teile sind allesamt schon fertig. Alle aus einer Regiehand, aber mit vier verschiedenen Ausstattern. In der „Walküre“ war es Frank Philipp Schlößmann, im „Siegfried“ Johannes Leiacker und im „Rheingold“ liefert jetzt Jens Kilian die Ausstattung. In der Stuttgarter „Götterdämmerung“ stammte sie von Bert Neumann. Im Grunde ist Konwitschny mit der Premiere des „Vorabends“ jetzt also mit seiner Version des Operngroßprojektes durch. Damit liefert Dortmund neben der Tetralogie selbst auch einen eigenen Beitrag zum Arsenal der Methoden, den Ring zu schmieden. „Das Rheingold“ erzählt er klar, mit Witz und Hintersinn. Der Auftakt mit Alberich und den Rheintöchtern beginnt noch als eins mit dem Theater, sprich dem Vorhang. Die Mädels dahinter, der Nibelung davor beim Angeln in den Orchestergraben. 

Das Rheingold selbst ist eine riesige, golden schimmernde Plane auf dem Boden. Die Götter hausen in Jurte, Zelt und Erdhöhle, bevorzugen den Fred-Feuerstein-Look, spielen mit einem Knochen wie man heute mit den Handys spielt. Wotans Speer ist ein Riesenknochen, man prostet sich mit Trinkhörnern zu. 

Es ist ein Spielplanzufall, aber die Ähnlichkeit zu dem Schamanenaufmarsch vor Kurzem im Erfurter „Rheingold“ verblüfft. Aber nur auf den ersten Blick. Auf den Zweiten macht der Vergleich den Unterschied zwischen Effekthascherei (in Erfurt) und einem Regietheater deutlich, das souveräne Personenregie ebenso beherrscht, wie das Spiel mit den Zeiten und Bedeutungsebenen.

Ein Hauch von Tristan und Isolde, der im Hintergrund hier durch die Szene weht

Für den Witz, der bei Konwitschny hinter jeder Ecke lauert, mag die Geste stehen, mit der Fricka Wotans Behauptung quittiert, dass er ein Auge für sie geopfert habe. Diese zupackende, lebenspraktische Göttergattin zeigt ihm einfach den Vogel, so nach dem Motto – das kannst du sonst wem erzählen. Natürlich übersieht Konwitschny nicht, was sich zwischen Fasolt und Freia während der Entführung entspinnt. Er macht daraus eine anrührende Liebesgeschichte. Soviel Mitgefühl mit einem unter der rauen Schale schüchternen, sich nach Liebe sehnenden Fasolt hat man auch noch nicht erlebt. Er hat schon bei der ersten Begegnung einen Blumenstrauß dabei, wirbt um sie, die ihm laut Vertrag ohnehin zusteht. Sie hockt dann ihrerseits tieftraurig über seiner Leiche. Am Ende überlebt auch Freia (Irina Simmes) nicht. Ein Hauch von Tristan und Isolde, der im Hintergrund hier durch die Szene weht.

Bei der Exkursion von Wotan und Loge nach Nibelheim geht Konwitschny mit einer Zeitreise in die Vollen einer geradezu brechtschen Zeit- und Gesellschaftskritik. Die beiden landen in einer Megacity vor Wolkenkratzerschluchten. Und bei einem Alberich im Manageranzug von heute. Mit dem Tablet als Tarnkappe in der Hand und einem versklavt assistierenden Mime (Fritz Steinbacher) im weißen Kittel. Die Nibelungen werkeln als Wissenschaftler an Waffen. Der Schatz, den Wotan Alberich als Lösegeld abluchst, besteht aus über zwei Dutzend bedrohlich wirkenden, mannshohen Atomraketen. Dass die jeweils im Viererpack auf einer Europalette hochgefahren werden, darf man als Nachdenk-Stichwort mit auf den Heimweg nehmen. 

Über den mahnenden Auftritt von Erda (Melissa Zgouridi) staunen nicht nur die Götter. Die kommt hier nämlich mit Kinderwagen und geschätzten zwei Dutzend Kindern und Weckset neben ihrem Orakeln übers Ende auch noch einem Neugeborenen die Windeln. Eine Urmutti als Übermutter inmitten einer Kinderschar ist im Grunde ein Widerspruch in sich. Klar, dass sich da der rote Faden etwas verheddert, den sie dabeihat.

Zu den großen Optimisten gehört Konwitschny schon lange nicht mehr. Aber bei seinem analytischen Pessimismus darf man wenigstens auch lachen, nachdenken und sich an der Perfektion seines Menschentheaters erfreuen. 

Am Pult überhastet Gabriel Feltz mit den Dortmunder Philharmonikern nichts, legt Wert auf Transparenz, spielt mit dem Klimpern der Schmiede ebenso offensiv wie mit dem Einsatz der wieder sichtbar postierten Harfen. Wer sich auf die szenische Detailfreude einlässt, wird sie auch musikalisch beglaubigt finden. Das spielfreudige Sängerensemble war durchweg auf der Höhe. Vom Urmenschen bis zum Manager der Rüstungsindustrie lieferte Joachim Goltz einen eloquenten Alberich. Souverän Matthias Wohlbrecht als wendiger Loge. Eindrucksvoll vor allem Denis Velev als verliebter Oben-ohne-Fasolt. Solide die Göttertruppe unter Führung von Wotan Tommi Hakala und Fricka Ursula Hesse von den Steinen. Ein paar Buhrufe gab es für die Regie, aber der Jubel über dieses Rheingold und den jetzt absehbaren Ring überwog eindeutig.

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