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Das Festival „listening closely“ eröffneten (v.l.) Margret Koell (Harfe), Aphrodite Patoulidou (Sopran, Nyckelharpa) und Sławomir Zubrzycki (Viola Organista) mit einem mitreißenden Konzert im einstigen Tanzsaal des Wattenser Gasthofs „Zum Neuwirt“. Foto: Claudia Irle-Utsch

Das Festival „listening closely“ eröffneten (v.l.) Margret Koell (Harfe), Aphrodite Patoulidou (Sopran, Nyckelharpa) und Sławomir Zubrzycki (Viola Organista) mit einem mitreißenden Konzert im einstigen Tanzsaal des Wattenser Gasthofs „Zum Neuwirt“. Foto: Claudia Irle-Utsch

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Der Welt da draußen enthoben – das Festival „listening closely“ im Jahr 2025

Vorspann / Teaser

„I gfrei mi.“ Sagt der Herr in der zweiten Reihe zu seiner Sitznachbarin. „I gfrei mi a.“ Sagt sie, gespannt auf das, was kommen wird. Beide sind offen, gesprächsbereit, im besten Sinne neugierig und sicher, in jedem Fall bereichert zu werden. „Es ist immer ein Geschenk für uns, was der Thomas Larcher macht.“ Und ja, er macht was, der Thomas Larcher, und zwar was mit Musik.

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Der Komponist aus Schwaz in Tirol schreibt zeitgenössische klassische Musik, setzt musikalisch um, was ihn bewegt. Es sind die großen Themen rund um die Endlichkeit, um das Werden, das Vergehen, die kaum irgendwo anders so erfahrbar sind wie in der elementaren Ausgesetztheit des Menschen in der Natur. Dem spürt er nach. Am Berg, im Tal, am Fluss. Wo es sehr still sein kann, aber auch wüst und laut. Wo ein Beben so schnell geht, wie es gekommen ist, wo der Pfiff eines Murmeltiers eine Zeitzäsur setzt und der dumpfe Schlag eines Steins etwas in Gang bringen kann. Licht und Dunkel geben den Rhythmus vor – ein Bild für Leben, für Tod.

Larchers Musik findet ein Echo. Bei den Ausführenden (denn er schreibt für die großen Orchester, für herausragende Interpretinnen und Interpreten, seine Musik wird an den wichtigen Häusern gespielt) ebenso wie beim Publikum, das sich verstanden und aufgehoben weiß und sich vielleicht auch deshalb aufs überraschend Unwägbare einlässt.

Als Festivalmacher komponiert Thomas Larcher ein Programm. 1994 hat er in seiner Heimatstadt mit „Klangspuren Schwaz. Tiroler Festival für Neue Musik“ einen Raum geöffnet, schloss aber für sich diese Tür im Jahr 2003. „Ich war zum Politiker geworden und merkte: Das bin doch nicht ich“, sagt er. In Wattens etablierte er ab 2004 in den „Swarovski Kristallwelten“ die kammermusikalische Reihe „Musik im Riesen“ und brachte fast zwei Jahrzehnte lang die Crème de la Crème der Klassik in ein Glitzerreich, das am gewachsenen Standort strukturell längst nicht mehr glänzt.

2022 fiel im „Riesen“ der Vorhang für die Musik. Doch was für ein Glück, dass es seit 2023 eine organisatorische Reprise gibt: das Festival „listening closely“, klein und fein, noch immer im Dorf, aber nun auch in der Landeshauptstadt, in Innsbruck. Es spiegelt das Neue im Vertrauten, ist beides, weltgewandt und heimatverbunden. Es atmet eine tiefe Freude, Musik zu machen, Musik zu hören, im Kontakt zu sein – mit anderen, mit dem eigenen Ich, der Welt da draußen eine Weile enthoben.

Im Tanzsaal des alten Wattenser Gasthofs „Zum Neuwirt“ vibriert beim Eröffnungskonzert 2025 die Luft. Aphrodite Patoulidou (Sopran, Nyckelharpa) malt mit ihrer Stimme wunderbar emotionale Klangbilder. Sie erzählt gemeinsam mit der Tiroler Harfenistin Margret Koell und mit Sławomir Zubrzycki an der von ihm rekonstruierten Viola Organista (ein Schau-Stück, dieses Tasten-Streich-Instrument!) eine Geschichte von Schönheit und Schmerz. Lyrisch, ausdrucksstark, einen musikalischen Bogen schlagend von der Renaissance zur Moderne und, nach einem Ausflug ins europäische Volkslied, auch wieder zurück. Auf den schon beim ersten Vortrag hochenergetischen „Song of the Cold Genius“ aus Henry Purcells „King Arthur“ schiebt das Trio bei der Zugabe noch mehr Druck. Metal is in the house.

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Gespräch auf Augenhöhe: der Pianist Steven Osborne (l.) und der Pianist, Komponist und Festivalmacher Thomas Larcher. Foto: Thomas Schrott

Gespräch auf Augenhöhe: der Pianist Steven Osborne (l.) und der Pianist, Komponist und Festivalmacher Thomas Larcher. Foto: Thomas Schrott

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Dieses Grundfreie, das sich beim Auftakt von „listening closely“ schon andeutet, zeichnet das Konzert mit Steven Osborne in besonderer Weise aus. Auch der schottische Musiker gastiert im Gasthof „Neuwirt“. Auf der Bühne steht nun ein Steinway, und zuerst einmal plaudern auf zwei Klavierhockern zwei Pianisten. Bei Osborne/Larcher geht es um die Härten des High-Level-Musiker-Daseins, um die Erkenntnis, dass es eben nicht wichtig sei, „der Beste“ zu sein, sondern um die Kunst, kommunizieren zu können. Es geht um das Vermögen, dem eigenen Instinkt zu folgen, kurz: um Selbstverständnis und Selbstwirksamkeit. Osborne spricht von dem „very basic pleasure“ an der Musik, und mit diesem Vergnügen balanciert er zwischen Klassik und Jazz. Er spielt Schumann und Debussy, modelliert den Ton, formt den Klang, behutsam, hörend und beinahe so, als erlebe er diese Musik tatsächlich zum allerersten Mal. Osborne spielt Werke von Meredith Monk („Railroad”), Bill Evans („I Love You, Porgy”) oder Oscar Peterson („Indiana”). Und Osborne spielt Osborne, improvisiert über eine Melodie, lässt sich führen auf unbestimmtem Weg, aber mit klarem Ziel: Keith Jarretts „My Song“.

Bei der vierten der „Four North American Ballads“ von Frederic Rzewski bearbeitet der Pianist die Tasten mit Wucht. Irgendwann wird im „Winnsboro Cotton Mills Blues“ im Immergleichen einer monotonen Maschinerie eine menschliche Stimme laut. Die am Ende verstummt, aber im Ohr bleibt. Gut so, denn die Arbeitsbedingungen sind in viel zu vielen Teilen der Welt weiter prekär. Und Musik bekommt eine gesellschaftspolitische Relevanz.

Vom US-amerikanischen Avantgardisten Rzewski (1938-2021) spinnt sich ein inhaltlicher Faden zur schwedischen Komponistin Malin Bång (*1974). Mit deren experimentellem Stück „underpassing“ eröffnet das New Art & Music Ensemble Salzburg – NAMES sein „listening-closely“-Konzert. Auch hier ist eine Art automatisierter Prozess im Gange. Zwei Musikerinnen, ein Musiker ratschen zumeist mit kleineren und größeren „Karten“ über die Rillen eines orangefarbenen Versickerungsrohrs, stoppen plötzlich, frieren die Bewegung ein, um dann weiter zu „roboten“. Jede und jeder im eigenen Tunnel ...

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Letzte Absprachen vor dem NAMES-Konzert: Thomas Larcher und Anna Lindenbaum. Foto: Thomas Schrott

Letzte Absprachen vor dem NAMES-Konzert: Thomas Larcher und Anna Lindenbaum. Foto: Thomas Schrott

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NAMES war vom Festival mit der Uraufführung eines Werks der iranischstämmigen österreichischen Komponistin Nava Hemyari beauftragt worden. „Mönche beim Staubwischen“ wirft einen ironischen Blick auf klerikale Schwergewichte, die kaum sichtbare Spuren entfernen – von Menschen, von Sachen. Sehr leise tun sie das, und diese Fragilität spiegelt sich in transparenten Klängen, flankiert von tiefen Clustern am Klavier. Vieldeutbar und spannend!

Das Konzert von NAMES war eingebunden in die Innsbrucker Elektroakustik-Konzertreihe „noiz//elektrorauschen“; auch das „Premieren“-Programm von Windkraft – Kapelle für Neue Musik im Innsbrucker Kulturzentrum Treibhaus erfolgte in Kooperation. Unabdingbar seien solche Brückenschläge, unterstreicht Thomas Larcher. Gerade einmal 120.000 Euro hätten er und sein engagiertes Team im Jahr zur Verfügung, was als Gesamtbudget eigentlich bei Weitem nicht ausreiche für ein Musikfestival. Perspektivisch allerdings herrsche Unsicherheit. Österreichs Regierung will ihr Invest in Kunst und Kultur stark reduzieren; groß ist die Sorge in der freieren Szene, dass man das Große, Etablierte, Institutionelle laufen lässt, das Kleine, Que(e)re, vielleicht manchmal Unbequeme der staatlichen Förderung entzieht. Was es anstrengend macht für einen Künstler, der vor allem Musik schreiben will, sein Leben leben muss und möchte und den es mit Macht ins Freie zieht. Klinken putzen, Geldgeber umgarnen ... passt jedenfalls aktuell nicht ganz in Larchers Konzept.

Musik, hat er beim Festivalstart gesagt, sei zwar „der schwächstmögliche Gegner“, aber sie habe diese besondere Kraft, zu verändern, zu verwundern, zu verzaubern. „Against all odds“, trotz allem. Und so war Thomas Larcher jetzt bereit, ein vielfältiges, aufeinander bezogenes Programm zu gestalten für alle Menschen, die sich in der Kunst des Zuhörens üben wollten.

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Der Saxophonist Andreas Mader war 2025 „Featured Artist“ bei „listening closely“. Sein Solokonzert gab er in Innsbruck im Studio 3 des ORF Tirol. Foto: Thomas Schrott

Der Saxophonist Andreas Mader war 2025 „Featured Artist“ bei „listening closely“. Sein Solokonzert gab er in Innsbruck im Studio 3 des ORF Tirol. Foto: Thomas Schrott

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Sein Festival bildet darüber hinaus eine wertvolle Plattform: für Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart, denn es gibt eine Fülle an Welt- oder nationalen Uraufführungen, und für vergleichsweise junge Musikerinnen und Musiker. Als „Featured Artist“ ausgewählt war 2025 der Saxophonist Andreas Mader, „ein Jochberger Bua“, den es aus dem Tiroler Unterland zum Studieren nach Amsterdam zog und der gut unterwegs ist als Solist und als Lehrer (mit einer Professur am Utrechter Konservatorium) und doch Einladungen wie diese braucht. Weil sie Sichtbarkeit schaffen und weil sie ein Feld fürs Experiment bereiten. „Thomas hat mir eine ,carte blanche‘ gegeben“, sagt Mader, der bei seinem „Bach+“-Konzert auf einen Vertrauensvorschuss setzten konnte. Ein wenig scheut er es (noch), sich als Komponist zu benennen, und doch stellt er im ORF-Studio 3 stilsicher und virtuos zwei eigene Werke („Prelude II“, „Run“) in den großen Rahmen von Bachs Cello-Suite Nr. 3, die er auch mit Musik von Theo Loevendie oder Steve Reich bespiegelt. Er fächert die Klänge seines Instrumentes mit Elektronik auf, weitet das Soundspektrum, umkreist und umfängt das Publikum mit seiner Musik bisweilen ganz und gar.

Mader war – wie Steven Osborne und wie die Salterio-Virtuosin Franziska Fleischanderl – bei „listening closely” auch musikpädagogisch engagiert; er unterrichtete Studierende des Tiroler Landeskonservatoriums und kehrte damit an einen Ort zurück, wo seine professionelle künstlerische Laufbahn einen Anfang nahm. Bei seinem Duo-Konzert in Wattens nutzte er die Chance, mit Pianist Joseph Moog sein neues Album „Walking the Dog“ vorzustellen – mit Musik von Prokofiev, Milhaud, Gershwin und auch der Zeitgenössin Lera Auerbach.

Zur 2025er Ausgabe gehörte abschließend ein Konzert für Laute (David Bergmüller) und Percussion (Tobias Steinberger) im repräsentativen Verwaltungsgebäude der Innsbrucker Verkehrsbetriebe. Gesetzt waren hier eigentlich die Blockflöten-Stars Giovanni Antonini und Shen-Fang Chiu, doch Letztere kam wegen Visa-Problemen zum anberaumten Termin nicht ins Land. Falls irgend möglich, gibt es den zweiten Versuch dann im nächsten Jahr. In Innsbruck, in Wattens?! Viele tät’s gfrein.

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