Gewichtiger Saison-Auftakt für die Neue Musik beim Westdeutschen Rundfunk Köln: In vier Konzerten wurde das Schaffen des Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös anhand charakteristischer Werke präsentiert. Kom-positionen von Charles Ives, Leos Janácek und Gerhard Rühm sowie Uraufführungen von vier jungen Komponisten fügten sich thematisch sinnvoll in das Eötvös-Programm ein, das zu Beginn ein instruktives, sensibel fotografiertes Filmporträt von Peter Eötvös brachte, das Judit Kele gestaltete.
Gewichtiger Saison-Auftakt für die Neue Musik beim Westdeutschen Rundfunk Köln: In vier Konzerten wurde das Schaffen des Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös anhand charakteristischer Werke präsentiert. Kom-positionen von Charles Ives, Leos Janácek und Gerhard Rühm sowie Uraufführungen von vier jungen Komponisten fügten sich thematisch sinnvoll in das Eötvös-Programm ein, das zu Beginn ein instruktives, sensibel fotografiertes Filmporträt von Peter Eötvös brachte, das Judit Kele gestaltete. Die Form des Komponistenporträts erscheint als eine geeignete Methode, speziell in der zeitgenössischen Musik Person und Schaffen eines Künstlers einem oftmals unvorbereiteten Publikum nahe zu bringen. Die Anwesenheit des Komponisten, die Gespräche und Diskussionen mit ihm, leisten für die Vermittlung seiner Musik eine bemerkenswerte Hörhilfe: Der gutwillige, gleichwohl womöglich noch skeptische Musikinteressierte hört wenigstens erst einmal ruhiger und konzentrierter zu, bevor er sein Urteil fällt. In das Routineprogramm eines Abonnementskonzertes gleichsam als Konterbande und ohne Komponistenpräsenz „eingeschmuggelt”, verfällt die ungewohnte Novität oft allzu rasch der am Beifall abzulesenden Teilnahmslosigkeit.Wie informativ und sinnstiftend ein so gestaltetes Komponistenporträt sein kann, das zeigte die erste „Musik-der-Zeit”-Veranstaltung des Westdeutschen Rundfunks Köln zum Auftakt der neuen Saison. Es war dem ungarischen Komponisten Peter Eötvös gewidmet, der spätestens seit der fulminanten Uraufführung seiner Oper „Trois Soeurs” 1998 in Lyon zu einem der meistgefragten Komponisten der Gegenwart avancierte.
Die vergleichsweise späte Hinwendung zur großen Opern-Form – Eötvös wurde 1944 geboren – überrascht nicht weiter. Eötvös offenbart in seinem gesamten Schaffen eine ausgeprägte Affinität zum Wort, zur Sprache. Sprache wird dabei nicht im tradierten Sinne vertont und mit Musik unterlegt. Sie wird vielmehr in Musik gleichsam „übersetzt“: ihre Bewegungen, Gesten, ihr Rhythmus, ihr theatralischer Ausdruck finden sich entsprechend in musikalisierter Gestalt wieder, wobei sprachliche Rudimente, Wortfetzen oder Stimmlaute wiederum in die Kompositionen zurückkehren, in instrumentalisierter Funktion sozusagen. Eötvös’ Werke enthalten in der Regel ein ausgeprägtes dialogisches Element. Solo-Instrumente, Stimmen und Ensemble korrespondieren miteinander „wie in einem gesprochenen Theaterstück”. Der Zuhörer hört nicht nur, er sieht förmlich die Musik, beobachtet die lebhafte, plastische Gestik der Musik-Sprache, die zwischen Instrumentalisten und Vokalisten „gesprochen” wird.
Eötvös hat in seinen jungen Jahren in Budapest viel für das Theater komponiert. Diese Erfahrungen mögen sein Komponieren beeinflusst haben, doch eher existierte von Beginn an schon eine besondere Affinität zum Theatralischen, Bildhaften, Gestischen, zur gespielten Bewegung. Schon das frühe Klavierstück „Kosmos” (1961) überträgt mit Trillern und heftigen Klang-Explosionen die Entstehung des Universums: die Musik erhält eine optische Dimension, zumal in der in Köln gespielten Fassung für zwei Klaviere, die asynchron agieren und dadurch eine changierende Räumlichkeit suggerieren. Angeregt zu der Komposition wurde Eötvös durch den ersten Weltraumflug des russischen Astronauten Juri Gagarin – ein Beleg, wie stark Eötvös‘ Imaginationen auch durch sogenannte Tagesereignisse evoziert werden können.
Peter Eötvös betont, wie wichtig für sein Komponieren das „Rituelle” ist: Gestik und Klang erscheinen dabei in „absoluter Einheit”. Aus dieser Einheitlichkeit erwächst auch das Faszinosum der „Trois Soeurs”. Doch erstaunlich bleibt, wie variabel der Komponist dabei dieses „Rituelle” anwendet, wie er Hochartifizielles und Stilisiertes, subtiles Klangtheater oder Meditatives mit elegant Witzigem und leichtem Chansonton zu verbinden weiß. In den „Snatches of a Conversation” führen eine equilibristisch die Farben wechselnde Doppeltrichter-Trompete (virtuos Marco Blaauw) und ein Instrumentalensemble unter Leitung des Komponisten eine geistreiche musikalische Konversation.
Eine scheinbar kontroverse Art der „Klang-Rede” erscheint in Eötvös‘ Komposition „Windsequenzen” für Ensemble, die zwischen 1975 und 2002 entstand: Ein klanglich äußerst sublimierter meditativer „Dialog” zwischen Bewegung und Ruhe. Von faszinierender innerer Kraft zeugt auch die neueste Komposition von Eötvös, die in Köln uraufgeführt wurde: „IMA” (Gebet) für großen gemischten Chor und Orchester auf Texte von Sándor Weöres und Gerhard Rühm. Das Werk knüpft an Eötvös’ „Atlantis”-Komposition an, nur verkehrt sich die Perspektive: Der Chor blickt aus unserer Zeit zurück auf eine magisch-verklärte, geheimnisvolle Kultur. Die Texte von Rühm und Weöres entfalten in Duktus, Sprechrhythmus und Sprachklang einen imaginären Gebets-Tonfall, der von der Musik, vor allem im Klang des Chorgesangs, geschmeidig aufgenommen, gleichsam transzendiert wird. WDR-Rundfunkchor (Anton Marik) und WDR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling war eine ungemein ausdrucksdichte, gleichwohl klar strukturierte Wiedergabe des Werkes zu danken.
Kompositionen von Charles Ives und Janácek sowie Melodramen des Wiener Dichters und Musiker Gerhard Rühm komplettierten die Eötvös-Werkschau, öffneten weitere Perspektiven zum Thema Sprache und Musik. Auch ehemalige Schüler von Eötvös erhielten Gelegenheit, sich in die “Dialoge mit Peter Eötvös” einzubringen, wobei vor allem der Litauer Vykintas Baltakas mit seiner Komposition “Poussia” für Soloinstrumente und Orchester Aufmerksamkeit erregte: Ein durch das Instrumentarium kreisendes Klangfeld, das hohe Energien abstrahlt und wechselnde Hörereignisse evoziert. Aber auch die uraufgeführten Stücke von Bruno Mantovani, László Tihanyi und Pedro Amaral verrieten ausgeprägte individuelle kompositorische Handschriften. Die Kölner „Musik-der-Zeit”-Zyklen bieten immer wieder interessante Neuheiten und anregende thematische Fragestellungen.