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Die Illusion ist ein sonderbar Ding

Untertitel
Manfred Trojahns „La Grande Magia“ an der Dresdner Semperoper uraufgeführt
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Ein Mann träumt, er klettere einen steilen Felsen hinauf. Von hinten wird er verfolgt von jemandem, der ihm nach dem Leben trachtet. Wie er klettert und klettert, erscheint plötzlich vor ihm ein Ungeheuer, das ihm den Weg versperrt. Von hinten kommt der Mörder immer näher. In seiner Verzweiflung schreit der Mann das Ungeheuer an: „Was soll ich denn tun?“ Darauf antwortet das Ungeheuer: „Woher soll ich das wissen, das ist doch dein Traum!“ Eine schöne Geschichte, die etwas thematisiert, was die Menschen schon immer fasziniert hat, den Grenzbereich zwischen Traum und Wirklichkeit nämlich, das Ineinanderfließen von Realität und Phantasie, mit einem Wort: Magie.

Das Leben, ein Hirngespinst, die Welt als unsere Vorstellung. Das muss wohl auch den Komponisten Manfred Trojahn gereizt haben, Eduardo de Filippos Schauspiel „La Grande Magia“ von 1948 zum Ausgangspunkt seines neuesten, an der Dresdner Semperoper uraufgeführten Musiktheaterstücks zu nehmen. Freilich ist Trojahn niemand, der sich ausliefert, eher jemand, der hinter die Kulissen schauen möchte. Auf diese Weise aber gelingt ihm ein anderes Kunststück: die Trennung von Zauber und Zauberei. Nicht die Taube aus dem Zylinder des Magiers, also das Mechanische der Zaubertricks findet sein Interesse, vielmehr die Verzauberung des Menschen durch etwas, was ihm im Ganzen vertraut und in seinen Details zugleich so fern wie der Formelkanon der Kabbala ist: die Musik. Die eigentliche Magie seines Stückes entsteht im Orchestergraben und in den Ornamenten des Ziergesangs auf der Bühne. Am Ende des Stückes aber bekommen wir eine Ahnung davon, dass nicht nur der Zauberer von Trugbildern lebt, sondern wir alle, die wir tagtäglich in unsere Wunschvorstellungen flüchten und uns auch von noch so geschickten Psychiatern unsere Neurosen nicht ausreden lassen wollen. Oscar Wilde hat es auf den Punkt gebracht: Nur flache Menschen urteilen nicht nach dem Schein. Das Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.

Die Sache ist scheinbar einfach. Marta, eine frustrierte Sängerin, lässt sich vom Magier Otto in einer Kiste wegzaubern, um während der Vorstellung ein kurzes Schäferstündchen mit ihrem Liebhaber Mariano halten zu können. Kompliziert wird es, weil sie nach dem Abenteuer nicht wie vorgesehen am Ende der Zauberei in die Kiste zurückkehrt, vielmehr ihre Suche nach dem persönlichen Glück sieben volle Jahre ausdehnt. Wie kann sich da ein Zauberer dem gehörnten Ehemann Calogero gegenüber aus der Affäre ziehen, ohne als Scharlatan oder Konspirant des Ehebruchs aufzufliegen? Indem er eine zweite Illusion über die erste stülpt, Calogero eine Schachtel in die Hand drückt, in der er Marta finden werde, allerdings nur, wenn er von ihrer Treue und Liebe überzeugt sei. Ist er es nicht, und wer kann sich der Treue eines anderen schon sicher sein, dann wird er bei Öffnung der Schachtel diese leer finden.

So zieht der unsichere Calogero mit seiner ungeöffneten Schachtel durch die fünf Bilder der Oper und lässt sich sogar durch die nach sieben Jahren geständig zurückgekehrte Marta nicht mehr von der Vorstellung einer treuen Frau in der Schachtel abbringen. Das alles wird vom Librettisten Christian Martin Fuchs nach dem Vorbild de Filippos in die Irrungen und Wirrungen eines italienischen Familienclans, mit eifersüchtig besorgt über allem thronender Mamma und politkarrieresüchtigem Schwager, mit Fehltritten und Erbschaftsstreitereien, mit Kind und Kegel, Hausfreunden und irgendwie dazugehörenden Fremden, eben mit prallem Leben angefüllt. Vor einem allzu komödiantischen Welttheater im italienischen Taschenformat allerdings bewahrt uns die Ausstattung von rosalie im abstrakt-nüchternen Bühnenbild mit herabhängenden Mülltonnenketten und überdimensionalen blau-rot sich einfärbenden Ballons auf schrägen Abflussrosten und einem in bunt-nichtssagende Alltagskleidung gesteckten Ensemble, das der Regisseur Albert Lang durch das chaotische Geschehen führt, als handele es sich um ein groteskes Endspiel von Beckett.

Und das ist gut so. Denn das eigentliche Spiel zwischen Illusion und Realität findet in Manfred Trojahns überreicher, dabei hoch differenzierter Partitur statt, die die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Jonathan Darlington sicher bewältigt: Autarke Musikstruktur und illustrierende Tongestalten, irrlichternde Klangfarbenspiele und parodistisch-desillusionierender Unterton, allein selig machende Melodielinienführung und Reminiszenz an die ironisch-melancholisch gebrochene Rosenkavaliers- und Ariadne-Welt von Richard Strauss bilden ein betörendes Amalgam, verdichtet noch im Gesang der wunderbaren, strato­sphärische Sopranhöhen sicher meisternden Marlis Petersen als Marta, dem klangmächtigen, souverän artikulierenden Urban Malmberg als Zauberer Otto, dem hell timbrierten Tenor Rainer Trost als Calogero sowie der koloratursicheren Romy Petrick als krankes Mädchen Amelia, die das ausgezeichnete, zwölfköpfige Gesangsensemble überragen.

Es gibt – musikalisch wie philosophisch – viel zu entdecken in diesem intelligenten Werk. Und bisweilen entstehen tatsächlich magische Momente: etwa in dem frühere Kompositionen zitierenden, vorüberhuschenden „Seestück mit Nachtwind“; im grandiosen Puccini-Belcanto, der Calogeros Illusion vom italienischen Essen und zugleich die Enttarnung des Zauberers vorstellt; im orchestralen Strudel, in den das sich nur noch ständig wiederholende Ensemble schließlich gerät; und auch in der Banda der drei Bühnenmusiker, die das Stück wie einen Film von Fellini in den Kulissen surreal ausklingen lassen. Am Schluss, wenn die italienische Familie das Weite gesucht hat, zieht Calogero seine Schuhe aus und verstaut sie in der Schachtel. Ende der Illusion.

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